Die Gründung des Deutschen Zollvereins | Page 9

Heinrich von Treitschke
die erst das lebende Geschlecht in Erfüllung gehen sieht, regten sich in seinem stürmischen Kopfe: er dachte an eine gemeinsame Gewerbegesetzgebung, an ein deutsches Postwesen, an nationale Industrieausstellungen, er hoffte die romantischen Kaisertr?ume des jungen Geschlechts durch die Arbeit der praktischen nationalen Politik zu verdr?ngen und sah die Zeit voraus, da eine freie Verfassung, ein deutsches Parlament aus der Handelseinheit hervorgehen würde. Als der Sch?pfer des Zollvereins, wie er selber im überma? seines Selbstgefühls sich genannt hat, kann List gleichwohl keinem Unbefangenen gelten.
Ein klares Programm, einen bestimmten, durchgebildeten politischen Gedanken aufzustellen und festzuhalten, lag überhaupt nicht in der Weise der Patrioten jener Zeit. Nur im Innern der süddeutschen Mittelstaaten begann die konstitutionelle Bewegung bereits feste, deutlich ausgesprochene Parteimeinungen hervorzurufen. Wer über den deutschen Gesamtstaat schrieb, begnügte sich noch immer, der elenden Gegenwart ein leuchtendes Idealbild gegenüberzuhalten und dann im raschen Wechsel Einf?lle und Winke für den praktischen Staatsmann hinzuwerfen. Wie G?rres im Rheinischen Merkur ein ganzes Geschwader deutscher Verfassungspl?ne harmlos ver?ffentlichte, so eilte auch List in j?hen Sprüngen von einem Plane zum andern über. Bald will er die deutschen Bundesmauten an eine Aktiengesellschaft verpachten; bald soll Deutschland sich anschlie?en an das ?sterreichische Prohibitivsystem; dann überf?llt ihn wieder die Ahnung, ob nicht Preu?en den Weg zur Einheit zeigen werde. In seiner Eingabe an den Bundestag gestand er: ?Man wird unwillkürlich auf den Gedanken geleitet, die liberale preu?ische Regierung, die der Lage ihrer L?nder nach vollkommene Handelsfreiheit vor allen andern wünschen mu?, hege die gro?e Absicht, durch dieses Zollsystem die übrigen Staaten Deutschlands zu veranlassen, endlich wegen einer v?lligen Handelsfreiheit sich zu vergleichen. Diese Vermutung wird fast zur Gewi?heit, wenn man die Erkl?rung der preu?ischen Regierung berücksichtigt, da? sie sich geneigt finden lasse, mit Nachbarstaaten besondere Handelsvertr?ge zu schlie?en?. Leider vermochte der Leidenschaftliche nicht an dieser einfach richtigen Erkenntnis festzuhalten. Er war ein Gegner der preu?ischen Handelspolitik, soweit aus seinem unsteten Treiben überhaupt eine vorherrschende Ansicht erkennbar wird; denn nach allen Abschweifungen lenkte er immer wieder auf jenen Weg zurück, welchen Preu?en l?ngst als unm?glich erkannt hatte, auf die Idee der Bundesz?lle. Von den preu?ischen Zust?nden besa? List nur sehr mangelhafte Kenntnis; sein Verein ward durch die Hoffnung auf baldige Wiederaufhebung des preu?ischen Zollgesetzes zusammengehalten und besa? Korrespondenten in allen gr??eren deutschen Staaten, aber, bezeichnend genug, keinen in Preu?en.
Nur der Zauber, der an dem Namen Deutschland haftete, erkl?rt das R?tsel, da? so viele wackere und einsichtige M?nner noch immer auf eine Handelspolitik des Deutschen Bundes hoffen konnten. Seinerseits hatte der Bundestag alles getan, um die Schw?rmer zu entt?uschen. Die Berichterstattung über Lists Bittschrift wurde dem Hannoveraner Martens(20) übertragen, der gleich den meisten dieser ?deutschen Gro?britannier? die englische Handelsherrschaft auf deutschem Boden hocherfreulich fand. Mit dem ganzen Feuereifer polizeilicher Seelenangst fragte er zun?chst, woher dieser Verein das Recht nehme, sich zum Vertreter des deutschen Handelsstandes aufzuwerfen, und überlie? es den hohen Regierungen, auf ihre beteiligten Untertanen ein wachsames Auge zu richten. Zur Sache selbst brachte er nicht viel mehr vor als eine drastische Schilderung der ungeheueren Schwierigkeiten, welche sich, seit die deutschen Staaten souver?n geworden, der Handelseinheit entgegenstellten (24. Mai). Einige Bundesgesandte wünschten mindestens die Einsetzung einer Kommission; aber dann h?tten ja die Bittsteller w?hnen k?nnen, dieser Schritt sei auf ihre Veranlassung geschehen! Um einer so frevelhaften Mi?deutung vorzubeugen, beschlo? die Bundesversammlung nur, da? man sich sp?terhin einmal mit dem Artikel 19 besch?ftigen wolle. Einige Wochen nachher (22. Juli) erinnerten die Ernestinischen H?fe den Bundestag nochmals an den unglücklichen Artikel; Lists Freund, E. Weber, und die Fabrikanten des Thüringer Waldes lie?en ihnen keine Ruhe. Diesmal ergingen sich Baden, Württemberg, beide Hessen und die Ernestiner in wohlgemeinten, aber auch sehr wohlfeilen Reden zum Preise der deutschen Verkehrsfreiheit und begeisterten die Versammlung derma?en, da? sie nunmehr wirklich beschlo?, nach den Ferien, also 1820, solle eine Kommission eingesetzt werden. Das war die Hilfe, welche Deutschlands Handel in Frankfurt zu erwarten hatte. Der preu?ische Gesandte(21) aber fand es mit Recht unbegreiflich, da? diese Versammlung sichs zutraue, so schwierige Arbeiten auch nur in die Hand zu nehmen.
Trotz solcher Erfahrungen sollten noch viele Jahre vergehen, bis die Unausführbarkeit der leeren Versprechungen des Artikels 19 allgemein erkannt wurde. Mit gro?er Hartn?ckigkeit hielt namentlich die badische Regierung an dem Traumbilde des Bundeszollwesens fest; ihr langgestrecktes, auf die Durchfuhr angewiesenes Land litt unter dem Jammer der Binnenmauten besonders schwer, und nicht ohne Besorgnis betrachtete Minister Berstett(22) die wachsende Erbitterung im Volke. Der beschr?nkte Mann hoffte durch wirtschaftliches Gedeihen die Nation mit ihrer schimpflichen Zersplitterung zu vers?hnen, ihr ?einen materiellen Ersatz für den Verlust mancher chim?rischen, aber liebgewordenen Ideen? zu geben. Darum empfahl er auf den Karlsbader Konferenzen in einer langen Denkschrift (15. August) die Einführung eines Bundes- Douanensystems, das für 30 Millionen Menschen freien Verkehr schaffen müsse; über die gro?e Frage, wie es m?glich sein sollte, Hannover, Holstein, Luxemburg, Deutsch- ?sterreich einem nationalen Zollwesen einzufügen, ging das überaus unklare, widerspruchsvolle Schriftstück schweigend
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