Die drei Nüsse | Page 8

Clemens Brentano
meines Mannes,
zugunsten meiner, ließ ich die Apotheke unter Administration setzen
und zog mich auf mehrere Jahre in ein Kloster zurück. So verstummte
endlich das Gespräch, und ich beschäftigte mich während dieser Zeit
mit der Zubereitung der Arzneien für die Armen, welche die
Klosterfrauen verpflegten."
"Ihr Unglück rührt mich ungemein", entgegnete der Bürgermeister,
"aber die Art, wie Sie von dem Betragen ihres Bruders sprachen,
machte auch mir eher den Eindruck eines Geliebten als eines Bruders."
"O mein Herr", erwiderte die Fremde, "dies eben war eine
Hauptursache meines Leides; er liebte mich mit größerer Leidenschaft,
als er sollte, und mit der kräftigsten Seele arbeitete er dieser bösen
Gewalt meiner Schönheit entgegen. Er sah mich manchmal in mehreren
Jahren nicht, ja, er durfte mir selbst nicht mehr schreiben; nur die Not
hatte ihn bei dem letzten Vorfalle zu mir getrieben, und so konnte ich
ihm meinen Anblick doch nicht versagen. Mein Mann kannte ihn nicht,
und ich hatte ihn allein geheiratet, um die Leidenschaft meines Bruders
entschieden zu brechen. Ach, er hat sie selbst gebrochen mit seinem
Leben! Mein Mann, von seiner Eifersucht beunruhigt, hatte sein
Laboratorium früh verlassen; die Magd sagte ihm, daß ich nach dem
Badehause sei; es fuhr ihm der Gedanke an Verrat durch die Seele, er
steckte eine doppelte Pistole zu sich und suchte mich in dem
Badehause auf. Er fand mich nicht, aber hörte die Aussage der
Bademeisterin, sie habe mich zum nahgelegenen Tore hinausgehen
sehen. Da erinnerte er sich des Fremden, der gestern mit ihm in dem
Wäldchen geredet und ihn auch nach seiner Frau gefragt hatte; er
erinnerte sich, daß derselbe Johanniswürmer gefangen, sein Verdacht
erhielt Gewißheit; er eilte nach dem Wäldchen, nahte der Kapelle, hörte
das Ende unsrer Unterredung: tertia mors est--er beging die
schreckliche Tat."

"O, der unglückliche, arme Mann!" rief der Bürgermeister aus; "aber
wo ist er, was macht er, was führt Sie hieher, konnten Sie ihm
verzeihen, werden wir ihn hier wiedersehen?"
"Wir werden ihn nicht wiedersehen, ich habe ihm verziehen, Gott hat
ihm verziehen!" versetzte die Fremde; "aber Blut will Blut, er konnte
sich nicht selbst verzeihen! Acht Jahre lebte er in Kopenhagen an dem
Hofe des Königs von Dänemark, Christian des Vierten, als Hoflaborant;
denn dieser Fürst war den geheimen Künsten sehr zugetan. Nach dem
Tode desselben zog er an manchen norddeutschen Höfen herum. Er war
immer unstet und von seinem Gewissen gepeinigt, und wenn er Nüsse
sah und von Nüssen hörte, fiel er oft plötzlich in die heftigste Trauer.
So kam er endlich zu Ihnen, und als er hier den unglücklichen Vers
hörte, floh er nach Basel. Dort lebte er, bis die Nüsse wieder reiften; da
ward seine Unruhe unaufhaltsam; seine Zeit war abgelaufen; er reiste
ab nach Lyon und lieferte sich selbst den Gerichten aus. Er hatte vor
drei Wochen ein rührendes Gespräch mit mir, er war gut wie ein Kind,
er bat mich um Vergebung--ach, ich hatte ihm längst vergeben. Er sagte
mir, ich solle nach seiner schimpflichen Todesstrafe Frankreich
verlassen und nach Kolmar reisen, dort sei der Bürgermeister ein sehr
redlicher Mann. Zwei Tage hierauf ward er unter unzähligem
Volkszulauf, bei der Kapelle, wo der Mord geschehen, enthauptet. Er
kniete nieder in dem Kreise, brach drei Nüsse desselbigen Baums,
welcher meinem Bruder die Todesnuß getragen hatte, teilte sie alle drei
mit mir und umarmte mich nochmals zärtlich; dann brachte man mich
in die Kapelle, wo ich betend an den Altar niedersank. Er aber sprach
draußen: ›Unica nux prodest, altera nocet, tertia mors est‹, und bei
diesem letzten Worte machte der Schwertstreich seinem elenden Leben
ein Ende.--Dieses ist meine Geschichte, Herr Bürgermeister."
Mit diesen Worten endete die Dame ihre Erzählung, der Bürgermeister
reichte ihr gerührt die Hand und sagte: "Unglückliche Frau, nehmen Sie
die Versicherung, daß ich von Ihrem Unglücke tief gerührt bin und das
Vertrauen Ihres armen Mannes auf meine Redlichkeit auf alle Weise zu
Ihrer Beruhigung wahr machen will."
Indem er dies sprach und, seine Tränen unterdrückend, auf ihre Hand

niedersah, bemerkte er einen Siegelring an ihrem Finger, der einen
lebhaften Eindruck auf ihn machte; er erkannte auf ihm ein Wappen,
das ihn ungemein interessierte. Die Dame sagte ihm, es sei der
Siegelring ihres Bruders.--"Und sein Familienname heißt?" fragte der
Bürgermeister lebhaft.--"Piautaz", erwiderte die Fremde; "unser Vater
war ein Savoyarde und hatte einen Kram in Montpellier."
Da wurde der Bürgermeister sehr unruhig, er lief nach seinem Pulte, er
holte mehrere Papiere hervor, er las, er fragte sie um das Alter ihres
Bruders, und da sie zu ihm sagte: "Heute würde er sechsundvierzig
Jahre alt sein, wenn er noch lebte", sagte er mit freudigem Ungestüme:
"Recht, ganz recht! Heute ist er so alt, denn er lebt noch. Amelie, ich
bin dein Bruder! Ich bin von der Amme deiner Mutter gegen das
Söhnlein des Mechanikus Maggi ausgewechselt worden; dein Bruder
hat dich nicht geliebt, es war Maggis Sohn,
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