Die Geschwister | Page 6

Johann Wolfgang von Goethe
sollte. Ich tue doch auch alles f��r mich, und mir ist, als wenn ich alles f��r ihn t?te, weil ich auch bei dem, was ich f��r mich tue, immer an ihn denke.
FABRICE. Und wenn Sie nun das alles f��r einen Gatten t?ten, wie ganz gl��cklich w��rde er sein! Wie dankbar w��rde er sein, und welch ein h?uslich Leben w��rde das werden!
MARIANNE. Manchmal stell' ich mir's auch vor und kann mir ein langes M?rchen erz?hlen, wenn ich so sitze und stricke oder n?he, wie alles gehen k?nnte und gehen m?chte. Komm' ich aber hernach aufs Wahre zur��ck, so will's immer nicht werden.
FABRICE. Warum?
MARIANNE. Wo wollt' ich einen Gatten finden, der zufrieden w?re, wenn ich sagte: "Ich will Euch liebhaben", und m��?te gleich dazusetzen: "Lieber als meinen Bruder kann ich Euch nicht haben, f��r den mu? ich alles tun d��rfen, wie bisher."--Ach, Sie sehen, da? das nicht geht!
FABRICE. Sie w��rden nachher einen Teil f��r den Mann tun, Sie w��rden die Liebe auf ihn ��bertragen.--
MARIANNE. Da sitzt der Knoten! Ja, wenn sich Liebe her��ber und hin��ber zahlen lie?e wie Geld, oder den Herrn alle Quartal ver?nderte wie eine schlechte Dienstmagd. Bei einem Manne w��rde das alles erst werden m��ssen, was hier schon ist, was nie so wieder werden kann.
FABRICE. Es macht sich viel.
MARIANNE. Ich wei? nicht. Wenn er so bei Tische sitzt und den Kopf auf die Hand stemmt, niedersieht und still ist in Sorgen--ich kann halbe Stunden lang sitzen und ihn ansehen. Er ist nicht sch?n, sag' ich manchmal so zu mir selbst, und mir ist's so wohl, wenn ich ihn ansehe.--Freilich f��hl' ich nun wohl, da? es mit f��r mich ist, wenn er sorgt; freilich sagt mir das der erste Blick, wenn er wieder aufsieht, und das tut ein Gro?es.
FABRICE. Alles, Marianne. Und ein Gatte, der f��r Sie sorgte!--
MARIANNE. Da ist noch eins; da sind eure Launen. Wilhelm hat auch seine Launen; von ihm dr��cken sie mich nicht, von jedem andern w?ren sie mir unertr?glich. Er hat leise Launen, ich f��hl' sie doch manchmal. Wenn er in unholden Augenblicken eine gute teilnehmende liebevolle Empfindung wegst??t--es trifft mich! freilich nur einen Augenblick; und wenn ich auch ��ber ihn knurre, so ist's mehr, da? er meine Liebe nicht erkennt, als da? ich ihn weniger liebe.
FABRICE. Wenn sich nun aber einer f?nde, der es auf alles das hin wagen sollte, Ihnen seine Hand anzubieten?
MARIANNE. Er wird sich nicht finden! Und dann w?re die Frage, ob ich's mit ihm wagen d��rfte.
FABRICE. Warum nicht?
MARIANNE. Er wird sich nicht finden!
FABRICE. Marianne, Sie haben ihn!
MARIANNE. Fabrice!
FABRICE. Sie sehen ihn vor sich. Soll ich eine lange Rede halten? Soll ich Ihnen hinsch��tten, was mein Herz so lange bewahrt? Ich liebe Sie, das wissen Sie lange; ich biete Ihnen meine Hand an, das vermuteten Sie nicht. Nie hab' ich ein M?dchen gesehen, das so wenig dachte, da? es Gef��hle dem, der sie sieht, erregen mu?, als dich. --Marianne, es ist nicht ein feuriger, unbedachter Liebhaber, der mit Ihnen spricht; ich kenne Sie, ich habe Sie erkoren, mein Haus ist eingerichtet; wollen Sie mein sein?--Ich habe in der Liebe mancherlei Schicksale gehabt, war mehr als einmal entschlossen, mein Leben als Hagestolz zu enden. Sie haben mich nun--Widerstehen Sie nicht!--Sie kennen mich; ich bin eins mit Ihrem Bruder; Sie k?nnen kein reineres Band denken.--?ffnen Sie Ihr Herz!--Ein Wort, Marianne!
MARIANNE. Lieber Fabrice, lassen Sie mir Zeit, ich bin Ihnen gut.
FABRICE. Sagen Sie, da? Sie mich lieben! Ich lasse Ihrem Bruder seinen Platz; ich will Bruder Ihres Bruders sein, wir wollen vereint f��r ihn sorgen. Mein Verm?gen, zu dem seinen geschlagen, wird ihn mancher kummervollen Stunde ��berheben, er wird Mut kriegen, er wird--Marianne, ich m?chte Sie nicht gern ��berreden. (Er fa?te ihre Hand.)
MARIANNE. Fabrice, es ist mir nie eingefallen--In welche Verlegenheit setzen Sie mich!--
FABRICE. Nur ein Wort! Darf ich hoffen?
MARIANNE. Reden Sie mit meinem Bruder!
FABRICE (kniet). Engel! Allerliebste!
MARIANNE (einen Augenblick still). Gott! was hab' ich gesagt! (Ab. )
(Fabrice allein.)
FABRICE. Sie ist dein!--Ich kann dem lieben kleinen Narren wohl die T?ndelei mit dem Bruder erlauben; das wird sich so nach und nach her��ber begeben, wenn wir einander n?her kennenlernen, und er soll nichts dabei verlieren. Es tut mir gar wohl, wieder so zu lieben und gelegentlich wieder so geliebt zu werden! Es ist doch eine Sache, woran man nie den Geschmack verliert.--Wir wollen zusammen wohnen. Ohne das h?tt' ich des guten Menschen gewissenhafte H?uslichkeit zeither schon gern ein bi?chen ausgeweitet; als Schwager wird's schon gehen. Er wird sonst ganz Hypochonder mit seinen ewigen Erinnerungen, Bedenklichkeiten, Nahrungssorgen und Geheimnissen. Es wird alles h��bsch! Er soll freiere Luft atmen; das M?dchen soll einen Mann haben--das nicht wenig ist; und du kriegst noch mit Ehren eine Frau--das viel ist!
(Wilhelm kommt.)
FABRICE. Ist dein Spaziergang zu Ende?
WILHELM. Ich ging auf den Markt und die Pfarrgasse hinauf und an der B?rse zur��ck. Mir ist's eine wunderliche Empfindung, nachts durch die Stadt
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