Die Richterin: Novelle | Page 9

Conrad Ferdinand Meyer
wird das Garn schon abwickeln und mir armem Weibe geben, was mir geh?rt.' Sollte ich die T?rin zerren? Du steigst wohl hinab und bringst sie zurecht."
Die Richterin hie? Rudio eine Fackel anbrennen und ihr vorschreiten. In dem tiefen Gelasse sa? ein gefesseltes Weib, das der Kastellan beleuchtete. Auf einen Wink der Herrin steckte er den brennenden Span in den Eisenring und lie? die Frauen allein.
Stemma beugte sich ��ber die freiwillig Eingekerkerte und bef��hlte ihr als geschickte ?rztin den Puls der freien Hand, welchen aber kein Fieber beschleunigte. "Faustine", sagte sie, "was ficht dich an? Was ist ��ber dich gekommen? Dich verwirrt der Schmerz, da? du dich von deinem Kinde trennen mu?test. Willst du ihr folgen? Noch ist es Zeit. Ich gebe dich frei. Du bist nicht l?nger meine Eigene. Der Kaiser wird den Lombarden feste Sitze weisen, und du beh?ltst deine Brunetta."
Faustine sch��ttelte das Haupt. "Das fehlte noch", sagte sie, "da? ich mich an die Sohlen der Brunetta heftete und auch ihr zum Fluche w��rde! Richterin Stemma, nimm mir das ab!" Sie wies auf ihren Kopf. "Du wei?t ja wohl und langeher, da? ich meinen Mann ermordete."
Mit ruhigem Blicke pr��fte Stemma das grellbeleuchtete knochige Gesicht der gleichaltrigen R?terin. Dann lie? sie sich auf eine Treppenstufe nieder, und Faustine kroch zu ihren Knien, ohne diese zu ber��hren. Ihre Augen waren gesund. "Herrin", sagte sie, "du wei?t alles, und wenn du mich ein Jahrzehnt und l?nger gn?dig verschont und meine Missetat bedeckt hast, so war es, weil du nicht wolltest, da? die Brunetta, der unschuldige Wurm, zuschanden komme. Ich durfte sie aufziehen, und diese Gunst hast du mir erwiesen, weil ich dein Gespiel gewesen bin. Jetzt aber, da die Brunetta einem Manne folgt, ist kein Grund, l?nger zu tr?deln und zu t?ndeln. La? uns die Sache ins reine bringen. Gib mir mein Urteil!"
Die Richterin erkannte aus der ganzen Geb?rde Faustinens, da? diese bei Sinnen sei, und sosehr sie das schlimme Gest?ndnis ��berraschte, so wenig gab sie den furchtbaren Ruf ihrer Allwissenheit preis. "Lege Bekenntnis ab", sagte sie streng. "Das ist der Anfang der Reue." Und Faustine begann: "Kurz ist die Geschichte. Der Sch��tze Stenio umwarb mich"--
"Den der Eber, welchen er gefehlt hatte, schleifte und zerri?"--
"Jener. Hernach gab mich der Judex seinem Reisigen Lupulus zur Ehe. Ich bequemte mich und doch"--sie hielt inne, um das reine Ohr Stemmas nicht zu beleidigen. Die Richterin half ihr und sagte ernst und traurig: "Und doch warest du das Weib des Toten."
Faustine nickte. "Dann, vor dem Altar, pl?tzlich, zu meinem Entsetzen"--
"F��hltest du, da? du dem Toten geh?rtest, du und ein Ungebornes", half ihr die Richterin.
Wieder nickte Faustine. "Das ist alles, Herrin", sagte sie. "Lupulus, j?hzornig wie er war, h?tte mich umgebracht. Das Ungeborne aber verhielt mir den Mund und fl��sterte mir Feindseliges gegen den Mann zu."
"Genug", schlo? Stemma. "Nur eines noch: woher hattest du das Gift?"
"Siehst du, Herrin", rief das Weib, da? du wei?t, wie ich ihn t?tete! Das Gift hat mir Peregrin gezeigt."
"Peregrin?" fragte die Richterin mit verh��llter Stimme. "Das ist nicht m?glich", sagte sie.
"Er zeigte es mir und warnte mich davor. Ich irrte verzweifelnd unter den Kiefern von Silvretta. Da sehe ich ihn in seinem langen, dunkeln Gewande, der sich b��ckt und Wurzeln gr?bt. Blumen nickten mit braunen Glocken. Er ruft mich herbei, und, eine dieser Blumen in der Hand, sagt er zu mir: 'Frau, h��te dich und die Kinder vor diesem Gew?chs! Sein Saft t?tet, au?er in den H?nden des Arztes.' Er meinte es gut mit seinem warnenden Blick unter dem braunen Gelocke hervor und hauchte mir doch einen grimmig b?sen Gedanken an. Keine Schuld komme auf seine Seele! Doch ich rede t?richt. Er ist ja l?ngst ein Engel Gottes, seit er nach der gro?en Ebene wandernd im Gebirge unterging, wie sie sagen, und das war nicht lange nach jener Stunde. Du erinnerst dich noch, der Judex dein Vater, dem er die Wunde heilte, hatte ihn abgelohnt, was dir unlieb war, da er dich als ein weiser Kleriker noch vieles h?tte lehren k?nnen."
"Schwatze nicht", gebot die Richterin, "und endige dein Bekenntnis. Am folgenden Tage bist du aus deiner H��tte nach Silvretta gegangen und hast die Wurzeln gegraben?"
"Ja. Du rittest vor��ber, und ich duckte mich, damit du mich nicht erkennen m?chtest, aber du wendetest dich zweimal im Sattel. Und nun sei barmherzig, Herrin, und gib mir mein Teil." Sie lie? den Kopf auf die Brust fallen, so da? ihr der ��ppige schwarze Haarwuchs ��ber das Gesicht sank.
Stemma sann, auf Faustinen niederblickend, und zog ihr mit zerstreuten Fingern einen langen Strohhalm aus dem Haar. "Faustine, mein Gespiel", sagte sie endlich, "ich kann dich nicht richten."
Die ganze Faustine geriet in Aufruhr. "Warum nicht?" schrie sie emp?rt, "du mu?t es, oder ich schreie, da? alle Mauern t?nen: Sie hat ihren Mann umgebracht!"
Stemma verhielt ihr den Mund. "La? das Totengebein!" schalt sie, als drohe sie einem den verscharrten Knochen
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