Die Last | Page 3

Georg Engel
Als ich vorbeigefahren bin ...«
»Doch nicht meine Frau?« stammelte Wilms und sprang auf -- »nicht
wahr? -- So sagen Sie's doch,« wiederholte der unglückliche Mann
heiser.

»Nein, nein, nicht Ihre Frau -- ich meine bloß -- -- es ist da einer von
den Blauen, von den Gerichtsvollziehern. Na kommen Sie schnell auf
meinen Wagen« -- und leise setzte er hinzu: »Was wollen Sie erst einen
Aufstand vor Ihren Leuten machen? Beeilen Sie sich, Herr Wilms.«
Bald knarrte und ächzte das Fuhrwerk auf Wilms' Gehöft zu, und Herr
Rosenblüt saß neben dem Besitzer und starrte ihm ängstlich ins Gesicht,
bis sie den Wirtschaftshof erreicht hatten.
Hier hielt der Wagen, und der Bauer sprang herab und blickte sich
scheu um.
Mitten auf dem Platze stand der Gerichtsvollzieher von Grimmen und
unterhandelte laut und barsch mit Jochen, dem Pferdeknecht, der von
Zeit zu Zeit einen ängstlichen Blick auf die Fenster der Krankenstube
warf und den Beamten zu bitten schien, leiser zu verfahren.
Alle Leute des Anwesens waren an diese Rücksicht auf die leidende
Frau gewöhnt; ein lautes Wort, mitten in der dumpfen Stille, war
unerhört, erschreckte alle förmlich.
»Da is uns' Herr,« sagte der Knecht endlich erleichtert, als er des
Bauern und seines Begleiters ansichtig wurde. Wilms kam schwerfällig
näher, seine Gestalt sank immer mehr zusammen, als ob auf seinem
Nacken sichtbarlich eine allzu schwere Last gelegt sei, und auf der
Stirn perlten große Tropfen. Mit flüsternder, heiserer Stimme bat er den
Beamten, mit ihm in die nächste Scheuer zu kommen. -- Nur nicht hier
-- hier könnte man die Kranke stören, sie dürfte ja von nichts wissen;
das könnte ihr den Rest geben. »Ich bitt' Sie, kommen Sie mit mir -- ein
paar Schritte.«
Jedoch der Gerichtsvollzieher hielt das für überflüssige Zeitvergeudung.
Er knöpfte seinen Rock auf, nahm ein gestempeltes Papier heraus, das
er prüfend überflog, und während er sich dazu wohlgefällig und
amtswürdig seinen militärischen Schnurrbart strich, las er trocken vor:
»Beauftragt vom Grafen Brachwitz auf Boltenhagen -- Zahlung der
rückständigen Pacht vom 1. April -- 3600 Mark -- -- nicht eingegangen
-- hm -- vorzunehmende Zwangspfändung.«

»Was? Vom April sind Sie dem Grafen noch schuldig?« warf der
Viehhändler dazwischen.
Der Gerichtsvollzieher faltete das Blatt wieder zusammen und pflanzte
sich vor dem Besitzer auf:
»Können Sie zahlen, Herr Wilms?« fragte er prompt.
»Nein.«
»Na, dann muß ich anfangen. Nehmen Sie's nicht übel.«
»Aber -- wenn Sie mir nur -- nur bis morgen Zeit lassen wollten,«
stöhnte Wilms und legte sich die Hand vor die Stirn. »Nur bis morgen
-- ich könnte mich ja noch an jemanden wenden. -- Ich hatte in der
letzten Zeit mit meiner Frau so viel -- aber es ist doch vielleicht noch
möglich.«
»Tut mir leid -- strenge Ordre.« Der Gerichtsvollzieher knöpfte dabei
seinen Rock zu und wandte sich an den Knecht.
»Wollen gleich mit dem Vieh anfangen,« befahl er kurz. »Wo haben
Sie die Schweine?«
»Dann zeig dem Herrn, Jochen.« Wilms hatte es tonlos gesprochen und
wandte sich jetzt schnell ab. Selbst dem Viehhändler hatte er nicht
mehr die Hand zum Abschiede gereicht. Er ging langsam in das
Wohnhaus und trat in das Zimmer seines Weibes.

III.
Wie er sie verlassen, ebenso lag Else noch jetzt. Mit der linken Hand
hatte sie die Bibel umklammert, die rechte fingerte nervös an der Wand,
und ihre krankhaft leuchtenden Augen waren auf das Fenster gerichtet.
Die ungewohnte Bewegung auf dem Hof, das Knarren der Torflügel,
das jetzt laut werdende Grunzen der Schweine, alles störte sie. Sie war
ganz aufgeregt, und als Wilms sich neben ihr Bett setzte, forschte sie

atemlos nach dem Grund all dieses Lärms. -- -- Ja der Grund --
Durfte ihr der Mann die wahre Ursache verraten? Konnte er gestehen,
daß man jetzt den besten Teil seines Besitztums forttriebe, daß andere
Trümmer bald folgen, und alle Pfosten seines Hauses um ihn
zusammenbrechen würden, um ihn, den starken, kräftigen Mann, der
nun schon seit Jahren, wie gelähmt, an dieses Bett geschmiedet war, so
fest, daß alle Bewegungsfähigkeit gehemmt schien? -- Merkwürdig,
ihm war es, als wäre sein Weib gesünder, als er; und er selbst
gebrochen, ausgezehrt, kraftlos, ein toter Mann, der in dem großen
Lehnstuhl hockte und vor sich hinstarrte.
»Was hantieren sie denn dort draußen so laut?« klagte das Weib und
klappte nervös mit dem Deckel der Bibel -- »soll denn gar nicht ein
bißchen Rücksicht auf mich genommen werden, Wilms?«
Der Landmann raffte sich zusammen. Nur schonen die arme Frau, war
sein einziger Gedanke. -- Der Gedanke, der ihm die Not ins Haus
gerufen.
»I, Elsing, das wird wohl bald wieder aufhören.«
»Ja, aber was machen sie denn?«
»Ach, Rosenblüt ist bloß da und -- und kauft mir Vieh ab.«
»Der Jude?« rief die Kranke und richtete sich auf. -- »Sieh -- sieh da,«
stotterte sie und zeigte gerade aus, »da steht er vor dem Fenster
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