Die Versuchung des Pescara | Page 8

Conrad Ferdinand Meyer
Herrlichkeit, zur Strafe meiner Sünden! Der Papst ist ein Medici, und diesem Hause ist Florenz verfallen. Ich aber will nicht aus meiner Vaterstadt vertrieben werden, denn flüchtig sein ist das schlimmste Los und gegen seine Heimat zu Felde liegen das gr??te Verbrechen. Der Heilige Vater wei?, wer ich bin, und nimmt mich nicht anders, als ich bin. Ich diene ihm, und er hat nicht über mich zu klagen. Aber ich lasse mir nicht das Maul verbinden, und so sei es mit Wonne ausgesprochen unter uns Wissenden: Fra Martino hat eine gerechte Sache, und sie wird sich behaupten."
Dem Herzog machte es Spa?, und er empfand eine Schadenfreude, es zu erleben, wie der gro?e germanische Ketzer von einem Sachwalter des heiligen Vaters verherrlicht wurde. Freilich überlief ihn eine G?nsehaut, da? solches in seiner Gegenwart und in seinem Palaste geschehe. Er winkte die Diener weg, welche eben die Früchte aufgesetzt hatten und der spannenden Unterhaltung ihre stille Aufmerksamkeit widmeten.
Jetzt forderte Morone, der sich auf seinem Stuhle hin und her geworfen, mit flammenden Augen den Florentiner auf: "Ihr seid ein Staatsmann, Guicciardin, und auch ich pfusche ins Handwerk. Wohlan, begründet eure merkwürdigen S?tze: Bruder Martinus thut ein gerechtes Werk, und dieses Werk wird gelingen und dauern."
Guicciardin leerte ruhig seinen Becher, w?hrend der sch?ne L?lius ein Zuckerbrot zerbr?ckelte, der Herzog nach seiner Art sich im Sessel gleiten lie? und Morone begeistert von dem seinigen aufsprang.
"Nicht wahr, Herrschaften", begann der Florentiner, "kein Kind, kein Thor würde es ertragen, wenn ein Ding vorgeben wollte, dasselbe Ding geblieben zu sein, nachdem es sich in sein Gegentheil verwandelt h?tte, zum Beispiel das Lamm in den Wolf, oder ein Engel in einen Teufel. Wie wir nun in unserm gebildeten Italien von der heiligen Gestalt denken m?gen, die sich in den P?psten fortsetzt, eines ist nicht zu leugnen: da? sie nur Gutes und Sch?nes gewollt hat. Und ihre Nachfolger, die das Werk und Amt des Nazareners übernommen haben--sehet nur die viere der Wende des Jahrhunderts! Da ist der Verschw?rer, der unsern gütigen Julian gemeuchelt hat! Dann kommt der schamlose Verk?ufer der g?ttlichen Vergebung! Nach ihm der M?rder, jener unheimliche z?rtliche Familienvater! Keine Fabelgestalten, sondern Ungeheuer von Fleisch und Blut, in kolossalen Verh?ltnissen vor dem Auge der Gegenwart stehend! Und der vierte, den ich von Jenen trenne: unser gro?er Julius, ein Heros, der Gott Mars, aber ein Gegensatz, noch schreiender als jene Dreie zu dem sanftmüthigen Friedestifter! Viermal nacheinander dieser Widerspruch, das ist ein Hohn gegen die menschliche Vernunft. Es nimmt ein Ende: entweder verschwindet jene erste himmlische Gestalt in dieser dampfenden H?lle und flammenden Waffenschmiede, oder Bruder Martinus l?st sie mit einem scharfen Schnitt von solchen Nachfolgern und Amtsbrüdern."
"Das ist lustig", meinte der Herzog, w?hrend der Kanzler wie besessen in die H?nde klatschte.
"Eine Predigt Savonarolas", lie? sich der sch?ne Lelio vernehmen, ein G?hnen verwindend. "Wenn wir Fra Martino in Venedig h?tten, so k?nnten wir ihn zügeln und sachdienlich verwenden. Aber seinem germanischen Trotzkopf überlassen, wird er, fürcht' ich, über kurz oder lang dem Andern auf den Scheiterhaufen folgen."
"Nein", versetzte Guicciardin heiter, "seine braven deutschen Fürsten werden ihr Schwert vor ihn halten und ihn schützen."
"Doch wer schützt seine Fürsten?" spottete der Venezianer.
Guicciardin schlug eine fr?hliche Lache auf. "Der heilige Vater", sagte er. "Sehet, Herrschaften, das ist eine jener verdammt feinen Zwickmühlen, wie sie der Zufall oder ein Besserer in der Weltgeschichte anlegt. Seit unsere P?pste sich verweltlicht haben und einen Staat in Italien besitzen, ist ihnen das kleine Zepter theurer als der lange Hirtenstab. Ist nicht, diesem Scepter zuliebe, unser Clemens im Begriff, dem frommgl?ubigen Kaiser f?rmlich den Krieg zu erkl?ren? Einem heiligen Vater aber, der mit Kanonen auf ihn schie?t, wird Karl kaum den Gefallen thun, seine tapfern germanischen Landsknechte in die Kirche zurückzuzwingen. Und umgekehrt: wenn die ketzerischen deutschen Fürsten gegen die Kaiserliche Majest?t sich emp?ren und Panier aufwerfen, wird der heilige Vater nicht ihre Seele vorl?ufig in Ruhe lassen und sich heimlich ihrer Waffen bedienen? Unterdessen aber w?chst der Baum und streckt seine Wurzeln."
Jetzt wurde der Herzog unruhig. Es kam die angenehme Stunde seines Tagewerkes, in welcher er seine Hunde und Falken mit eigenen H?nden fütterte. "Herrschaften", sagte er, "mich würde dieser germanische M?nch nicht verführen. Man hat mir sein Bildnis gezeigt: ein plumper Bauernkopf, ohne Hals, tief in den Schultern. Und seine G?nner, die saxonischen Fürsten--Bierf?sser!"
Guicciardin zerdrückte den feinen Kelch in der Hand und einen Fluch zwischen den Z?hnen. "Es ist schwül hier im Saale", entschuldigte er sich, und gleich hob der Herzog die Tafel auf. "Wir wollen frische Luft sch?pfen", meinte er. "Auf Wiedersehen, Herrschaften, nach Sonnenuntergang, im grünen Kabinette."
Er verlie? das Zimmer, um dem Venezianer, an welchem er ein Wohlgefallen fand, seine Geb?ude, Terrassen und G?rten zu zeigen. Es waren noch jene unvergleichlichen Anlagen, welche der letzte Visconte gebaut und mit seinem gespenstischen Treiben erfüllt hatte, die überbleibsel jener "Burg des Glückes", wo er, wie ein
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