Die drei Nüsse | Page 4

Clemens Brentano
ihnen freundlich und gab ihnen folgenden Vers aus der Schola Salernitana zu verdeutschen auf: "Unica nux prodest, nocet altera, tertia mors est."--Da übersetzten sie: "Eine Nu? nützt, die zweite schadet, der Tod ist die dritte." M?ller aber sagte zu ihnen, diese übersetzung k?nne unm?glich die rechte sein, da sie die dritte Nu? l?ngst genossen und doch noch frisch und gesund seien; sie m?chten sich eines Bessern besinnen. Kaum waren diese Worte gesprochen, als der Alchimist mit Bestürzung pl?tzlich vom Tische aufsprang und sich in der ihm angewiesenen Stube verschlo?, worüber alle Anwesende in nicht geringer Verwunderung waren. Der jüngste Sohn des Bürgermeisters folgte dem Fremden, um ihn auf Befehl seines Vaters zu fragen, ob ihm etwas zugesto?en sei; da er aber die Türe verschlossen fand, sah er durch das Schlüsselloch den Fremden auf den Knien liegen und unter Tr?nen und H?nderingen mehrere Male ausrufen: "Ah, mon Dieu, mon Dieu!"
Kaum hatte der Knabe seinem Vater dies hinterbracht, als der Fremde sich von dem Diener zu einer einsamen Unterredung melden lie?. Alle entfernten sich. Da trat der Alchimist herein, fiel auf die Knie, umfa?te die Fü?e des Bürgermeisters und flehte ihn unter heftigen Tr?nen an: er m?ge ihn nicht vor Gericht bringen, er m?ge ihn vor einem schm?hlichen Tode erretten.
Der Bürgermeister, heftig über seine Rede erschrocken, fürchtete, der Mensch m?ge den Verstand verloren haben, hob ihn von der Erde auf und bat ihn freundlich: er m?ge ihm sagen, wie er auf so schreckliche Reden komme. Da erwiderte der Fremde: "Herr, verstellen Sie sich nicht, Sie und der Magister M?ller kennen mein Verbrechen; der Vers von den drei Nüssen beweist es: tertia mors est, die dritte ist der Tod; ja, ja, eine bleierne Kugel war es, ein Druck des Fingers, und er schlug nieder. Sie haben sich verabredet, mich zu peinigen, Sie werden mich ausliefern, ich werde durch Sie unter das Schwert kommen."
Der Bürgermeister glaubte nun die Verrücktheit des Alchimisten gewi? und suchte ihn durch freundliches Zureden zu beruhigen. Er aber lie? sich nicht beruhigen und sprach: "Wenn Sie es auch nicht wissen, so wei? es doch Ihr Hofmeister gewi?, denn er sah mich durchdringend an, als er sagte: ?tertia mors est?." Nun konnte der Bürgermeister nichts anders tun, als ihn bitten, ruhig zu Bette zu gehen, und ihm sein Ehrenwort zu geben, da? weder er noch M?ller ihn verraten würden, wenn irgend etwas Wahres an seinem Unglücke sein sollte. Der Unglückliche aber wollte ihn nicht eher verlassen, bis M?ller gerufen war und ihm auch heilig beteuerte, da? er ihn nicht verraten wolle; denn da? auch er nicht das mindeste von seinem Unglücke wisse, wollte er sich auf keine Weise überreden lassen.
Am folgenden Morgen entschlo? sich der Unglückliche, von Kolmar nach Basel zu gehen, und bat den Magister M?ller um eine Empfehlung an einen Professor der Medizin. M?ller schrieb ihm einen Brief an den Doktor Bauhinus und reichte ihm denselben offen, damit er keine Art von Verdacht sch?pfen k?nne. Er verlie? das Haus mit Tr?nen und nochmaligem Flehen, ihn nicht zu verraten.
Im folgenden Jahre um dieselbe Zeit, etwa drei Wochen sp?ter, als der Bürgermeister mit den Seinigen wieder Nüsse a? und sie sich dabei alle lebhaft an den unglücklichen Alchimisten erinnerten, lie? sich eine Frau bei ihm melden. Er hie? sie hereintreten; sie war eine Reisende in anst?ndiger Tracht, sie trauerte und schien vom Kummer ganz zerst?rt, doch hatte sie noch Spuren von gro?er Sch?nheit. Der Bürgermeister bot ihr einen Stuhl an, stellte ihr ein Glas Wein und einige Nüsse vor; aber sie geriet bei dem Anblick dieser Frucht in eine heftige Erschütterung, die Tr?nen liefen ihr die Wangen herab: "Keine Nüsse, keine Nüsse!" sagte sie und schob den Teller zurück.
Diese ihre Weigerung, mit der Erinnerung an den Alchimisten, brachte unter den Tischgenossen eine eigene Spannung hervor. Der Bürgermeister befahl dem Diener, die Nüsse sogleich wegzubringen, und bat die Frau, nach einer Entschuldigung, da? er ihren Abscheu vor den Nüssen nicht gekannt, um die Angabe des Gesch?ftes, das sie zu ihm geführt.
"Ich bin die Witwe eines Apothekers aus Lyon", sagte sie, "und wünsche mich hier in Kolmar niederzulassen. Die traurigsten Schicksale n?tigen mich, meine Vaterstadt zu verlassen."--Der Bürgermeister fragte sie um ihre P?sse, auf da? er versichert sein k?nne, da? sie ihr Vaterland frei von allen gerichtlichen Ansprüchen auf sie verlassen habe. Sie übergab ihre Papiere, die in der besten Ordnung waren und ihr den Namen der Witwe des Apothekers Pierre du Pont oder Petrus Pontanus gaben. Auch zeigte sie dem Bürgermeister mancherlei Atteste der medizinischen Fakult?t von Montpellier, da? sie im Besitz der Fabrikationsrezepte vieler trefflicher Arzeneien sei.
Der Bürgermeister versprach ihr alle m?gliche Unterstützung bei ihrer Niederlassung und bat sie, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen, wo er ihr Empfehlungen an einige ?rzte und Apotheker der Stadt schreiben wollte. Als er nun die Frau die Treppe hinauf führte und oben über den
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