Die Geschwister | Page 4

Johann Wolfgang von Goethe
grob sind! Wenn Fabrice oder sonst ein guter Junge einen Ku? nehmen d��rfte, die spr?ngen w?ndehoch, und der Herr da verschm?ht einen, den ich geben will.--Jetzt verbrenn' ich die Tauben. (Ab.)
WILHELM. Engel! lieber Engel! da? ich mich halte, da? ich ihr nicht um den Hals falle, ihr alles entdecke!--Siehst du denn auf uns herunter, heilige Frau, die du mir diesen Schatz aufzuheben gabst?--Ja, sie wissen von uns droben! sie wissen von uns!--Charlotte, du konntest meine Liebe zu dir nicht herrlicher, heiliger belohnen, als da? du mir scheidend deine Tochter anvertrautest! Du gabst mir alles, was ich bedurfte, kn��pftest mich ans Leben! Ich liebte sie als dein Kind--und nun!--Noch ist mir's T?uschung. Ich glaube dich wiederzusehen, glaube, da? mir das Schicksal verj��ngt dich wiedergegeben hat, da? ich nun mit dir vereinigt bleiben und wohnen kann, wie ich's in jenem ersten Traum des Lebens nicht konnte! nicht sollte!--Gl��cklich! gl��cklich! All deinen Segen, Vater im Himmel!
(Fabrice kommt.)
FABRICE. Guten Abend.
WILHELM. Lieber Fabrice, ich bin gar gl��cklich; es ist alles Gute ��ber mich gekommen diesen Abend. Nun, nichts von Gesch?ften! Da liegen deine dreihundert Taler! Frisch in die Tasche! Meinen Schein gibst du mir gelegentlich wieder. Und la? uns eins plaudern!
FABRICE. Wenn du sie weiter brauchst--
WILHELM. Wenn ich sie wieder brauche, gut! Ich bin dir immer dankbar, nur jetzt nimm sie zu dir.--H?re, Charlottens Andenken ist diesen Abend wieder unendlich neu und lebendig vor mir geworden.
FABRICE. Das tut's wohl ?fters.
WILHELM. Du h?ttest sie kennen sollen! Ich sage dir, es war eins der herrlichsten Gesch?pfe.
FABRICE. Sie war Witwe, wie du sie kennenlerntest?
WILHELM. So rein und gro?! Da las ich gestern noch einen ihrer Briefe. Du bist der einzige Mensch, der je was davon gesehen hat. (Er geht nach der Schatulle.)
FABRICE (f��r sich). Wenn er mich nur jetzt verschonte! Ich habe die Geschichte schon so oft geh?rt! Ich h?re ihm sonst auch gern zu, denn es geht ihm immer vom Herzen; nur heute hab' ich ganz andere Sachen im Kopf, und just m?cht' ich ihn in guter Laune erhalten.
WILHELM. Es war in den ersten Tagen unserer Bekanntschaft. "Die Welt wird mir wieder lieb", schreibt sie, "ich hatte mich so los von ihr gemacht, wieder lieb durch Sie. Mein Herz macht mir Vorw��rfe; ich f��hle, da? ich Ihnen und mir Qualen zubereite. Vor einem halben Jahre war ich so bereit, zu sterben, und bin's nicht mehr."
FABRICE. Eine sch?ne Seele!
WILHELM. Die Erde war sie nicht wert. Fabrice, ich hab' dir schon oft gesagt, wie ich durch sie ein ganz anderer Mensch wurde. Beschreiben kann ich die Schmerzen nicht, wenn ich dann zur��ck und mein v?terliches Verm?gen von mir verschwendet sah! Ich durfte ihr meine Hand nicht anbieten, konnte ihren Zustand nicht ertr?glicher machen. Ich f��hlte zum erstenmal den Trieb, mir einen n?tigen schicklichen Unterhalt zu erwerben; aus der Verdrossenheit, in der ich einen Tag nach dem andern k��mmerlich hingelebt hatte, mich herauszurei?en. Ich arbeitete--aber was war das?--Ich hielt an, brachte so ein m��hseliges Jahr durch; endlich kam mir ein Schein von Hoffnung; mein Weniges vermehrte sich zusehends--und sie starb--Ich konnte nicht bleiben. Du ahnest nicht, was ich litt. Ich konnte die Gegend nicht mehr sehen, wo ich mit ihr gelebt hatte, und den Boden nicht verlassen, wo sie ruhte. Sie schrieb mir kurz vor ihrem Ende--(Er nimmt einen Brief aus der Schatulle.)
FABRICE. Es ist ein herrlicher Brief, du hast ihn mir neulich gelesen.--H?re, Wilhelm--
WILHELM. Ich kann ihn auswendig und les' ihn immer. Wenn ich ihre Schrift sehe, das Blatt, wo ihre Hand geruht hat, mein' ich wieder, sie sei noch da--Sie ist auch noch da!--(Man h?rt ein Kind schreien.) Da? doch Marianne nicht ruhen kann! Da hat sie wieder den Jungen unseres Nachbars; mit dem treibt sie sich t?glich herum und st?rt mich zur unrechten Zeit. (An der T��r). Marianne, sei still mit dem Jungen, oder schick ihn fort, wenn er unartig ist. Wir haben zu reden. (Er steht in sich gekehrt.)
FABRICE. Du solltest diese Erinnerungen nicht so oft reizen.
WILHELM. Diese Zeilen sind's! diese letzten! der Abschiedshauch des scheidenden Engels. (Er legt den Brief wieder zusammen.) Du hast recht, es ist s��ndlich. Wie selten sind wir wert, die vergangenen selig-elenden Augenblicke unseres Lebens wieder zu f��hlen!
FABRICE. Dein Schicksal geht mir immer zu Herzen. Sie hinterlie? eine Tochter, erz?hltest du mir, die ihrer Mutter leider bald folgte. Wenn die nur leben geblieben w?re, du h?ttest wenigstens etwas von ihr ��brig gehabt, etwas gehabt, woran sich deine Sorgen und dein Schmerz geheftet h?tten.
WILHELM (sich lebhaft nach ihm wendend). Ihre Tochter? Es war ein holdes Bl��tchen. Sie ��bergab mir's--Es ist zu viel, was das Schicksal f��r mich getan hat!--Fabrice, wenn ich dir alles sagen k?nnte--
FABRICE. Wenn dir's einmal ums Herz ist.
WILHELM. Warum sollt' ich nicht--
(Marianne mit einem Knaben.)
MARIANNE. Er will noch Gutenacht sagen, Bruder. Du mu?t ihm kein finster Gesicht machen, und mir auch nicht. Du sagst immer, du wolltest heiraten und
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