Die Leiden des jungen Werther vol 1 | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
Hofmeister einig; da? aber auch Erwachsene gleich Kindern auf diesem Erdboden herumtaumeln und wie jene nicht wissen, woher sie kommen und wohin sie gehen, ebensowenig nach wahren Zwecken handeln, ebenso durch Biskuit und Kuchen und Birkenreiser regiert werden: das will niemand gern glauben, und mich d��nkt, man kann es mit H?nden greifen.
Ich gestehe dir gern, denn ich wei?, was du mir hierauf sagen m?chtest, da? diejenigen die Gl��cklichsten sind, die gleich den Kindern in den Tag hinein leben, ihre Puppen herumschleppen, aus--und anziehen und mit gro?em Respekt um die Schublade umherschleichen, wo Mama das Zuckerbrot hineingeschlossen hat, und, wenn sie das gew��nschte endlich erhaschen, es mit vollen Backen verzehren und rufen:"mehr!"--das sind gl��ckliche Gesch?pfe. Auch denen ist's wohl, die ihren Lumpenbesch?ftigungen oder wohl gar ihren Leidenschaften pr?chtige Titel geben und sie dem Menschengeschlechte als Riesenoperationen zu dessen Heil und Wohlfahrt anschreiben.--Wohl dem, der so sein kann! Wer aber in seiner Demut erkennt, wo das alles hinausl?uft, wer da sieht, wie artig jeder B��rger, dem es wohl ist, sein G?rtchen zum Paradiese zuzustutzen wei?, und wie unverdrossen auch der Ungl��ckliche unter der B��rde seinen Weg fortkeucht, und alle gleich interessiert sind, das Licht dieser Sonne noch eine Minute l?nger zu sehn--ja, der ist still und bildet auch seine Welt aus sich selbst und ist auch gl��cklich, weil er ein Mensch ist. Und dann, so eingeschr?nkt er ist, h?lt er doch immer im Herzen das s��?e Gef��hl der Freiheit, und da? er diesen Kerker verlassen kann, wann er will.
Am 26. Mai
Du kennst von alters her meine Art, mich anzubauen, mir irgend an einem vertraulichen Orte ein H��ttchen aufzuschlagen und da mit aller Einschr?nkung zu herbergen. Auch hier habe ich wieder ein Pl?tzchen angetroffen, das mich angezogen hat.
Ungef?hr eine Stunde von der Stadt liegt ein Ort, den sie Wahlheim nennen. Die Lage an einem H��gel ist sehr interessant, und wenn man oben auf dem Fu?pfade zum Dorf herausgeht, ��bersieht man auf einmal das ganze Tal. Eine gute Wirtin, die gef?llig und munter in ihrem Alter ist, schenkt Wein, Bier, Kaffee; und was ��ber alles geht, sind zwei Linden, die mit ihren ausgebreiteten [sten den kleinen Platz vor der Kirche bedecken, der ringsum mit Bauerh?usern, Scheunen und H?fen eingeschlossen ist. So vertraulich, so heimlich hab' ich nicht leicht ein Pl?tzchen gefunden, und dahin lass' ich mein Tischchen aus dem Wirtshause bringen und meinen Stuhl, trinke meinen Kaffee da und lese meinen Homer. Das erstenmal, als ich durch einen Zufall an einem sch?nen Nachmittage unter die Linden kam, fand ich das Pl?tzchen so einsam. Es war alles im Felde; nur ein Knabe von ungef?hr vier Jahren sa? an der Erde und hielt ein anderes, etwa halbj?hriges, vor ihm zwischen seinen F��?en sitzendes Kind mit beiden Armen wider seine Brust, so da? er ihm zu einer Art von Sessel diente und ungeachtet der Munterkeit, womit er aus seinen schwarzen Augen herumschaute, ganz ruhig sa?. Mich vergn��gte der Anblick: ich setzte mich auf einen Pflug, der gegen��ber stand, und zeichnete die br��derliche Stellung mit vielem Ergetzen. Ich f��gte den n?chsten Zaun, ein Scheunentor und einige gebrochene Wagenr?der bei, alles, wie es hinter einander stand, und fand nach Verlauf einer Stunde, da? ich eine wohlgeordnete, sehr interessante Zeichnung verfertigt hatte, ohne das mindeste von dem Meinen hinzuzutun. Das best?rkte mich in meinem Vorsatze, mich k��nftig allein an die Natur zu halten. Sie allein ist unendlich reich, und sie allein bildet den gro?en K��nstler. Man kann zum Vorteile der Regeln viel sagen, ungef?hr was man zum Lobe der b��rgerlichen Gesellschaft sagen kann. Ein Mensch, der sich nach ihnen bildet, wird nie etwas Abgeschmacktes und Schlechtes hervorbringen, wie einer, der sich durch Gesetze und Wohlstand modeln l??t, nie ein unertr?glicher Nachbar, nie ein merkw��rdiger B?sewicht werden kann; dagegen wird aber auch alle Regel, man rede was man wolle, das wahre Gef��hl von Natur und den wahren Ausdruck derselben zerst?ren! Sag' du: 'das ist zu hart! Sie schr?nkt nur ein, beschneidet die geilen Reben' etc.--guter Freund, soll ich dir ein Gleichnis geben? Es ist damit wie mit der Liebe. Ein junges Herz h?ngt ganz an einem M?dchen, bringt alle Stunden seines Tages bei ihr zu, verschwendet alle seine Kr?fte, all sein Verm?gen, um ihr jeden Augenblick auszudr��cken, da? er sich ganz ihr hingibt. Und da k?me ein Philister, ein Mann, der in einem ?ffentlichen Amte steht, und sagte zu ihm: 'feiner junger Herr! Lieben ist menschlich, nur m��?t Ihr menschlich lieben! Teilet Eure Stunden ein, die einen zur Arbeit, und die Erholungsstunden widmet Eurem M?dchen. Berechnet Euer Verm?gen, und was Euch von Eurer Notdurft ��brig bleibt, davon verwehr' ich Euch nicht, ihr ein Geschenk, nur nicht zu oft, zu machen, etwa zu ihrem Geburts--und Namenstage ' etc.--folgt der Mensch, so gibt's einen brauchbaren jungen Menschen, und ich will selbst jedem F��rsten raten, ihn in ein Kollegium zu setzen; nur mit seiner
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