Die Mitschuldigen | Page 2

Johann Wolfgang von Goethe
sechzig eine Stunde. Und dann weiß Herr Alcest,
warum er hier ist.
Wirt [pikiert]. Wie?
Söller [greift nach dem Glas]. Ach, apropos, Papa. Es lebe Paoli.
Wirt [freundlich]. Proficiat, Herr Sohn! Der brave Mann soll leben.
Solch eine Tapferkeit hat es nicht leicht gegeben; Auch in dem
Unglück selbst verläßt der Mut ihn nie. Gewiß, ich nenn mein Haus
Hotel de Paoli.

Söller. O ja, das gibt ein Schild recht nach der Zeitungsmode. Wenn's
nicht zustande kommt, ich gräme mich zu Tode. - Wie kommt es,
haben Sie die Zeitung nicht gesehn Von heut?
Wirt. Sie ist nicht da. Der Jung muß nach ihr gehn. Wenn er noch
König wird, so sollt ihrs all genießen. Das Herz hüpft mir im Leib, als
hört ich wirklich schießen. [Ab.]

Zweiter Auftritt
[Söller. Sophie.]
Söller. Ha, es ist nichts so schlimm, die Zeitung macht es gut.
Sophie. Ja, gib ihm immer nach!
Söller. Ich hab kein schnelles Blut, Das ist sein Glück; denn sonst mich
immer so zu schelten, Als wär ich -
Sophie. Lieber Mann!
Söller. Beim Kuckuck! Beim St. Velten! Ich weiß das alles wohl, daß
ich vor einem Jahr Ein lockrer Passagier und voller Schulden war.
Sophie. Mein Guter, sei nicht bös!
Söller. Und wenn ich sonst nichts taugte, So war ich doch ein Mann
wie ihn mein Fiekchen brauchte.
Sophie. Dein ewger Vorwurf läßt mir keine Stunde froh.
Söller. Ich werfe dir nichts vor, ich meine ja nur so. Denn eine schöne
Frau ergötzet uns unendlich, Wenn man sie auch nicht liebt, so ist man
doch erkenntlich. Sophie wie schön bist du, und ich bin nicht von Stein,
[Er küßt sie.] Ich kenne nur zu wohl das Glück, dein Mann zu sein; Ich
liebe dich -

Sophie. Und doch kannst du mich immer plagen?
Söller. Eh geh, was liegt denn dran? Das darf ich ja wohl sagen; Daß
dich Alcest geliebt, daß du für ihn gebrannt, Und ihn auch wohl
vielleicht - daß du ihn lang gekannt.
Sophie. Oh!
Söller. Nein, ich wüßte nicht, was ich da Böses sähe! Ein Bäumchen,
das man pflanzt, das schießt zu seiner Höhe; Und wenn es Früchte
bringt, eh! da genießet sie, Wer da ist; übers Jahr gibt's wieder. Ja,
Sophie, Ich weiß das gar zu wohl, um etwas draus zu machen. Mir ist's
nur lächerlich.
Sophie. Ich finde nichts zu lachen. Daß mich Alcest geliebt, daß er für
mich gebrannt, Und ich ihn auch geliebt, und ich ihn lang gekannt, Was
ist's denn weiter?
Söller. Nichts! das will ich auch nicht sagen, Daß es was weiter ist.
Denn in den ersten Tagen, Wenn so das Mädchen keimt, da liebt sie
eins zum Spaß, Es krabbelt ihr ums Herz, doch sie versteht nicht, was.
Mit sanfter Freundlichkeit schleicht Amor, der Betrüger; Wer keinen
Tiger kennt, der läuft vor keinem Tiger. Und sie versteht es nicht,
warum die Mutter schmält. Voll Tugend, wenn sie liebt, ist's Unschuld,
wenn sie fehlt. Und kommt Erfahrenheit zu ihren andern Gaben, So sei
ihr Mann vergnügt, ein kluges Weib zu haben!
Sophie. Du kennst mich nicht genug.
Söller. O laß das immer sein! Den Mädchen ist ein Kuß, was uns ein
Glas voll Wein, Eins, und dann wieder eins, und noch eins, bis wir
sinken. Wenn man nicht taumeln will, so muß man gar nicht trinken!
Genug, du bist nun mein! - Ist es nicht vierthalb Jahr, Daß Herr Alcest
dein Freund und hier im Hause war? Wie lange war er weg? Zwei Jahre,
denk ich.
Sophie. Drüber.

Söller. Nun ist er wieder da, schon vierzehn Tage -
Sophie. Lieber, Zu was dient der Diskurs?
Söller. Eh nun, daß man was spricht. Denn zwischen Mann und Frau
red't sich so gar viel nicht. Warum ist er wohl hier?
Sophie. Ei, um sich zu vergnügen.
Söller. Ich glaube wohl, du magst ihm sehr am Herzen liegen. Wenn er
dich liebte, he! gäbst du ihm wohl Gehör?
Sophie. Die Liebe kann wohl viel, allein die Pflicht noch mehr. Du
glaubst!
Söller. Ich glaube nichts, und kann das wohl begreifen; Ein Mann ist
immer mehr als Herrchen, die nur pfeifen. Der allersüßte Ton, den auch
der Schäfer hat, Es ist doch nur ein Ton, und der wird endlich matt.
Sophie [ungeduldig]. Ja, ja, das weiß ich wohl; doch ist der deine
besser? Die Unzufriedenheit in dir wird täglich größer. Nicht einen
Augenblick bist du mit Necken still. Man sei erst liebenswert, wenn
man geliebt sein will. Warst du denn wohl der Mann, ein Mädchen zu
beglücken? Erwarbst du dir ein Recht, mir ewig vorzurücken, Was
doch im Grund nichts ist? Es wankt das ganze Haus; Du nimmst allein
nichts ein, und gibst allein fast aus. Du lebst in Tag hinein; fehlt dir's,
so machst du Schulden, Und wenn die Frau was braucht, so hat sie
keinen Gulden, Und du fragst nicht darnach, wie
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 18
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.