Die Last | Page 4

Georg Engel
-- und
guckt hinein, gerade auf mein Bett.« Entsetzt fiel sie zurück und zog
die Decke hoch, so daß sie nicht mehr bemerken konnte, wie Rosenblüt
mit allerlei Grimassen ihren Mann hinauswinkte. »Wilms, ich kann den
Juden einmal nicht leiden -- was hast du auch immer mit ihm.
Immerfort was. Der Herr Pastor sagt auch, daß du dich zuviel mit ihm
abgibst.«
»Still, Elsing, ich hab' schon manch gutes Stück Geld an dem Mann
verdient.«

»Ach wo -- die betrügen ja alle. Du verstehst bloß die Wirtschaft
nicht.« -- Das war ein böses Wort.
Wilms zuckte zusammen und griff nach seiner Brust. Draußen winkte
Herr Rosenblüt immer energischer.
»Ich muß jetzt aber doch einen Augenblick auf den Hof, Elsing,«
ermunterte sich der Mann endlich.
»Schon wieder?«
Sie warf ihm einen flehenden Blick zu und ergriff seine Hand: »Du bist
ja eben erst hereingekommen. -- Und dann -- mir ist immer so wohl,
wenn du bei mir bist, sobald du mich aber allein läßt, dann überfällt
mich wieder die schreckliche Angst -- du weißt ja -- als ob mir was auf
der Brust säße« -- sie keuchte -- »nicht wahr, du bleibst?«
Er blieb und sank ohne eine Antwort in dem hohen Lehnstuhl
zusammen. Das war das Bild seines Lebens. -- Die Last zog an ihm und
zog ihn abwärts.
Jetzt sprach und fragte sie immer hastiger weiter. Wie es mit der
Wirtschaft stünde? -- Doch gut? Und der Pastor hätte ihr eine Annonce
gebracht, in der ein beweglicher Krankenstuhl nicht allzu teuer
angepriesen würde. 150 Mk. »Nicht wahr, das ist nicht zu viel? -- Das
erübrigst du doch für deine Frau? Du hast mich doch lieb? Nicht
wahr?« -- Und dann kamen die Erinnerungen. Wie sie noch frisch und
gesund in ihrem Hauswesen herumgesprungen wäre, und wie furchtbar
verliebt Wilms sich als junger Ehemann gebärdete. Hinter jeder Tür,
wo es die Leute nicht sehen konnten, hätte er um einen Kuß gebettelt.
»Ach, küsse mich noch einmal so. -- Ich bin doch eigentlich noch so
jung.«
Halb betäubt sank sein Haupt an ihre Brust. Er war so zerschmettert,
daß er für nichts mehr das volle Verständnis besaß.
Da wurde an die Tür geklopft. Erst leise, dann energisch, und
schließlich trat Herr Rosenblüt ins Zimmer und blickte sich verdutzt in

der Krankenstube um. Die dumpfe Luft und das Bild der beiden sich
umschlungen haltenden Gatten ließ ihn einen Moment verstummen,
eine Art Rührung zuckte in den Zügen des Händlers auf, dann aber
drängte die Zeit gar zu gewaltig, und er räusperte sich stark: »Guten
Morgen -- Frau Wilms -- ich bitte um Entschuldigung -- wie geht es
Ihnen? -- aber es ist die höchste Zeit, Herr Wilms -- ich muß mit Ihnen
reden, jetzt sofort. Der Kerl ruiniert Ihnen ja die ganze Wirtschaft.«
Die fremde Stimme traf Else wie ein Schuß.
»Großer Gott, wer ist das?« stammelte die Kranke, als sie den
Eindringling, der ihr eine linkische Verbeugung machte, gewahrte, und
über ihr Gesicht flutete eine brennende Röte: »Was will er hier? --
Wilms, mein Zimmer ist doch nicht zu Geschäften da? Warum gehst du
mit dem Herrn nicht in die Wohnstube?«
Es war ein unfreundlicher Gruß, und Herr Rosenblüt stand wie
angedonnert. Erst als Wilms ihn unter den Arm faßte und begütigend
aufforderte, ihm zu folgen, hatte sich der Händler soweit gefaßt, daß er
energisch den Hut schwenken und gereizt auffahren konnte:
»Wozu? Da kann ich ja auch gehen. Adieu auch, Herr Wilms, empfehle
mich Ihnen, verehrte Frau.« Aber Wilms ließ ihn nicht, und mit vielen
Bitten und Entschuldigungen schob er ihn durch eine braunlackierte
Tür, in deren Mitte ein großes, ovales, durch eine Gardine verdecktes
Guckfensterchen angebracht war, aus dem Zimmer. In der Wohnstube
standen einfache grüne Ripsmöbel, gestickte Deckchen prangten auf
dem Sofa, und mitten durch die Zimmerdecke zog sich ein großer,
tapetenüberklebter Balken. Hier fiel Wilms in einen der Polsterstühle
nieder, stützte seinen Kopf in die Hand und fragte endlich den
Geschäftsfreund nach dessen Begehr, aber es klang alles so zerstreut,
so fern und tonlos, als ob der Geist des Mannes auf düsteren Irrpfaden
wandele. Und dieses Gebrochensein, dieses vollständige Einschlafen
einer ehemals großen Kraft erschütterte den andern. Mitleidig halb, und
halb furchtsam, trat er auf ihn zu. Dann berührte er mit seinem Stock
die Schulter des Sitzenden, und während er ihm nun unaufhörlich leise
auf die Achsel schlug, redete er eindringlich auf ihn ein. Es war ein
langer Vortrag, aber Wilms hörte nur eins heraus, und das war etwas

Hoffnungsfreudiges, mitten in seiner trostlosen Nacht, ein
Frührotschimmer, ein aufblitzendes Licht. -- Herr Rosenblüt war über
die Pfändung empört. -- Der Beamte hätte gewiß das Doppelte des
Werts aus der Wirtschaft gezogen, die schönsten Stücke Vieh, ohne die
der Besitzer gar nicht weiter existieren konnte. Seine Entrüstung war zu
ehrlich, es sprudelte nur so aus ihm. -- »Was soll das heißen?
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