Die Wahlverwandtschaften | Page 7

Johann Wolfgang von Goethe
diesem lieben Kinde den ganzen Charakter ihrer Mutter, meiner wertesten Freundin, gewahr werde, die sich neben mir entwickelt hat und deren Tochter ich gewi?, wenn ich Erzieherin oder Aufseherin sein k?nnte, zu einem herrlichen Gesch?pf heraufbilden wollte.
Da es aber einmal nicht in unsern Plan geht und man an seinen Lebensverh?ltnissen nicht soviel zupfen und zerren, nicht immer was Neues an sie heranziehen soll, so trag ich das lieber, ja ich ��berwinde die unangenehme Empfindung, wenn meine Tochter, welche recht gut wei?, da? die arme Ottilie ganz von uns abh?ngt, sich ihrer Vorteile ��berm��tig gegen sie bedient und unsre Wohltat dadurch gewisserma?en vernichtet.
Doch wer ist so gebildet, da? er nicht seine Vorz��ge gegen andre manchmal auf eine grausame Weise geltend machte!
Wer steht so hoch, da? er unter einem solchen Druck nicht manchmal leiden m��?te!
Durch diese Pr��fungen w?chst Ottiliens Wert; aber seitdem ich den peinlichen Zustand recht deutlich einsehe, habe ich mir M��he gegeben, sie anderw?rts unterzubringen.
St��ndlich soll mir eine Antwort kommen, und alsdann will ich nicht zaudern.
So steht es mit mir, mein Bester.
Du siehst, wir tragen beiderseits dieselben Sorgen in einem treuen, freundschaftlichen Herzen.
La? sie uns gemeinsam tragen, da sie sich nicht gegeneinander aufheben!" "Wir sind wunderliche Menschen", sagte Eduard l?chelnd.
"Wenn wir nur etwas, das uns Sorge macht, aus unserer Gegenwart verbannen k?nnen, da glauben wir schon, nun sei es abgetan.
Im ganzen k?nnen wir vieles aufopfern, aber uns im einzelnen herzugeben, ist eine Forderung, der wir selten gewachsen sind.
So war meine Mutter.
Solange ich als Knabe oder J��ngling bei ihr lebte, konnte sie der augenblicklichen Besorgnisse nicht los werden.
Versp?tete ich mich bei einem Ausritt, so mu?te mir ein Ungl��ck begegnet sein; durchnetzte mich ein Regenschauer, so war das Fieber mir gewi?.
Ich verreiste, ich entfernte mich von ihr, und nun schien ich ihr kaum anzugeh?ren.
Betrachten wir es genauer", fuhr er fort, "so handeln wir beide t?richt und unverantwortlich, zwei der edelsten Naturen, die unser Herz so nahe angehen, im Kummer und im Druck zu lassen, nur um uns keiner Gefahr auszusetzen.
Wenn dies nicht selbsts��chtig genannt werden soll, was will man so nennen!
Nimm Ottilien, la? mir den Hauptmann, und in Gottes Namen sei der Versuch gemacht!" "Es m?chte noch zu wagen sein", sagte Charlotte bedenklich, "wenn die Gefahr f��r uns allein w?re.
Glaubst du denn aber, da? es r?tlich sei, den Hauptmann mit Ottilien als Hausgenossen zu sehen, einen Mann ohngef?hr in deinen Jahren, in den Jahren--da? ich dir dieses Schmeichelhafte nur gerade unter die Augen sage -, wo der Mann erst liebef?hig und erst der Liebe wert wird, und ein M?dchen von Ottiliens Vorz��gen?" "Ich wei? doch auch nicht", versetzte Eduard, "wie du Ottilien so hoch stellen kannst!
Nur dadurch erkl?re ich mir's, da? sie deine Neigung zu ihrer Mutter geerbt hat.
H��bsch ist sie, das ist wahr, und ich erinnere mich, da? der Hauptmann mich auf sie aufmerksam machte, als wir vor einem Jahre zur��ckkamen und sie mit dir bei einer Tante trafen.
H��bsch ist sie, besonders hat sie sch?ne Augen; aber ich w��?te doch nicht, da? sie den mindesten Eindruck auf mich gemacht h?tte". "Das ist l?blich an dir", sagte Charlotte, "denn ich war ja gegenw?rtig; und ob sie gleich viel j��nger ist als ich, so hatte doch die Gegenwart der ?ltern Freundin so viele Reize f��r dich, da? du ��ber die aufbl��hende, versprechende Sch?nheit hinaussahest.
Es geh?rt auch dies zu deiner Art zu sein, deshalb ich so gern das Leben mit dir teile".
Charlotte, so aufrichtig sie zu sprechen schien, verhehlte doch etwas.
Sie hatte n?mlich damals dem von Reisen zur��ckkehrenden Eduard Ottilien absichtlich vorgef��hrt, um dieser geliebten Pflegetochter eine so gro?e Partie zuzuwenden; denn an sich selbst in bezug auf Eduard dachte sie nicht mehr.
Der Hauptmann war auch angestiftet, Eduarden aufmerksam zu machen; aber dieser, der seine fr��he Liebe zu Charlotten hartn?ckig im Sinne behielt, sah weder rechts noch links und war nur gl��cklich in dem Gef��hl, da? es m?glich sei, eines so lebhaft gew��nschten und durch eine Reihe von Ereignissen scheinbar auf immer versagten Gutes endlich doch teilhaft zu werden.
Eben stand das Ehepaar im Begriff, die neuen Anlagen herunter nach dem Schlosse zu gehen, als ein Bedienter ihnen hastig entgegenstieg und mit lachendem Munde sich schon von unten herauf vernehmen lie?:" kommen Euer Gnaden doch ja schnell her��ber!
Herr Mittler ist in den Schlo?hof gesprengt.
Er hat uns alle zusammengeschrieen, wir sollen sie aufsuchen, wir sollen Sie fragen, ob es not tue.
'Ob es not tut', rief er uns nach, 'h?rt ihr?
Aber geschwind, geschwind!'.
"Der drollige Mann!" rief Eduard aus; "kommt er nicht gerade zur rechten Zeit, Charlotte?"--"Geschwind zur��ck!" befahl er dem Bedienten; "sage ihm, es tue not, sehr not!
Er soll nur absteigen.
Versorgt sein Pferd; f��hrt ihn in den Saal, setzt ihm ein Fr��hst��ck vor!
Wir kommen gleich".
"La? uns den n?chsten Weg nehmen!" sagte er zu seiner Frau und schlug den Pfad ��ber den Kirchhof ein, den er sonst zu vermeiden pflegte.
Aber wie verwundert war er, als er fand, da?
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