Die Hochzeit des Moenchs | Page 7

Conrad Ferdinand Meyer

Leib und Seele bemächtigen, und schleppte ihn und sich gegen seinen
Krankenstuhl, auf welchen er hinfiel, ohne den gepreßten Arm des
nicht Widerstrebenden freizugeben. Diana folgte und kniete sich auf
der andern Seite des Sessels nieder mit hängenden Armen und
gefalteten Händen, das Haupt auf die Lehne legend, so daß nur der
Knoten ihres blonden Haares wie ein lebloser Gegenstand sichtbar

blieb. Der Gruppe gegenüber saß Ezzelin, die Rechte auf das gerollte
Breve wie auf einen Feldherrnstab gestützt.
'Söhnchen, Söhnchen', wimmerte der Alte mit einer aus Wahrheit und
List gemischten Zärtlichkeit, 'mein letzter und einziger Trost! Du Stab
und Stecken meines Alters wirst mir nicht zwischen diesen zitternden
Händen zerbrechen!... Du begreifst', fuhr er in einem schon trockneren,
sachlichen Ton fort, 'daß, wie die Dinge einmal liegen, deines Bleibens
im Kloster nicht länger sein kann. Ist es doch kanonisch, nicht wahr,
Söhnchen, daß ein Mönch, dessen Vater verarmt oder versiecht, von
seinem Prior beurlaubt wird, um das Erbgut zu bebauen und den
Urheber seiner Tage zu ernähren. Ich aber brauche dich noch viel
notwendiger. Deine Brüder und Neffen sind weg, und jetzt bist du es,
der die Lebensfackel unseres Hauses trägt! Du bist ein Flämmchen, das
ich angezündet habe, und mir kann nicht dienen, daß es in einer Zelle
verglimme und verrauche! Wisse eines'--er hatte in den warmen,
braunen Augen ein aufrichtiges Mitgefühl gelesen, und die ehrerbietige
Haltung des Mönches schien einen blinden Gehorsam zu versprechen--,
'ich bin kränker, als du denkst. Nicht wahr, Isaschar?' Er wendete sich
rückwärts gegen eine schmale Gestalt, welche, mit Fläschchen und
Löffel in den Händen, durch eine Nebentür leise hinter den Stuhl des
Alten getreten war und jetzt mit dem blassen Haupt bestätigend nickte.
Ich fahre dahin, aber ich sage dir, Astorre: Läßt du mich meines
Wunsches ungewährt, so weigert sich dein Väterchen, in den Kahn des
Totenführers zu steigen, und bleibt zusammengekauert am
Dämmerstrand sitzen!'
Der Mönch streichelte die fiebernde Hand des Alten zärtlich,
antwortete aber mit Sicherheit zwei Worte: 'Meine Gelübde!'
Ezzelin entfaltete das Breve.
'Deine Gelübde?' schmeichelte der alte Vicedomini. Lose Stricke!
Durchfeilte Fesseln! Mache eine Bewegung, und sie fallen. Die heilige
Kirche, welcher du Ehrfurcht und Gehorsam schuldig bist, erklärt sie
für ungültig und nichtig. Da steht es geschrieben.' Sein dürrer Finger
zeigte auf das Pergament mit dem päpstlichen Siegel.

Der Mönch näherte sich ehrerbietig dem Herrscher, empfing die Schrift
und las, von vier Augen beobachtet. Schwindelnd tat er einen Schritt
rückwärts, als stünde er auf einer Turmhöhe und sähe das Geländer
plötzlich weichen.
Ezzelin griff dem Wankenden mit der kurzen Frage unter die Arme:
'Wem hast du dein Gelübde gegeben, Mönch? Dir? oder der Kirche?'
'Natürlich beiden!' schrie der Alte erbost. 'Das sind verfluchte
Spitzfindigkeiten! Nimm dich vor dem dort in acht, Söhnchen! Er will
uns Vicedomini an den Bettelstab bringen!' Ohne Zorn legte Ezzelin
die Rechte auf den Bart und schwur: 'Stirbt Vicedomini, so beerbt ihn
der Mönch hier, sein Sohn, und stiftet--sollte das Geschlecht mit ihm
erlöschen und wenn er mich und seine Vaterstadt lieb hat--ein Hospital
von einer gewissen Ausdehnung und Großartigkeit, um welches uns die
hundert Städte'--er meinte die Städte Italiens--'beneiden sollen. Nun,
Gevatter, da ich mich von dem Vorwurf der Raubgier gereinigt habe,
darf ich an den Mönch ein paar weitere Fragen richten? Du gestattest?'
Jetzt packte den Alten ein solcher Ingrimm, daß er in Krämpfe fiel.
Noch aber ließ er den Arm des Mönches, welchen er wieder ergriffen
hatte, nicht fahren.
Isaschar näherte den vollen, mit einer stark duftenden Essenz gefüllten
Löffel vorsichtig den fahlen Lippen. Der Gefolterte wendete mit einer
Anstrengung den Kopf ab. 'Laß mich in Ruhe!' stöhnte er, 'du bist auch
der Arzt des Vogts!' und schloß die Augen.
Der Jude wandte die seinigen, welche glänzend schwarz und sehr klug
waren, gegen den Tyrannen, als flehe er um Verzeihung für diesen
Argwohn. 'Wird er zur Besinnung zurückkehren?' fragte Ezzelin.
'Ich glaube', antwortete der Jude. 'Noch lebt er und wird wieder
erwachen, aber nicht für lange, fürchte ich. Diese Sonne sieht er nicht
untergehen.'
Der Tyrann ergriff den Augenblick, mit Astorre zu sprechen, der um
den ohnmächtigen Vater beschäftigt war.

'Stehe mir Rede, Mönch!' sagte Ezzelin und wühlte--seine
Lieblingsgebärde--mit den gespreizten Fingern der Rechten in dem
Gewelle seines Bartes. 'Wieviel haben dich die drei Gelübde gekostet,
die du vor zehn und einigen Jahren, ich gebe dir dreißig'--der Mönch
nickte--, beschworen hast?'
Astorre schlug die lautern Augen auf und erwiderte ohne Bedenken:
'Armut und Gehorsam, nichts sonst. Ich habe keinen Sinn für Besitz
und gehorche leicht.' Er hielt inne und errötete.
Der Tyrann fand ein Wohlgefallen an dieser männlichen Keuschheit.
'Hat dir dieser hier deinen Stand aufgenötigt oder dich dazu
beschwatzt?' lenkte er ab.
'Nein', erklärte der Mönch. Seit lange her, wie der Stammbaum erzählt,
wird in unserm Hause von dreien oder vieren der letzte geistlich, sei es,
damit wir Vicedomini einen Fürbitter besitzen, oder
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