Die Geschwister | Page 9

Johann Wolfgang von Goethe
einmal mit der Julie Mandeville, und ich fragte, ob der Heinrich, oder wie er hei?t, nicht ausgesehen habe wie du?--Du lachtest--das gefiel mir nicht. Da schwieg ich ein andermal still. Mir war's aber ganz ernsthaft; denn was die liebsten, die besten Menschen waren, die sahen bei mir alle aus wie du. Dich sah ich in den gro?en G?rten spazieren, und reiten, und reisen, und sich duellieren--(Sie lacht f��r sich.)
WILHELM. Wie ist dir?
MARIANNE. Da? ich's ebensomehr auch gestehe: wenn eine Dame recht h��bsch war und recht gut und recht geliebt--und recht verliebt--das war ich immer selbst.--Nur zuletzt, wenn's an die Entwicklung kam und sie sich nach allen Hindernissen noch heirateten--Ich bin doch auch gar ein treuherziges, gutes, geschw?tziges Ding!
WILHELM. Fahr fort! (Weggewendet.) Ich mu? den Freudenkelch austrinken. Erhalte mich bei Sinnen, Gott im Himmel!
MARIANNE. Unter allem konnt' ich am wenigsten leiden, wenn sich ein paar Leute liebhaben, und endlich kommt heraus, da? sie verwandt sind, oder Geschwister sind--Die Mi? Fanny h?tt' ich verbrennen k?nnen! --Ich habe so viel geweint! Es ist so ein gar erb?rmlich Schicksal!
(Sie wendet sich und weint bitterlich.)
WILHELM (auffahrend an ihrem Hals). Marianne! meine Marianne!
MARIANNE. Wilhelm! nein! nein! Ewig lass' ich dich nicht! Du bist mein!--Ich halte dich! ich kann dich nicht lassen!
(Fabrice tritt auf.)
MARIANNE. Ha, Fabrice, Sie kommen zur rechten Zeit! Mein Herz ist offen und stark, da? ich's sagen kann. Ich habe Ihnen nichts zugesagt, Sei'n Sie unser Freund! heiraten werd' ich Sie nie.
FABRICE (kalt und bitter). Ich dacht' es, Wilhelm, wenn du dein ganzes Gewicht auf die Schale legtest, mu?t' ich zu leicht erfunden werden. Ich komme zur��ck, da? ich mir vom Herzen schaffe, was doch herunter mu?. Ich gebe alle Anspr��che auf und sehe, die Sachen haben sich schon gemacht; mir ist wenigstens lieb, da? ich unschuldige Gelegenheit dazu gegeben habe.
WILHELM. L?stre nicht in dem Augenblick und raub dir nicht ein Gef��hl, um das du vergebens in die weite Welt wallfahrtetest! Siehe hier das Gesch?pf--sie ist ganz mein--und sie wei? nicht--
FABRICE (halb spottend). Sie wei? nicht?
MARIANNE. Was wei? ich nicht?
WILHELM. Hier l��gen, Fabrice--?
FABRICE (getroffen). Sie wei? nicht?
WILHELM. Ich sag's.
FABRICE. Behaltet einander, ihr seid einander wert!
MARIANNE. Was ist das?
WILHELM (ihr um den Hals fallend). Du bist mein, Marianne!
MARIANNE. Gott! was ist das?--Darf ich dir diesen Ku? zur��ckgeben?-- Welch ein Ku? war das, Bruder?
WILHELM. Nicht des zur��ckhaltenden, kaltscheinenden Bruders, der Ku? eines ewig einzig gl��cklichen Liebhabers.--(Zu ihren F��?en.) Marianne, du bist nicht meine Schwester! Charlotte war deine Mutter, nicht meine.
MARIANNE. Du! du!
WILHELM. Dein Geliebter!--von dem Augenblicke an dein Gatte, wenn du ihn nicht verschm?hst.
MARIANNE. Sag mir, wie war's m?glich?--
FABRICE. Genie?t, was euch Gott selbst nur einmal geben kann! Nimm es an, Marianne, und frag nicht.--Ihr werdet noch Zeit genug finden, euch zu erkl?ren.
MARIANNE (ihn ansehend). Nein, es ist nicht m?glich!
WILHELM. Meine Geliebte! meine Gattin!
MARIANNE (an seinem Hals). Wilhelm, es ist nicht m?glich!
Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes "Die Geschwister" von Johann Wolfgang von Goethe.

Die Geschwister

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