Die Witwe von Pisa | Page 4

Paul Heyse
jener Mustertrattorie Italiens, dem "Nettuno" am
Lungarno, verzehrte und gerade das Doppelte meiner gewöhnlichen
Weinration dazu trank. Ich mußte mich stärken für den Fall, an den ich
nur mit Schrecken denken konnte, daß ich einen solchen Tisch in Pisa
wissen und mich doch wieder, wie schon so oft, jämmerlich mit einem
aus Stühlen, Stock und Regenschirm gezimmerten Notgestell behelfen
müßte.
Und wie ich so gegen drei Uhr wieder die steinerne Treppe hinaufstieg,
klopfte mir ordentlich das Herz, als ob es sich nicht um ein Stück Holz,
sondern um die Besitzerin selbst handelte und ich sollte mir eben
Bescheid auf einen viel bedenklicheren Antrag holen. Diesmal kam sie
mir, schwarz angetan, in etwas gewählterer Haartracht entgegen und
schien ebenfalls nicht ganz unbefangen. Ich legte mir das zu meinen
Gunsten aus und erschrak nicht wenig, als sie mir ohne viel Vorreden
eröffnete, sie habe in Abwesenheit des Onkels die Tante befragt, die
ebenfalls meine, diesen Schritt nicht wohl verantworten zu können.
Eine junge Witwe--und dabei senkte sie mit recht täuschender
Verschämtheit ihre schwarzen Augen--noch dazu wenn sie Künstlerin
war--und in den Jahren, wo man noch nicht auf ein neues Lebensglück
verzichtet--Sie werden begreifen, daß es Rücksichten gibt, die man den
Seinigen schuldig ist, und der Wunsch meines Oheims, mich wieder

vermählt zu sehen--ein Galantuomo wie Sie, mein Herr, wird dem
Glück einer einzelstehenden jungen Frau nichts in den Weg legen
wollen.
Ganz im Gegenteil, meine beste Dame, rief ich lebhaft aus--immer die
Augen auf meinen schönen Tisch geheftet--, vielmehr würde ich
überglücklich sein, Ihnen beweisen zu können, wie sehr ich Ihre
Zurückhaltung schätze, wie sehr ich Sie wegen der Reize, Talente und
Tugenden, die Ihre Person schmücken, bewundere und verehre. Ja, Sie
haben recht, und Ihr würdiger Oheim hat recht: ein Wesen wie Sie ist
geschaffen, glücklich zu sein und glücklich zu machen. Der Ärmste,
der dieses Glück nur so kurze Zeit genossen hat! Wie lange ist er Ihnen
schon entrissen?
Zehn Monate, sagte sie, ohne daß die Erinnerung sie besonders
anzugreifen schien. Er reiste nach Neapel, fiel unter die Briganten--und
kam nicht wieder. Soll ich Ihnen seine Photographie zeigen?
Damit ging sie mir voran in das Nebenzimmer, das etwas reichlicher
möbliert war und offenbar als eine Art Salon benützt wurde. Hier stand
der Flügel, ein eleganter Schreibtisch nahe am Fenster, einige bunte
Vogelkäfige hingen von der Decke herab, und die Wände waren mit
Porträts berühmter Theatergrößen bedeckt. Im unscheinbarsten Rahmen
über dem Sofa, mit einem verstaubten Lorbeerkranz umgeben, sah ich
das Bild eines ernsten Mannes in mittleren Jahren, den sie mir als ihren
Seligen vorstellte. Auch jetzt konnte ich keine Spur einer
Gemütsbewegung auf ihrem Gesicht entdecken. Die Kanarienvögel
schrien, ein kleines Wachtelhündchen kroch unter dem Sofa hervor und
fing an zu bellen, Aschenputtel hörte ich durchs Schlüsselloch
hereinkichern, und mitten in diesem Tumult stand meine Schöne und
sprach ganz gelassen von einem neuen Lebensglück, wobei sie mich
einlud, auf dem Sofa neben ihr Platz zu nehmen.
Ich äußerte ihr meine Verwunderung, daß sie schon zehn Monate allein
stehe, ohne von allen Seiten umworben zu werden.--Ich bin wählerisch,
sagte sie. Ich war zu glücklich mit meinem Carlo, um mich der Gefahr
auszusetzen, mich an jemand zu binden, der mich weniger liebte als er.
Mehrere haben um mich angehalten, noch erst vorgestern ein junger

Graf; den hätte ich auch wohl genommen, aber er war zu jung für mich,
erst neunzehn Jahre, und ich bin doch schon dreiundzwanzig. Der arme
Mensch dauerte mich freilich; aber was wollen Sie? Man kann doch
nicht alle heiraten, die vor Liebe zu einem den Verstand verlieren.
Freilich nicht, erwiderte ich. Was wollten Sie auch mit einem solchen
Kinde anfangen? Nur ein reiferer Mann, der das Leben schon kennt,
würde Ihren Wert ganz zu schätzen wissen und Ihnen einigermaßen den
Verlorenen ersetzen.
Sie seufzte. O die Männer! sagte sie. Alle sind sie Egoisten! Nur die
Jugend hat noch Hingebung und Begeisterung für das Schöne. Die
Reiferen werden kalt und sind nicht mehr fähig, glücklich zu machen.
Es käme auf den Versuch an, sagte ich, halb arglos, halb um sie zu
vcrsuchen; denn ich merkte nun wohl, wie die Dinge standen, und daß
die Tante unter gewissen Voraussetzungen ihr Veto gern zurückziehen
würde. Dabei kam mir das ganze Abenteuer so drollig vor, daß der
Übermut sich in mir regte, die Posse noch etwas weiter zu spielen.
Schöne Frau, sagte ich, wie heißen Sie eigentlich?
Lucrezia, erwiderte sie und sah mich mit unbeweglichen Augen
forschend an.
Schöne Lucrezia, fuhr ich fort, vielleicht ist es ein Werk der Vorsehung,
daß ich jetzt auf diesem Sofa sitze. Ich bin viel herumgeschweift (ich
meinte: in Pisa, nach Wohnungen; sie verstand: in der Welt) und habe
nirgends gefunden, was ich suchte. Erst in diesem Hause--und dabei
schielte ich wieder durch die Türe nach dem schönen Zeichentisch--ja,
Madonna Lucrezia, erst hier fühle ich den Drang, zu bleiben
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 16
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.