die alternden verarmten Seldwyler mit ihren Weibern und
Kindern sind die emsigsten Leutchen von der Welt, nachdem sie das
erlernte Handwerk aufgegeben, und es ist rührend anzusehen, wie tätig
sie dahinter her sind, sich die Mittelchen zu einem guten Stückchen
Fleisch von ehedem zu erwerben. Holz haben alle Bürger die Fülle und
die Gemeinde verkauft jährlich noch einen guten Teil, woraus die große
Armut unterstützt und genährt wird, und so steht das alte Städtchen in
unveränderlichem Kreislauf der Dinge bis heute. Aber immer sind sie
im ganzen zufrieden und munter, und wenn je ein Schatten ihre Seele
trübt, wenn etwa eine allzu hartnäckige Geldklemme über der Stadt
weilt, so vertreiben sie sich die Zeit und ermuntern sich durch ihre
große politische Beweglichkeit, welche ein weiterer Charakterzug der
Seldwyler ist. Sie sind nämlich leidenschaftliche Parteileute,
Verfassungsrevisoren und Antragsteller, und wenn sie eine recht
verrückte Motion ausgeheckt haben und durch ihr Großratsmitglied
stellen lassen, oder wenn der Ruf nach Verfassungsänderung in
Seldwyla ausgeht, so weiß man im Lande, daß im Augenblicke dort
kein Geld zirkuliert. Dabei lieben sie die Abwechselung der Meinungen
und Grundsätze und sind stets den Tag darauf, nachdem eine Regierung
gewählt ist, in der Opposition gegen dieselbe. Ist es ein radikales
Regiment, so scharen sie sich, um es zu ärgern, um den konservativen
frömmlichen Stadtpfarrer, den sie noch gestern gehänselt, und machen
ihm den Hof, indem sie sich mit verstellter Begeisterung in seine
Kirche drängen, seine Predigten preisen und mit großem Geräusch
seine gedruckten Traktätchen und Berichte der Baseler
Missionsgesellschaft umherbieten, natürlich ohne ihm einen Pfennig
beizusteuern. Ist aber ein Regiment am Ruder, welches nur halbwegs
konservativ aussieht, stracks drängen sie sich um die Schullehrer der
Stadt und der Pfarrer hat genug an den Glaser zu zahlen für
eingeworfene Scheiben. Besteht hingegen die Regierung aus liberalen
Juristen, die viel auf die Form halten, und aus häcklichen Geldmännern,
so laufen sie flugs dem nächstwohnenden Sozialisten zu und ärgern die
Regierung, indem sie denselben in den Rat wählen mit dem
Feldgeschrei: Es sei nun genug des politischen Formenwesens und die
materiellen Interessen seien es, welche allein das Volk noch kümmern
könnten. Heute wollen sie das Veto haben und sogar die unmittelbarste
Selbstregierung mit permanenter Volksversammlung, wozu freilich die
Seldwyler am meisten Zeit hätten, morgen stellen sie sich übermüdet
und blasiert in öffentlichen Dingen und lassen ein halbes Dutzend alte
Stillständer, die vor dreißig Jahren falliert und sich seither
stillschweigend rehabilitiert haben, die Wahlen besorgen; alsdann
sehen sie behaglich hinter den Wirtshausfenstern hervor die Stillständer
in die Kirche schleichen und lachen sich in die Faust, wie jener Knabe,
welcher sagte: Es geschieht meinem Vater schon recht, wenn ich mir
die Hände verfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe! Gestern
schwärmten sie allein für das eidgenössische Bundesleben und waren
höchlich empört, daß man Anno achtundvierzig nicht gänzliche Einheit
hergestellt habe; heute sind sie ganz versessen auf die
Kantonalsouveränität und haben nicht mehr in den Nationalrat gewählt.
Wenn aber eine ihrer Aufregungen und Motionen der Landesmehrheit
störend und unbequem wird, so schickt ihnen die Regierung
gewöhnlich als Beruhigungsmittel eine Untersuchungskommission auf
den Hals, welche die Verwaltung des Seldwyler Gemeindegutes
regulieren soll; dann haben sie vollauf mit sich selbst zu tun und die
Gefahr ist abgeleitet.
Alles dies macht ihnen großen Spaß, der nur überboten wird, wenn sie
allherbstlich ihren jungen Wein trinken, den gärenden Most, den sie
Sauser nennen; wenn er gut ist, so ist man des Lebens nicht sicher unter
ihnen, und sie machen einen Höllenlärm; die ganze Stadt duftet nach
jungem Wein und die Seldwyler taugen dann auch gar nichts. Je
weniger aber ein Seldwyler zu Hause was taugt, um so besser hält er
sich sonderbarerweise, wenn er ausrückt, und ob sie einzeln oder in
Kompanie ausziehen, wie z.B. in früheren Kriegen, so haben sie sich
doch immer gut gehalten. Auch als Spekulant und Geschäftsmann hat
schon mancher sich rüstig umgetan, wenn er nur erst aus dem warmen
sonnigen Tale herauskam, wo er nicht gedieh.
In einer so lustigen und seltsamen Stadt kann es an allerhand seltsamen
Geschichten und Lebensläufen nicht fehlen, da Müßiggang aller Laster
Anfang ist. Doch nicht solche Geschichten, wie sie in dem
beschriebenen Charakter von Seldwyla liegen, will ich eigentlich in
diesem Büchlein erzählen, sondern einige sonderbare Abfällsel, die so
zwischendurch passierten, gewissermaßen ausnahmsweise, und doch
auch gerade nur zu Seldwyla vor sich gehen konnten.
* * * * *
PANKRAZ, DER SCHMOLLER
Auf einem stillen Seitenplätzchen, nahe an der Stadtmauer, lebte die
Witwe eines Seldwylers, der schon lange fertig geworden und unter
dem Boden lag. Dieser war keiner von den schlimmsten gewesen,
vielmehr fühlte er eine so starke Sehnsucht, ein ordentlicher und fester
Mann zu sein, daß ihn der herrschende Ton, dem er als junger Mensch
nicht entgehen konnte, angriff; und als seine Glanzzeit
vorübergegangen und er der Sitte gemäß abtreten mußte von dem
Schauplatz der Taten, da erschien
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