Die Mitschuldigen | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
sie ihn kriegen kann.
Willst du ein braves Weib, so sei ein rechter Mann. Ach, es versucht
uns nichts so mächtig als der Mangel; Die klügsten Fische treibt der
Hunger an die Angel. Mein Vater gibt mir nichts, und hat der Mann
nicht recht? Wir brauchen so genug, und alles geht so schlecht. Doch
heute mußt ich ihn notwendig etwas bitten. Ha, sagt er, du kein Geld,
und Söller fährt im Schlitten? Er gab mir nichts und lärmt mir noch die
Ohren voll. Nun sag mir denn einmal, woher ich's nehmen soll? Denn
du bist nicht der Mann, für eine Frau zu sorgen.
Söller. O warte, liebes Kind, vielleicht empfang ich morgen Von einem

guten Freund -
Sophie. Wenn er ein Narr ist, ja! Zu holen sind gar oft die guten
Freunde da; Doch einen, der was bringt, den hab ich noch zu sehen!
Nein, Söller, künftighin kann es nicht mehr so gehen.
Söller. Du hast ja, was man braucht.
Sophie. Schon gut, das ist wohl was. Doch wer nie dürftig war, der will
noch mehr als das. Von Jugend auf verwöhnt durch's Glück und seine
Gaben, Hat man, soviel man braucht, und glaubt noch nichts zu haben.
Die Lust, die jede Frau, die jedes Mädchen hat, Ich bin nicht hungrig
drauf, doch bin ich auch nicht satt. Der Putz, der Ball - Genug, ich bin
ein Frauenzimmer.
Söller. Eh nun, so geh dann mit: ich sage dir's ja immer.
Sophie. Daß wie das Karneval auch unsre Wirtschaft sei, Die kurze Zeit
geschwärmt, dann auf einmal vorbei! Viel lieber sitz ich hier allein zu
ganzen Jahren! Wenn er nicht sparen will, so muß die Frau wohl sparen.
Mein Vater ist genug schon über mir erbost: Ich stille seinen Zorn und
bin sein ganzer Trost. Nein, Herr! Ich helf Ihm nie mein eigen Geld
verschwenden: Spar Er es erst an sich, um es an mich zu wenden!
Söller. Mein Kind, für diesmal nur laß mich noch lustig sein, Und wenn
die Messe kommt, so richten wir uns ein.

Dritter Auftritt
[Die Vorigen, ein Kellner.]
Kellner. Herr Söller!
Söller. Nun, was soll's?
Kellner. Der Herr von Tirinette!

Sophie. Der Spieler!
Söller. Schick ihn fort! Daß ihn der Teufel hätte!
Kellner. Er sagt, er muß Sie sehn.
Sophie. Was will er dann bei dir?
Söller [verwirrt zu Sophie]. Ach, er verreist - [Zum Kellner.] Ich komm!
[Zu Sophie.] und er empfiehlt sich mir. [Ab.]

Vierter Auftritt
Sophie. Der mahnt ihn ganz gewiß! Er macht beim Spiele Schulden. Er
bringt noch alles durch, und ich, ich muß es dulden. Dies ist nun alle
Lust und mein geträumtes Glück! So eines Menschen Frau! Wie weit
kamst du zurück! Wo ist sie hin, die Zeit, da sie zu ganzen Scharen, Die
süßten jungen Herrn, zu deinen Füßen waren? Da jeder sein Geschick
in deinen Blicken sah? Ich stand im Überfluß wie eine Göttin da,
Aufmerksam um mich her die Diener meiner Grillen! Es war nur
allzuviel, dies Herz mit Stolz zu füllen. Und ach! ein Mädchen ist
wahrhaftig übel dran! Ist man ein bißchen hübsch, so steht man jedem
an; Da summt uns unser Kopf den ganzen Tag von Lobe! Und welches
Mädchen hält wohl diese Feuerprobe? Ihr könnt so ehrlich tun, man
glaubt euch wohl aufs Wort, Ihr Männer! Auf einmal führt euch der
Henker fort. Wenn's was zu naschen gibt, so sind wir all beim
Schmause, Doch macht ein Mädchen Ernst, da ist kein Mensch zu
Hause. So ist's mit unsern Herrn in dieser schlimmen Zeit; Es gehen
zwanzig drauf, bis daß ein halber freit. Ich sah mich manchesmal
betrogen und verlassen: Wer vierundzwanzig zählt, hat nichts mehr zu
verpassen. Der Söller kam mir vor, und ich, ich nahm ihn an; Es ist ein
schlechter Mensch, allein er ist ein Mann. Da sitz ich nun und bin nicht
besser als begraben. Anbeter könnt' ich zwar noch in der Menge haben;
Allein wenn eine Frau ein bißchen Tugend hat, So ist's der junge Herr
in wenig Stunden satt. Bei Mädchen ist er gern mit Tändelei zufrieden,
Er redet Sentiments, und ist nicht zu ermüden; Doch wenn nur eine

Frau ein wenig spröde tut, So wundert er sich sehr und greift nach
seinem Hut. Alcest ist wieder hier. Er ist's zu meiner Plage. Ach ehmals
war er da, da waren's andre Tage. Wie liebt ich ihn! - Und noch! - Ich
weiß nicht, was ich will! Ich flieh ihn, wo ich kann. Er ist nachdenkend,
still, Ich fürchte mich vor ihm; die Furcht ist wohl gegründet. Ach wüßt
er, was mein Herz noch jetzt für ihn empfindet! Er kommt! Ich zittre
schon, mein Herz ist gar zu voll, Ich weiß nicht, was ich will, noch
wen'ger, was ich soll.

Fünfter Auftritt
[Sophie. Alcest.]
Alcest. Sind Sie einmal allein, und darf ein Freund es wagen?
Sophie. Mein
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