Die Juden | Page 9

Gotthold Ephraim Lessing
Fräulein. Das ist auch wahr; das geht ja an!
Lisette. Da kömmt des Fremden Bedienter; ich muß mit ihm sprechen.
Es ist alles zu Ihrem Besten--Lassen Sie mich mit ihm allein.--Gehen
Sie.
Das Fräulein. Vergiß es aber nicht, wegen der Jahre--Hörst du, Lisette?

Vierzehnter Auftritt
Lisette. Christoph.
Lisette. Mein Herr, Sie hungert oder durstet gewiß, daß Sie schon
wiederkommen? nicht?
Christoph. Ja freilich!--Aber wohlgemerkt, wie ich den Hunger und
Durst erklärt habe. Ihr die Wahrheit zu gestehn, meine liebe Jungfer, so
hatte ich schon, sobald ich gestern vom Pferde stieg, ein Auge auf Sie
geworfen. Doch weil ich nur einige Stunden hierzubleiben vermeinte,
so glaubte ich, es verlohne sich nicht der Mühe, mich mit Ihr bekannt
zu machen. Was hätten wir in so kurzer Zeit können ausrichten? Wir
hätten unsern Roman von hinten müssen anfangen. Allein es ist auch
nicht allzusicher, die Katze bei dem Schwanze aus dem Ofen zu ziehen.

Lisette. Das ist wahr! nun aber können wir schon ordentlicher verfahren.
Sie können mir Ihren Antrag tun; ich kann darauf antworten. Ich kann
Ihnen meine Zweifel machen; Sie können mir sie auflösen. Wir können
uns bei jedem Schritte, den wir tun, bedenken, und dürfen einander
nicht den Affen im Sacke verkaufen. Hätten Sie mir gestern gleich
Ihren Liebesantrag getan; es ist wahr, ich würde ihn angenommen
haben. Aber überlegen Sie einmal, wieviel ich gewagt hätte, wenn ich
mich nicht einmal nach Ihrem Stande, Vermögen, Vaterlande,
Bedienungen und dergleichen mehr zu erkundigen Zeit gehabt hätte?
Christoph. Der Geier! wäre das aber auch so nötig gewesen? So viel
Umstände? Sie könnten ja bei dem Heiraten nicht mehrere machen?--
Lisette. Oh! wenn es nur auf eine kahle Heirat angesehen wäre, so wär'
es lächerlich, wenn ich so gewissenhaft sein wollte. Allein mit einem
Liebesverständnisse ist es ganz etwas anders! Hier wird die
schlechteste Kleinigkeit zu einem wichtigen Punkte. Also glauben Sie
nur nicht, daß Sie die geringste Gefälligkeit von mir erhalten werden,
wenn Sie meiner Neugierde nicht in allen Stücken ein Gnüge tun.
Christoph. Nu? wie weit erstreckt sich denn die?
Lisette. Weil man doch einen Diener am besten nach seinem Herrn
beurteilen kann, so verlange ich vor allen Dingen zu wissen--
Christoph. Wer mein Herr ist? Ha! ha! das ist lustig. Sie fragen mich
etwas, das ich Sie gern selbst fragen möchte, wenn ich glaubte, daß Sie
mehr wüßten, als ich.
Lisette. Und mit dieser abgedroschnen Ausflucht denken Sie
durchzukommen? Kurz, ich muß wissen, wer Ihr Herr ist, oder unsre
ganze Freundschaft hat ein Ende.
Christoph. Ich kenne meinen Herrn nicht länger, als seit vier Wochen.
So lange ist es, daß er mich in Hamburg in seine Dienste genommen
hat. Von da aus habe ich ihn begleitet, niemals mir aber die Mühe
genommen, nach seinem Stande oder Namen zu fragen. So viel ist
gewiß, reich muß er sein; denn er hat weder mich noch sich auf der
Reise notleiden lassen. Und was brauch ich mich mehr zu bekümmern?
Lisette. Was soll ich mir von Ihrer Liebe versprechen, da Sie meiner
Verschwiegenheit nicht einmal eine solche Kleinigkeit anvertrauen
wollen? Ich würde nimmermehr gegen Sie so sein. Zum Exempel, hier
habe ich eine schöne silberne Schnupftabaksdose--
Christoph. Ja? nu?--

Lisette. Sie dürften mich ein klein wenig bitten, so sagte ich Ihnen, von
wem ich sie bekommen habe--
Christoph. Oh! daran ist mir nun eben so viel nicht gelegen. Lieber
möchte ich wissen, wer sie von Ihnen bekommen sollte?
Lisette. Über den Punkt habe ich eigentlich noch nichts beschlossen.
Doch wenn Sie sie nicht sollten bekommen, so haben Sie es niemanden
anders, als sich selbst zuzuschreiben. Ich würde Ihre Aufrichtigkeit
gewiß nicht unbelohnt lassen.
Christoph. Oder vielmehr meine Schwatzhaftigkeit! Doch, so wahr ich
ein ehrlicher Kerl bin, wann ich dasmal verschwiegen bin, so bin ich's
aus Not. Denn ich weiß nichts, was ich ausplaudern könnte. Verdammt!
wie gern wollte ich meine Geheimnisse ausschütten, wann ich nur
welche hätte.
Lisette. Adieu! ich will Ihre Tugend nicht länger bestürmen. Nur
wünsch ich, daß sie Ihnen bald zu einer silbernen Dose und einer
Liebsten verhelfen möge, so wie sie Sie jetzt um beides gebracht hat.
(Will geben.)
Christoph. Wohin? wohin? Geduld! (Beiseite.) Ich sehe mich genötigt,
zu lügen. Denn so ein Geschenk werde ich mir doch nicht sollen
entgehn lassen? Was wird's auch viel schaden?
Lisette. Nun, wollen Sie es näher geben? Aber,--ich sehe schon, es wird
Ihnen sauer. Nein, nein; ich mag nichts wissen--
Christoph. Ja, ja, Sie soll alles wissen!--(Beiseite.) Wer doch recht viel
lügen könnte!--Hören Sie nur!--Mein Herr ist--ist einer von Adel. Er
kömmt,--wir kommen miteinander aus--aus--Holland. Er hat
müssen--gewisser Verdrüßlichkeiten wegen--einer Kleinigkeit--eines
Mords wegen--entfliehen--
Lisette. Was? eines Mords wegen?
Christoph. Ja,--aber eines honetten Mords--eines Duells wegen
entfliehen.--Und jetzt eben--ist er auf der Flucht--
Lisette. Und Sie, mein Freund?--
Christoph. Ich, bin auch mit ihm auf der Flucht. Der Entleibte hat
uns--will ich sagen, die
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