Die gefesselte Phantasie | Page 3

Ferdinand Raimund
denn, hohe Hermione!
narr (springt in die Mitte). Um des Himmels willen, du vergißt dich ja!
Die Weisen sollen sprechen; du hast das Gegenteil verstanden; bist
denn du ein Weiser?
distichon. Das bin ich--oder hältst du mich für einen Narren?
narr (bescheiden protestierend). Du hast mich eben dieser Müh’
enthoben.
distichon. Wieso?
narr. Du glaubst ja fest, daß du ein Weiser bist.
distichon (unwillig). Nun ja!
narr. Da hältst du dich ja selbst für einen Narren; was brauch’ denn
ich’s zu tun? Für naseweis hab’ ich dich stets gehalten, doch eine
and’re Weisheit trau’ ich dir nicht zu.
distichon. Das gedenk’ ich dir, Bastard des Jokus!
hermione. Endet euren Streit! Sprich, Affriduro, kann Gewalt uns
retten?
affriduro. Gewalt? Zum erstenmal hör’ ich dies Wort von dir.
Entsprossen aus dem Stamme deines güt’gen Vaters, herrschest du
durch Sanftmut stets. Wir kennen hier nur Poesie, Gesang und Tanz;
der rauhe Klang der Waffen ist uns unbekannt, nur ein arkadisch’
Leben führten wir bis jetzt. Von einer Seite schützt des Meeres
Wellenschild unseren blumenreichen Strand, und von der andern
trennen steile Berge uns von unserem mächt’gen Nachbar, dem König
von Athunt. Die Waffen sind uns fremd, wir kennen nur die List.
narr. Ich rate auch zur List; sie machen sich zu mausig hier, drum muß
man sie wie Mäuse fangen. (Beiseite.) Ich richte eine diamant’ne Falle
auf und statt dem Speck häng’ ich zwei türk’sche Schals hinein.

affriduro. Doch höre des Orakels Schluß. Nicht eher wird die Macht der
Zauberschwestern sich besiegen lassen, bis Hermione sich vermählt
und dem Lande einen Herrscher gibt, der gleich ihr zu herrschen
würdig ist; wenn das geschieht, wird jene Macht verschwinden. Drum
hör’ die Bitte deines ganzen Reichs und wähle dir den König von
Athunt, er strebt nach deiner Hand. Du besitzest Geist, er Mut und
Macht; erwähle ihn, bevor die Zauberschwestern noch in seine Brust
des Hasses Samen streu’n, und mit Gewalt er fordert, was du seinem
Edelmut verweigert hast. Du wirst dem Schicksal nicht entrinnen, denn
die Sterne prophezeien unserem Lande einen Herrscher aus dem Hause
von Athunt.
hermione. Als vor zwei Jahren der König von Athunt mit seinem Sohn
an meinem Hof erschien, für sich um meine Hand zu werben, gestand
ich ihm ja frei, daß ich, vom Wert der Poesie begeistert, im Tempel des
Apollo ein Gelübde abgelegt, als Gemahl nur einen Sänger hoher
Lieder zu umarmen; sei er der Ärmste meines Volkes auch, wenn er nur
reich ist an Gemüt und hohem Geist. Der König von Athunt belächelte
den Schwur, gestand, daß er die Verse nur mit blut’gem Schwert zu
schreiben wüßte. Er zog von meinem Hof; doch hinterließ er das
Versprechen mir, daß er den schönen Frieden meines Landes niemals
stören wolle. Glaubst du, ich hätte meinen Schwur vergessen? Nur
einem Sohn der Musen reich’ ich meine Hand.
distichon (stolz). Mein Vaterland ist der Parnaß.
narr. Ich bin vom Kahlenberg zu Haus.
affriduro. Erwäge des Orakels Spruch, und wählest du nicht ihn, so
wähle doch und rette dadurch deine Treuen.
hermione (für sich). Peinliche Verlegenheit! Was beginn’ ich? Mein
Herz ist ja nicht frei.
alles (kniet). Wir flehen zu dir, Herrscherin!
hermione. Wohlan, so will ich wählen. Wenn wiederum der Mond uns
seine Sichel zeigt, so werd’ ich meine Hand verschenken.

alles. Heil, Hermione!
hermione. Bis dahin will ich meines Stolzes Panzer mit geschmeid’gem
Samt der Klugheit überziehen und durch sanfte Worte die
Zauberschwestern zu gewinnen suchen. Eilet hin nach ihrem Schloß
und bescheidet sie hierher.
odi (sieht hinaus; erschrickt). Götter, dort sind sie. Sie streifen durch
die Flur und jagen weiße Raben.
hermione. So eil’ hinaus und rufe sie.
odi (erschrocken). Ich?
hermione. Ja, du!
odi. Verzeih’, ich wag’ es nicht.
affriduro. So bist du ja ein ganzer Hase?
narr. O nein, er ist ein bloßer Hasenfuß.
hermione. Beschämt keiner ihn?
distichon (kühn für sich). Mut, Distichon, du stiehlst ihr
Herz. (Laut.) Ich hole sie. (Eilt ab.)
narr (tut, als hebe er etwas von der Erde auf). Pst!
hermione. Was treibst du, Narr?
narr. Er hat beim Fortgehen seine Furcht verlor’n, ich heb’ ihm s’
unterdessen auf. (Er tut, als steckte er sie in den Sack.)
odi. Er ist schon dort und spricht mit ihnen. Sie drohen ihm--er läuft
davon.
hermione. Pfui!

odi. Sie senden Pfeile nach. (Schrei.) Er ist getroffen.
hermione (ängstlich). Götter!
odi. In dem Waden steckt ein Pfeil.
narr. Jetzt haben wir doch einen gespickten Hasen auch.
hermione. So sinkt er?
odi. Nein, er läuft.

5. Szene
distichon, einen Pfeil mitten durch die Wade gesteckt. vorige.
distichon (atemlos). Es ist gescheh’n!
hermione. Du bist verwundet, Unglückssohn. (Verhüllt sich das
Antlitz.)
distichon. Im Herzen, Königin!
hermione. Nicht doch, im Fuß.
distichon. Nicht möglich! (Besieht sich und erstaunt.) Das hab’ ich
wirklich nicht bemerkt.
narr (zieht ihm den Pfeil heraus). Was das für ein Glück ist, wenn man
falsche Waden hat!
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