Die Mitschuldigen | Page 8

Johann Wolfgang von Goethe
Das Ungewitter zieht mir nah am Kopf vorbei. [Sophie
geht ab. Alcest begleitet sie zur Haupttüre hinaus.]

Fünfter Auftritt
Söller [im Alkoven]. O Tod! Er geht mit ihr! Weh mir, ich bin verloren!
Heraus aus deinem Nest! [Er wagt sich halb aus dem Alkoven und

horcht.] Ich bin auf beiden Ohren Entweder wirklich taub - Sie ist doch
noch nicht fort! Und dennoch rührt sich nichts, ich höre nicht ein Wort.
Wie wär es, wenn ich mich ein bißchen näher machte? [Er wagt sich
langsam an die große Türe.] Sie reden noch! Ganz leis! - Zum Henker!
[Er meint, es käme jemand, und fährt wie ein Blitz in den Alkoven.]
Sachte! Sachte! Es kömmt kein Mensch. [Er will wieder heraus.]
Versuch's! [Er traut nicht.] Das ist zu viel gewagt. [In der äußersten
Karikatur von Verlegenheit.] Was fang ich an! Ich bin ein Hahnrei! [Er
rennt mit dem Kopf wider die Wand.] Ah! es ragt An meiner Stirne
schon das Zeichen meiner Würde Hervor. Was ist zu tun? [Er schlägt
auf die Tasche.] Komm, meine teure Bürde! Komm, rette dich mit mir,
und leite mich zum Wein, Solang man trinken kann, läßt sich's noch
glücklich sein. Der wohlgekrönte Stand ist keiner von den bösten; Als
Hahnrei kann man sich eh als am Galgen trösten. [Eilig durch die
Nebentüre fort.]

Sechster Auftritt
Alcest. Ihr großen Geister sagt, daß keine Tugend sei Und Liebe
Sinnlichkeit und Freundschaft Heuchelei, Daß man kein einzig Herz
mit festen Mauern finde, Daß nur Gelegenheit die Stärksten überwinde,
Daß es, wenn man in uns das Laster je vermißt, Beim Jüngling
Blödigkeit und Furcht beim Mädchen ist. Es zittert, spottet ihr, die
unerfahrne Jugend. Doch ist dies Zittern nicht selbst ein Gefühl von
Tugend? Ist diese Sympathie, dies schwimmende Gefühl, Dem man
sich schwer entreißt, nichts als ein Fibernspiel? Wie süß verträumt ich
nicht die jugendlichen Stunden Einst in Sophiens Arm. Ich hatte nichts
empfunden, Bis mir der Druck der Hand, ihr Blick, ihr Kuß entdeckt,
Wie's einem Neuling ist, wenn er die Wollust schmeckt. Uns führte
keine Wahl mit klugem Rat zusammen, Wir sahn einander an, und
standen schon in Flammen. Bist du der Liebe wert, ward da nicht lang
gefragt; Es war erst halb gefühlt, und war schon ganz gesagt. Wir
lebten lange so die süßen Augenblicke; Zuletzt verschlug es sich. Ich
fluchte dem Geschicke, Und schwur, daß Freundschaft, Lieb und
Zärtlichkeit und Treu Der Maskeradenputz verkappter Laster sei. Und
sucht in dem Gewühl der körperlichen Triebe Den Tod des Vorurteils,

von Tugend und von Liebe. Zuletzt verhärteten mich Wollust, Stolz
und Zeit; Ich glaubte mich geschützt vor aller Zärtlichkeit. Stolz kehrt
ich zu Sophien. Wie schön war sie geworden! Ich stutzte. »Ha, ihr
Mann ist doch vom großen Orden Schon lange Ritter! Doch sie hat der
Freunde mehr. Es sei drum! Wenn du kommst, so macht sie dir's nicht
schwer. Ihr Sperren rührt mich nur, daß ich die Nase rümpfe: Gnung!
Das gewohnte Spiel vom Faun und von der Nymphe.« So dacht ich, sah
sie oft, allein da fühlt ich was, Ihr liederlichen Herrn, erklärt mir, was
ist das? Das hier mich immer schilt, hier immer für sie redet, Mir alle
Kühnheit raubt, und jeden Anschlag tötet. Sie nennt mich ihren Freund,
eröffnet mir ihr Herz; Ich schwur die Freundschaft ab, doch teil ich
ihren Schmerz. Sie sagt, sie habe mich als alle Menschen lieber; Ha!
denk ich, Lieb ist Tand, und freu mich doch darüber. Sie liebt mich und
verläßt doch ihre Tugend nie; Die Tugend glaub ich nicht, und doch
verehr ich sie. Heut hofft ich ziemlich viel und wagte nichts zu nehmen.
So bös und doch so feig! Ich muß mich wahrlich schämen. Entweder
nennet mich Weib! Tückisch ohne Kraft! Wo nicht, so bin ich noch
nicht völlig lasterhaft. Was ist's? was treibt dich an, ihr Leben zu
versüßen? Ist's Lieb? Ist's Eigennutz? Gedenkst du zu genießen, Und
willst es kaufen? Nein! Ich weiß, es fehlt ihr Geld, Und sie vertraut
mir's nicht, das ist's, was mir gefällt. Ich sinne jetzo nur auf ein
versteckt Geschenke; Ich habe just noch Geld. Gut, daß ich gleich dran
denke. Ich muß es zählen. [Er öffnet die Schatulle.] Was! Was seh ich!
Teufel! Leer! Von hundert Spezies kaum fünfundzwanzig mehr! Seit
heute nachmittag! Wer konnte sie entwenden? Die Schlüssel kamen
nicht die Zeit aus meinen Händen. Wer war im Zimmer? Ha! Sophie!
Gedanke fort! Mein Diener? O, der liegt an einem sichern Ort. Er
schläft, gleich will ich hin, mit Lärm ihn aufzuwecken; Wenn er der
Täter ist, verrät er sich im Schrecken.

Dritter Aufzug
Erster Auftritt
Die Wirtsstube.

Der Wirt [im Schlafrocke, in dem Sessel hinter dem Tisch, worauf ein
bald abgebrannt Licht, Kaffeezeug, Pfeifen und die Zeitungen. Nach
den ersten Versen steht er auf und zieht sich in diesem Auftritt und dem
Anfang des
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