schier, daß er mich nun nie, nie
wiedersehen sollte. Der Abschied nahte; es war halb neun Uhr
geworden, der bestellte Wagen erwartete mich. Ich gab ihm das Geld
und die Juwelen, und er sagte zu mir: ›Amelie, hätte ich mich nur heute
nacht vor deinem Bette erschossen, aber der Anblick deiner Schönheit
im Schlafe entwaffnete mich. An dem Rebengeländer deines offenen
Fensters bin ich in deine Stube geklettert und habe die Johanniskäfer
fliegen lassen, an denen ich auf meiner ganzen Reise gesammelt, weil
ich mich erinnerte, daß du sie liebtest; dann legte ich dir die neuen
Schuhe und Strümpfe hin und nahm mir die mit, welche du am Abend
abgelegt hattest; dein trocknet, ehrlicher Mann schien mir über seinen
tollen Gedanken zu träumen, ich habe ihn gestern schon gesprochen, er
begegnete mir hier im Walde botanisierend; es war schon düster, und
da ich selbst Waldblumen dir zum Strauße suchte, hielt er mich für
seinesgleichen, und wir gerieten in ein langes alchimisches Gespräch.
Ich teilte ihm die Anweisung eines Mönches mit, der mich auf meiner
letzten Reise in der Provence, als ich in einem Kloster übernachtete,
lange von dem Geheimnis unterhielt, einen lebendigen Menschen auf
chemischem Wege in einem Glase heraus zu destillieren. Dein guter
Mann nahm alles für bare Münze, umarmte mich herzlich und bat mich,
ihn bald zu besuchen, worauf er mich verließ; ach, er wußte nicht, daß
ich ihn in derselben Nacht wirklich auf halsbrechendem Wege
besuchen sollte. Wie muß ich dich bedauern, daß du kinderlos und
eines solchen Toren Gattin bist!‹
Ich war noch unwillig auf meinen Mann wegen seiner nächtlichen
Eifersucht und sagte:›Ja, ich habe ihn als einen Toren kennengelernt. ‹
Aber da die Zeit der Trennung fast verflossen war und ich meine Arme
um ihn schlang und ausrief: ›Lebe wohl, lieber, lieber Ludewig! Sieh,
wie diese heilige Stunde des Wiedersehens verflossen ist, so geht auch
bald das ganze elende Leben dahin, habe ein wenig Geduld, alles ist
bald zu Ende‹, da brach er drei Nüsse von einem Baume bei der
Kapelle und sprach. ›Diese Nüsse wollen wir zu ewigem Angedenken
noch zusammen essen, und sooft wir Nüsse sehen, wollen wir
aneinander gedenken.‹ Er biß die erste Nuß auf, teilte sie mit mir und
küßte mich zärtlich; ›ach‹, sagte er, ›da fällt mir ein alter Reim von den
Nüssen ein, er fängt an: Unica nux prodest, eine einzige Nuß ist
nützlich; aber es ist nicht wahr, denn wir müssen bald scheiden. Die
folgenden Worte sind wahrer: Nocet altera, die zweite schadet; jawohl,
jawohl, denn wir müssen bald scheiden!‹ Da umarmte er mich unter
heftigen Tränen und teilte die dritte Nuß mit mir und sagte: ›Bei dieser
sagt der Spruch wahr; o Amelie, vergiß mich nicht, bete für mich!
Tertia mors est, die dritte Nuß ist der Tod!‹--Da fiel ein Schuß,
Ludewig stürzte zu meinen Füßen; ›tertia mors est!‹ schrie eine Stimme
durch das Fenster der Kapelle; ich schrie: ›O Jesus, mein Bruder, mein
armer Bruder Ludewig erschossen!‹"
"Allmächtiger Gott! Ihr Bruder war es?" rief der Bürgermeister aus.
"Ja, es war mein Bruder", erwiderte sie ernst; "und nun erwägen Sie
mein Leid, da mein Mann, als der Mörder, mit einer Pistole vor mich
trat; er hatte noch einen Schuß in dem Gewehr, er wollte sich selbst
töten; ich aber entriß ihm die Waffe und warf sie in das Gebüsch. ›Flieh,
flieh!‹ rief ich aus, ›die Gerechtigkeit verfolgt dich, du bist ein Mörder
geworden!‹ Er war in Schmerzen versteinert, er wollte nicht von der
Stelle; wir hörten Leute, die sich auf den Schuß von der Landstraße
nahten, ich gab ihm das Geld und die Geschmeide, die ich meinem
Bruder bestimmt hatte, und stieß ihn aus der Kapelle hinaus.
Nun ließ ich meinem Wehgeschrei vollen Lauf, und die Ankommenden,
unter welchen Männer waren, die mich kannten, brachten mich, wie
eine halb Wahnsinnige, nach Hause. Der Leichnam meines Bruders
ward auf das Rathaus gebracht; es begann eine gräßliche Untersuchung.
Glücklicherweise fiel ich in ein hitziges Fieber und war lange genug
ohne den Gebrauch meiner Sinne, um meinen Gemahl nicht eher
verraten zu können, als bis er bereits in völliger Sicherheit über der
Grenze war. Kein Mensch zweifelte, daß er der Mörder sei, weil er an
demselben Abend verschwunden war. Die Verleumdung fiel nun mit
ihren greulichsten Zungen über mich her.--Alles, was andre Frauen von
mir sagten, die mich meines Elends, meiner Schönheit wegen
beneideten, alle Schandreden der Männer, welche nichts an mir ärgern
konnte als meine Tugend, will ich hier nicht wiederholen; genug, wenn
ich sage, daß man mir den Beweis, der Ermordete sei mein Bruder,
durch den schändlichsten Verdacht zu erschweren suchte. Alles wollte
mich in den Staub treten, um über meine gehässige Tugend zu
triumphieren. Dabei genoß ich der ekelhaftesten Teilnahme aller jungen
Advokaten und war im Begriffe, vor Bedrängnis und Jammer wirklich
den Verstand zu verlieren. Auf ein Testament
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.