Die Stufe | Page 7

Franziska Mann
wie viel von meiner trügerischen
»Abgeklärtheit« habe ich zu widerrufen! Hoffentlich überzeugte ich
Dich nicht gestern. Das wäre traurig. -- In der singenden Stunde dieses

Abends, im Lindenduft, der durch die weitgeöffneten Fenster flutet, im
Weiterbeben Deines Liedes in mir, empfinde ich die Möglichkeit
Deines Schweigens wie ein Unglück. Drei Tage keinen Brief von Dir
zu wollen, hieße dreimal ein beseligendes Heute selbst ermorden. Wie
konnte ich glauben, ich bedürfe nicht täglich von neuem der
Versicherung, daß ich Dir herrliche Welten geschaffen habe, daß es
nicht mehr derselbe Himmelsraum ist, der über Dir glänzt, nicht mehr
dieselbe Nacht, die Dich in ihre Finsternis hüllt? Als ob man Liebe
überhaupt begriffe! Schreiben wir uns denn, weil wir uns schreiben
wollen? Schrieben wir uns denn bisher nicht, weil wir einander
schreiben mußten? Sind diese Bangnisse und Erhebungen -- Briefe?
Glauben wir doch uns dieses Ueberflüssige gerade dann offenbaren zu
müssen, nachdem wir eben einander ins Auge geschaut; und dünkte uns
dieser Nachhall nicht gerade dann notwendig? Der Tag, an dem ich
aufgehört haben werde, auf Deinen Brief zu warten, erscheint mir heute
tödlich. Wäre ich in Deinem Alter, so glaubte ich, daß dieser Tag nie
kommen kann. Aber, Roland, lieber Junge, ich bin so weit entfernt von
Deinem Alter. Ich weiß um die raschen Todesfahrten der Liebe, weiß,
daß sie königlich aufbaut und kalt niederzureißen vermag, daß sie
Helden und Märtyrer schafft, daß sie durch Palmenhaine geleitet und in
Eisesgrüfte stößt, weiß, daß Liebe eigentlich stets in Lebensgefahr ist.
Ja, all dieses weiß ich und kann doch der Versuchung nicht widerstehen,
die kaum vernehmbar mir unermüdlich in den letzten Tagen zuhaucht,
daß sie wieder ein Recht habe, sich geltend zu machen, dasselbe Recht
mich zu überglühen wie die Sonne. Oder sollten konventionelle
Bedenken die Sonne verdunkeln können? Ich habe kein Talent zur
Zaghaftigkeit, gar kein Talent zum Verarmen. Vielleicht stellte mich
eine weise Fügung wieder einmal in einen Lebens-Brennpunkt. Man
muß sich ja nicht über jede kurze Wonne »im klaren« sein. Ich bange
nicht mehr! Mir ist dieses ahnungsschwere Zittern Wirklichkeit genug;
nach keiner anderen Wirklichkeit wird meine Liebe zu Dir je
verlangen.
Maria, vielleicht doch Deine Maria?

Roland an Maria.

Maria, wie hat Dein Brief mich beseelt. Ich lebe nur ganz in der
Gegenwart; in dieser Fähigkeit entdeckte ich das Geheimnis der
Lebenskunst. Ich glaube, Cromwell war's, welcher ausrief: »Der
kommt am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht.« Die
Vergangenheit ist in mir untergegangen, mein einstiges einförmiges
Leben scheine ich nie gelebt zu haben. Was kümmert es mich, wohin
eine Welle mich schleudern will? Ich weiß nur von dem einen, Dich
täglich sehen, Deine Stimme täglich vernehmen zu müssen, ein wenig
Deine Hand täglich streicheln zu dürfen. Frei und sicher bewege ich
mich, wie nie vordem. Tiefe Hingabe an ein neues Lebensgefühl
wandelt mir alles zu Ueberraschungen, deren wundersamste die ist,
selbstschöpferisch die Welt zu empfinden. Auch dieses:
»selbstschöpferisch« ist eine Huldigung für Dich, Maria; vielleicht,
Deiner Auffassung entsprechend, die wertvollste. Deine Lebenskraft
konnte übertragbar sein wie Fieber, das Funken und Flammen sehen
läßt, auch dort, wo nüchternere Menschen nur graue Asche gewahren.
Solltest Du dennoch Recht haben, daß dieses Fieber vergehen könnte,
ohne daß der Wille Gewalt darüber hat? Glaube, mein Wille hätte über
eines mit Gewißheit Gewalt: Ueber den Tod. Ich ließe mir nicht die
Welt entheiligen. --
Willst Du anderes hören, denn nur von meinem Empfinden für Dich?
Könntest Du dieses Gesprächs je müde werden? Maria, laß das Meer
brausen, aufschäumen, toben, von dem Du erfahren zu haben glaubst,
auch seine höchsten Wellen konnten verebben. Wie vertrugst Du in
ständiger Wiederkehr solch Verarmen? Muß man denn nicht daran zu
Grunde gehen?
Du bemühtest Dich gestern, mir wieder klar zu machen, daß Du mich
trotz allem nicht an Dich zu fesseln wünschst. Dieses Gefesseltsein ist
nicht mehr in Deine Macht gegeben. Ob Du es willst oder nicht: ich bin
bei Dir. --
Zum Lied wird der Strom, der von Dir zu mir dringt. Verse tönten auch
heute Nacht in mir, aber ich weiß nicht, ob es der Mühe lohnt, sie Dir
zu senden.
Roland -- nur noch Dein Roland.

Maria an Roland.
Mein Junge, hatte ich nicht doch einen vorahnenden Geist, der mich
fühlen ließ, Du würdest -- allmählich, plötzlich, gleichgiltig wann und
wodurch -- die Welt mit den Augen des Schaffenden betrachten? Ich
dachte damals nur an die Kraft des Dichtens, die sich darin äußert, sich
die Welt nicht verstümmeln, vergällen, verbittern zu lassen. Ich dachte
an innere Unverletzbarkeit, an Sonnenblicke, die nie erlöschen können.
Du schliefst, bist erwacht, bist entfesselt; Dein Leben beginnt. Was
konntest Du von der Welt verlangen, solange Du selbst nicht bereit
warst, Dich ihr zu geben? Nun bist Du bereit, das verändert alles. Aber,
daß Deine dichtende Seele sich immer wieder nur mir zuwendet, ist
eine Gefahr für uns beide, und doch ist meine
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