Die Witwe von Pisa | Page 6

Paul Heyse
paar warme türkische Pantoffeln vor meinem Bett, die
offenbar dem Seligen, meinem Vor-Wolf, gehört hatten; übrigens
waren sie noch so gut wie neu. Mittags mußte ich mit aller Gewalt ein
Fritto von Artischocken und kleinen Kürbissen kosten, das Madonna
Lucrezia selbst bereitet haben wollte, und ihr mit einem Glase Chianti
Bescheid tun. Erminia, die mit am Tisch aß und die beiden Bimbi
fütterte, hatte wieder genug zu kichern, und nur das Hündchen knurrte
mich feindselig an, als einen Eindringling, der ihm seine Ration zu
verkümmern drohte. Dabei führten wir tiefsinnige Gespräche über
deutsche und toskanische Kochkunst, und ich abtrünniger Sohn meines
Vaterlandes verleugnete sogar das deutsche Sauerkraut gegenüber den
italienischen Artischocken. Das schien ihr bedeutsam genug, um
andern Tags einen noch lebhafteren Sturm zu wagen. Denken Sie, was
das verschmitzte Geschöpf sich einfallen ließ! Ich bin am Vormittag
wie gewöhnlich auf meinem schiefen Turm, nun schon in den obersten
Geschossen, und denke an nichts Arges, da höre ich unten aus der Tiefe
zu mir heraufsingen das nur zu wohlbekannte: "Ah sin' all' ore all' ore
estreme", und richtig, meine schöne Freundin ersteigt herzhaft die
langen Wendeltreppen, so daß an ein Entrinnen nicht zu denken war,
ich hätte denn hinter den Pfeilergalerien Versteckens spielen müssen.
Was sie eigentlich beabsichtigte, ist mir heute noch nicht recht klar;
denn von der obersten Zinne sich, entweder allein, oder Arm in Arm
mit mir hinabzustürzen, wenn ich ihr nicht endlich ein festes
Heiratsversprechen gäbe, dazu war sie ein viel zu praktischer Charakter,
viel zu sehr--Italienerin, hätt' ich beinahe gesagt. Aber ich will Ihren
Idealismus nicht kränken. Am Ende war es auch bloß die Langeweile,
die sie zu mir trieb. Ich natürlich stellte mich sehr erfreut, machte die
Honneurs des Turnies aufs Liebenswürdigste, und da wir ganz allein
waren, hielt ich es für angebracht, ihr wenigstens wieder einmal die
Hand zu küssen. Sie hatte auch gerade ihren guten Tag. Vom Steigen
war ihr wachsbleiches Gesicht etwas gerötet, und wie sie so die
kohlschwarzen Augen über Dom und Baptisterium und Stadt und
fernes Gebirge funkeln ließ, schien sie mir wirklich keine üble Partie.
Notabene für einen Italiener, der keine Gemütsansprüche machte. Ich
sagte ihr sehr viel schöne Dinge, die das arme Lamm, nach der langen

schlechten Behandlung von meiner Seite, mit sichtlichem Behagen
einschlürfte. Natürlich wurde ich durch einige zärtliche Anspielungen
und sehr ermutigende Blicke belohnt. Aber ich hatte nicht nötig, durch
Umdrehung meines Verlobungsringes einen guten Geist zu beschwören,
daß er mich in dieser Versuchung beschütze, denn ich wußte es ganz
deutlich, daß ich ihr bei all ihren kleinen schmachtenden Manövern im
Grunde der Seele so gleichgültig war wie die Marmorstufe, auf der sie
stand. Und so kamen wir denn nach Verlauf einer Stunde beide ganz
wohlbehalten unten auf dem Domplatze wieder an.
Sie aber mußte doch wohl glauben, das Eisen zum Glühen gebracht zu
haben, denn sie verlor keine Zeit, es zu schmieden. Noch denselben
Nachmittag schleppte sie mich in eines der offenen Theater,--ich
glaubte, das sogenannte Politeama war's--Sie werden sich erinnern.
Vergebens wandte ich ein, daß ich sie zu kompromittieren fürchte,
wenn man uns zwei so öffentlich miteinander das Schauspiel besuchen
sähe. --Die Sachen sind nun doch schon so weit gediehn, gab sie ganz
gelassen zur Antwort, daß Sie mich viel stärker, als Sie schon getan,
überhaupt nicht mehr kompromittieren können. Und wird nicht doch
einmal der Schleier fallen müssen?--Jawohl, seufzte ich bei mir selbst,
die Schuppen werden dir von den Augen fallen, armes Lamm!--und so
begleitete ich sie mit heroischer Fassung ins Theater.
Ich glaubte erst, sie habe dieses gemeinsame Vergnügen nur darum
arrangiert, um sich wirklich recht geflissentlich vor aller Welt zu
kompromittieren und mich dadurch moralisch zu binden. Aber sie hatte
noch eine Nebenabsicht. In den Zwischenakten der ziemlich
langweiligen modernen Tragödie, während deren Lucrezia beständig
kandierte Früchte naschte, trat nämlich ein Sänger auf, den ich als eine
ungewöhnliche Figur schon öfters auf den Straßen von Pisa studiert
hatte. Er schlenderte gewöhnlich, in ein zimmetbraunes, malerisch
geschnittenes Tuchwams und weite Hosen von derselben Farbe
gekleidet, einen breiten, phantastischen Hut auf die dicken schwarzen
Haare gedrückt, in Begleitung eines kleinen braunen Weibchens, das
ihn führte, durch die Straßen, immer vor sich hin lächelnd mit einem
halb gutmütigen, halb ironischen Ausdruck, während das feine scharfe
Gesichtchen der Frau einen versteinerten Leidenszug hatte. Ich hatte

mir sagen lassen, dies sei ein ehemals berühmter Sänger, Tobla Seresi,
ein prachtvoller Bariton, der leider den Verstand verloren habe und
darum als Opernsänger nicht mehr zu brauchen sei. Denn er habe
zuweilen Anfälle von Tobsucht, wo dann nur seine kleine Frau, die er
zärtlich liebe, ihn zu behandeln und wieder zahm zu machen verstehe.
Zuweilen singe er auf den Theatern in den Zwischenakten, um sich
etwas zu verdienen; dann stehe das kleine Weibchen immer hinter den
Kulissen und beobachte ängstlich jede Miene in seinem Gesicht.
Dieser Sor Tobia nun sang,
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