Die gefesselte Phantasie | Page 5

Ferdinand Raimund
euer Haupt zurück den Spott, ihr niedern Zauberdirnen!
Entweicht auch ihr, vergiftet nicht den Hain durch euren Hauch.
vipria. So komm! Wir wollen sie verlassen.
arrogantia. Doch unser Haß bleibt ihr zurück.
vipria. Und diese Flur, des Streites bunter Zeuge, die ihn mit farb’gem
Aug’ geschaut, verödet soll sie sein. (Nimmt einen Stern hervor.) Du
auberstern, der finstern Hekate entwendet, jetzt steh’ mir bei! (Zu
Hermione.) Du liebest diesen Blumentempel? So stürz’ ich seine
Säulen ein, und eine einzige Distel setz’ ich dafür hin, Verwesung
heißet sie; schau her!
(Der Garten stürzt zusammen, Sumpf und verdorrte Bäume zeigen sich.
Raben sitzen auf den Ästen und flattern in der Luft. Das ganze ist ein
grauser Anblick, der Wind heult gräßlich.)
hermione (schaudernd). Entsetzlich!
vipria. Unersättlich werde meine Rache, gleich dem Hunger des
Erysichthons, überall will ich dich necken und verfolgen, in jedem
Grashalm will ich dich belauschen.
arrogantia. Aus jedem Unkraut strecke ich meinen Hals.
vipria. Bis die Verzweiflung bittend dich zu meinen Füßen reißt, dann
erst ist Vipria versöhnt. (Erschöpft.) Ha, wie wird mir jetzt, ich bin zu
schwach für meinen Grimm.
arrogantia (sanft). Du hast dich angegriffen, liebes Schwesterchen, o
stütze dich auf meinen Arm!

vipria (höhnisch). Ich danke dir. (Heimlich.) Wie kommst denn du zu
dieser Zärtlichkeit?
arrogantia (beiseite). Aus Bosheit, weil sie’s ärgert. (Laut.) Das macht
die Eintracht unserer Herzen. Wenn du leidest, leid’ ich auch.
vipria (zart). O gutes Kind! (Umarmt sie zärtlich mit durchbohrendem
Blick auf Hermione.) Wart, Schlange! (Matt zu Arrogantia.) Leit’ mich.
(Geht gestützt auf Arrogantia ab.)

8. Szene
hermione allein
hermione. O ihr Götter! Wodurch verdient’ ich euren Fluch?
Erniedrigt--und vor wem? Vor meinem eigenen Geschlecht. Wenn’s
noch ein mächt’ger Zauberer wär’--doch daß es Weiber sind, die mich
besiegt, das kränkt mich gar so tief! Und wenn ich, gleich dem Argus,
hundert Augen hätte, so würde jedes sich mit Tränen füllen über diese
Schmach. O Amphio, könntest du den Schmerz mir tragen helfen!
Doch halt! Hat das Orakel nicht bestimmt: daß, wenn ich einen Gatten
wähle, die Macht der Zauberbrut vernichtet ist? Doch, darf ich meinem
Volke sagen, daß ich einen Hirten liebe? Und kann ich einen andern
wählen? Ich vermag es nicht. Es sind nicht Amors Rosenketten, die
mich an ihn binden, eherne Bande sind es, die mein Herz an seines
schmieden. Doch wie--hat Minerva mich berührt?--So gelingt es --so
muß er siegen!--So wird er mein, ich kann auf seinen Geist vertrauen.
(Der Narr sieht zur Kulisse herein.) Was suchst du, Narr?

9. Szene
narr. Dann distichon. affriduro. odi. volk. vorige
narr. Ich muß rekognoszieren. Sie trauen sich nicht herein. Nur herein,
ihr florianischen Helden, der Feind ist fort, ihr habt gesiegt.

alles (kommt gelaufen und stürzt zu Hermionens Füßen). Heil,
Hermione, ewige Treue geloben wir dir!
distichon. Nur einen Augenblick hat uns die Furcht besiegt; sie ist
vorbei, jetzt bau’ auf unsre Kraft.
hermione. Ich bau’ auf sie, wie auf die Reize dieser Flur.
alles (blickt hin). Ha, was ist das?
hermione. Ein blühend’ Bild von eurem Mut; er ist so treu, wie dieser
Sumpf, wer auf ihn baut, sinkt ein. Darum will ich nicht länger ihm
mein Wohl vertrauen, ich befolge des Orakels Wunsch. Noch heute
abend soll mein Land gerettet sein, ich will noch heute mich vermählen,
damit die morgige Sonne der Zauberinnen Ohnmacht schon bescheint.
Affriduro, eile hin und schmück’ den Tempel des Apoll’; in einer
Stunde seid ihr dort versammelt und höret meinen Eid: "Dem reich’ ich
heut’ noch meine Hand, der, bis die siebente Stunde tönt, mir ein
Gedicht ersinnt, das an Wert hoch über allen andern steht." Es gelte
gleich, welch’ Land ihn auch gezeugt, ob ihn ein Lorbeer schmückt, ob
er den Hirtenstab erwählt. So fordre ich in die Schranken eure Poesie;
weil ihr nicht kämpfen könnt um mich durch eurer Sehnen Kraft, so
kämpft um mich mit kräftigen Gedanken. Die Phantasie trag’ euch die
Fahne vor, Vernunft steckt auf den Helm, der Witz sei euer Pfeil, die
Verse stellt in dichte Reihen, statt der Trompete laßt den Reim
erklingen; so rücket vor und kämpfet um den Preis: Drei Kronen bietet
er zugleich, Mein Herz, den Lorbeer und dies Reich. (Ab.)
affriduro (mit den Götzendienern zur entgegengesetzten Seite ab).

10. Szene
vorige ohne Hermione und Affriduro
mehrere. Ha, jetzt gilt’s!
distichon (mit Emphase, schnell). Dichtergeister! Hört den Meister,

Spornt den Gaul, Seid nicht faul; Zieht vom Leder Eure Feder, Schreibt
drauf los, Der Preis ist groß. Fortunens Blick Verkündet Glück!
narr. Auweh, zwick’, Jetzt wird ’s mir z’ dick! Reim’ dich oder ich friß
dich. Ha, ha, ha!
distichon. Was lachst du, Schafskopf, Kalb, dem Mond entsprungen?
narr. Pfui der Schande! Durch ein Gedicht müßt ihr die Hand der
Herrscherin erkämpfen, weil ihr so furchtsam seid, daß ihr beim
Anblick einer Spinne lauft. O ihr Heroen der Vorzeit! Nehmt euch doch
ein Beispiel
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