Die Wahlverwandtschaften | Page 5

Johann Wolfgang von Goethe
der Erinnerung, wir liebten die Erinnerung, wir konnten ungest?rt zusammenleben.
Du drangst auf eine Verbindung; ich willigte nicht gleich ein, denn da wir ungef?hr von denselben Jahren sind, so bin ich als Frau wohl ?lter geworden, du nicht als Mann.
Zuletzt wollte ich dir nicht versagen, was du f��r dein einziges Gl��ck zu halten schienst.
Du wolltest von allen Unruhen, die du bei Hof, im Milit?r, auf Reisen erlebt hattest, dich an meiner Seite erholen, zur Besinnung kommen, des Lebens genie?en; aber auch nur mit mir allein.
Meine einzige Tochter tat ich in Pension, wo sie sich freilich mannigfaltiger ausbildet, als bei einem l?ndlichen Aufenthalte geschehen k?nnte; und nicht sie allein, auch Ottilien, meine liebe Nichte, tat ich dorthin, die vielleicht zur h?uslichen Geh��lfin unter meiner Anleitung am besten herangewachsen w?re.
Das alles geschah mit deiner Einstimmung, blo? damit wir uns selbst leben, blo? damit wir das fr��h so sehnlich gew��nschte, endlich sp?t erlangte Gl��ck ungest?rt genie?en m?chten.
So haben wir unsern l?ndlichen Aufenthalt angetreten.
Ich ��bernahm das Innere, du das ?u?ere und was ins Ganze geht.
Meine Einrichtung ist gemacht, dir in allem entgegenzukommen, nur f��r dich allein zu leben; la? uns wenigstens eine Zeitlang versuchen, inwiefern wir auf diese Weise miteinander ausreichen".
"Da das Zusammenh?ngende, wie du sagst, eigentlich euer Element ist", versetzte Eduard, "so mu? man euch freilich nicht in einer Folge reden h?ren oder sich entschlie?en, euch recht zu geben; und du sollst auch recht haben bis auf den heutigen Tag.
Die Anlage, die wir bis jetzt zu unserm Dasein gemacht haben, ist von guter Art; sollen wir aber nichts weiter darauf bauen, und soll sich nichts weiter daraus entwickeln?
Was sich im Garten leiste, du im Park, soll das nur f��r Einsiedler getan sein?"
"Recht gut!" versetzte Charlotte, "recht wohl!
Nur da? wir nichts Hinderndes, Fremdes hereinbringen!
Bedenke, da? unsre Vors?tze, auch was die Unterhaltung betrifft, sich gewisserma?en nur auf unser beiderseitiges Zusammensein bezogen.
Du wolltest zuerst die Tageb��cher deiner Reise mir in ordentlicher Folge mitteilen, bei dieser Gelegenheit so manches dahin Geh?rige von Papieren in Ordnung bringen und unter meiner Teilnahme, mit meiner Beih��lfe aus diesen unsch?tzbaren, aber verworrenen Heften und Bl?ttern ein f��r uns und andere erfreuliches Ganze zusammenstellen.
Ich versprach, dir an der Abschrift zu helfen, und wir dachten es uns so bequem, so artig, so gem��tlich und heimlich, die Welt, die wir zusammen nicht sehen sollten, in der Erinnerung zu durchreisen. Ja, der Anfang ist schon gemacht.
Dann hast du die Abende deine Fl?te wieder vorgenommen, begleitest mich am Klavier; und an Besuchen aus der Nachbarschaft und in die Nachbarschaft fehlt es uns nicht.
Ich wenigstens habe mir aus allem diesem den ersten wahrhaft fr?hlichen Sommer zusammengebaut, den ich in meinem Leben zu genie?en dachte".
"Wenn mir nur nicht", versetzte Eduard, indem er sich die Stirne rieb, "bei alle dem, was du mir so liebevoll und verst?ndig wiederholst, immer der Gedanke beiginge, durch die Gegenwart des Hauptmanns w��rde nichts gest?rt, ja vielmehr alles beschleunigt und neu belebt.

Auch er hat einen Teil meiner Wanderungen mitgemacht; auch er hat manches, und in verschiedenem Sinne, sich angemerkt: wir benutzten das zusammen, und alsdann w��rde es erst ein h��bsches Ganze werden".
"So la? mich denn dir aufrichtig gestehen", entgegnete Charlotte mit einiger Ungeduld, "da? diesem Vorhaben mein Gef��hl widerspricht, da? eine Ahnung mir nichts Gutes weissagt".
"Auf diese Weise w?ret ihr Frauen wohl un��berwindlich", versetzte Eduard, "erst verst?ndig, da? man nicht widersprechen kann, liebevoll, da? man sich gern hingibt, gef��hlvoll, da? man euch nicht weh tun mag, ahnungsvoll, da? man erschrickt".
"Ich bin nicht abergl?ubisch", versetzte Charlotte, "und gebe nichts auf diese dunklen Anregungen, insofern sie nur solche w?ren; aber es sind meistenteils unbewu?te Erinnerungen gl��cklicher und ungl��cklicher Folgen, die wir an eigenen oder fremden Handlungen erlebt haben.
Nichts ist bedeutender in jedem Zustande als die Dazwischenkunft eines Dritten.
Ich habe Freunde gesehen, Geschwister, Liebende, Gatten, deren Verh?ltnis durch den zuf?lligen oder gew?hlten Hinzutritt einer neuen Person ganz und gar ver?ndert, deren Lage v?llig umgekehrt wurde".
"Das kann wohl geschehen", versetzte Eduard, "bei Menschen, die nur dunkel vor sich hinleben, nicht bei solchen, die, schon durch Erfahrung aufgekl?rt, sich mehr bewu?t sind".
"Das Bewu?tsein, mein Liebster", entgegnete Charlotte, "ist keine hinl?ngliche Waffe, ja manchmal eine gef?hrliche f��r den, der sie f��hrt; und aus diesem allen tritt wenigstens soviel hervor, da? wir uns ja nicht ��bereilen sollen.
G?nne mir noch einige Tage, entscheide nicht!"
"Wie die Sache steht", erwiderte Eduard, "werden wir uns auch nach mehreren Tagen immer ��bereilen.
Die Gr��nde f��r und dagegen haben wir wechselsweise vorgebracht; es kommt auf den Entschlu? an, und da w?r es wirklich das Beste, wir g?ben ihn dem Los anheim".
"Ich wei?", versetzte Charlotte, "da? du in zweifelhaften F?llen gerne wettest oder w��rfelst; bei einer so ernsthaften Sache hingegen w��rde ich dies f��r einen Frevel halten".
"Was soll ich aber dem Hauptmann schreiben?" rief Eduard aus; "denn ich mu? mich gleich hinsetzen".
"Einen ruhigen, vern��nftigen, tr?stlichen Brief", sagte Charlotte.
"Das hei?t soviel wie keinen", versetzte Eduard.
"Und doch ist es in manchen F?llen",
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