Die Mitschuldigen | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
da bild't ich mir was ein, Da ging ich
wie ein Prinz. Ein Dieb wurd eingefangen, Die Schlüssel fanden sich,
und er, er ward gehangen. Nun weiß man, die Justiz behält stets was für
sich; Ich war nur Subaltern, das Eisen kam an mich; Ich hob es auf. Ein
Ding mag noch so wenig taugen, Es kommt ein Augenblick, und man
kann alles brauchen. Und jetzt - [Das Schloß geht auf.] O schön
gemünzt! Ja, das ist wahre Lust! Die Tasche schwillt von Geld, von
Freuden meine Brust - Wenn es nicht Angst ist. [Er horcht.] Horch!
Verflucht! ihr feigen Glieder! Was zittert ihr? [Er fährt zusammen.]
Horch! - Nichts! [Er macht die Schatulle zu.] Genug! Nun gut! [Er will
gehen, erschrickt, und steht still.] Schon wieder! Es geht was auf dem
Gang! Es geht doch sonst nicht um. Der Teufel hat vielleicht sein Spiel.
Das Spiel wär dumm! Ist's eine Katze? Nein! Das geht nicht wie ein
Kater. Geschwind! Es dreht am Schloß. [Er springt in den Alkoven und
sieht durch die Vorhänge.] Behüt! mein Schwiegervater.

Zweiter Auftritt
[Der Wirt kommt im Schlafrocke, der Nachtmütze und Pantoffeln mit
einem Wachsstock furchtsam zur Nebentüre herein. Söller im Alkoven
horchend.]
Wirt. Es ist ein närrisch Ding um ein empfindlich Blut, Es pocht, wenn
man auch nur halbweg was Böses tut. Dächt ich nicht aus dem Brief
was Wichtiges zu holen, Ich wär gewiß nicht da! Ich glaub, er kam aus
Polen. Die Zeitung heutzutag ist unerträglich kalt, Das Neuste, was
man hört, ist immer monatsalt. Der Zeitungsschreiber selbst ist wirklich
zu beklagen, Gar öfter weiß er nichts, und oft darf er nichts sagen. Wär
ich nur gnädger Herr, ich müßt Minister sein, Und jeglicher Kurier ging
bei mir aus und ein. [Er sucht überall.] Er ging noch erst herauf, und
holte Hut und Degen; Ich hoff doch auch, es war, den Brief bei Seit zu
legen. [Er sucht.]

Söller [im Alkoven]. Du guter alter Narr! ich seh wohl, es hat dich Der
Diebs- und Zeitungsgott nicht halb so lieb als mich.
Wirt. Ich find ihn nicht! [Er erschrickt.] O weh! Hör ich auch recht?
Daneben Im Zimmer? [Er horcht.]
Söller [erschrocken]. Riecht er mich vielleicht?
Wirt. Es knistert eben, Als wär's ein Weiberschuh.
Söller [getrost]. Schuh! Nein! das bin ich nicht.
Wirt [bläst den Wachsstock aus]. Ft! Bleibe, wer da will! Geh auf! [Er
kann das Schloß in der Eile nicht aufmachen, und läßt darüber den
Wachsstock fallen; endlich stößt er die Tür auf und läuft davon.]

Dritter Auftritt
[Sophie mit einem Licht kommt zur Haupttüre herein; Söller im
Alkoven.]
Söller [erstaunt]. Ein Weibsgesicht! Fast so wie meine Frau! Ich hoffe
nicht!
Sophie [setzt das Licht auf den Tisch und kommt hervor]. Ich bebe Bei
dem verwegnen Schritt.
Söller [mit Karikatur]. Sie ist's! So wahr ich lebe! Adieu du armer Kopf!
- Allein, gesetzten Falls, Ich zeigte mich! - Und dann - Ja, dann adieu
mein Hals!
Sophie. Sophie, du kommst zu ihm, was hast du unternommen? Doch
kann es anders sein? Er darf zu dir nicht kommen, An meinem Zimmer
ist mein Vater allzunah, Und hier ist alles leer.
Söller. Leer, und der Mann ist da!

Sophie. Ja, folgt der Liebe nur! Mit freundlichen Gebärden Lockt sie
euch anfangs nach -
Söller. Ich möchte rasend werden! Und darf nicht -
Sophie. - Doch wenn ihr einmal den Weg verliert, Dann führt kein
Irrlicht euch so schlimm, als sie euch führt.
Söller. Jawohl, dir wär ein Sumpf gesünder als das Zimmer.
Sophie. Bisher ging's ziemlich schlimm, doch es wird täglich
schlimmer. Mein Mann macht's bald zu toll. Bisher gab's wohl Verdruß;
Doch jetzt treibt er's, daß ich ihn gar verachten muß.
Söller. O Hexe!
Sophie. Meine Hand hat er, Alcest inzwischen Besitzt, wie sonst, mein
Herz.
Söller. Zu zaubern, Gift zu mischen, Ist nicht so schlimm!
Sophie. Dies Herz, das er zuerst entflammt, Das erst durch ihn gefühlt,
was Liebe sei -
Söller. Verdammt -
Sophie. Kalt, spröde war dies Herz, eh es Alcest erweichte.
Söller. Ihr Männer! stündet ihr all nur einmal so Beichte!
Sophie. Wie glücklich war ich sonst!
Söller. Sonst! Nun, das ist vorbei!
Sophie. Wie liebte mich Alcest!
Söller. Pah! das war Kinderei!
Sophie. Das Schicksal trennt uns bald, und ach! für meine Sünden

Mußt ich mich - welch ein Muß - mit einem Vieh verbinden.
Söller. Ich, Vieh? - Jawohl ein Vieh, von dem gehörnten Vieh!
Sophie. Was seh ich?
Söller. Was, Madam?
Sophie. Des Vaters Wachsstock! Wie Kam er hieher? Vielleicht - Da
werd ich fliehen müssen; Vielleicht belauscht er uns! -
Söller. O setz ihr zu, Gewissen!
Sophie. Nur das begreif ich nicht, wie er ihn hier verlor.
Söller. Sie scheut den Vater nicht, mal ihr den Teufel vor!
Sophie. Ach nein, das ganze Haus liegt schon in tiefem Schlafe.
Söller. Die Lust ist mächtiger
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