Bef?higung ihres Auges, sammt ihrer hellen und aufrichtigen Farbenlust, wird man sich nicht entbrechen k?nnen, zur Besch?mung aller Sp?tergeborenen, auch für ihre Tr?ume eine logische Causalit?t der Linien und Umrisse, Farben und Gruppen, eine ihren besten Reliefs ?hnelnde Folge der Scenen vorauszusetzen, deren Vollkommenheit uns, wenn eine Vergleichung m?glich w?re, gewiss berechtigen würde, die tr?umenden Griechen als Homere und Homer als einen tr?umenden Griechen zu bezeichnen: in einem tieferen Sinne als wenn der moderne Mensch sich hinsichtlich seines Traumes mit Shakespeare zu vergleichen wagt.
Dagegen brauchen wir nicht nur vermuthungsweise zu sprechen, wenn die ungeheure Kluft aufgedeckt werden soll, welche die dionysischen Griechen von den dionysischen Barbaren trennt. Aus allen Enden der alten Welt - um die neuere hier bei Seite zu lassen - von Rom bis Babylon k?nnen wir die Existenz dionysischer Feste nachweisen, deren Typus sich, besten Falls, zu dem Typus der griechischen verh?lt, wie der b?rtige Satyr, dem der Bock Namen und Attribute verlieh, zu Dionysus selbst. Fast überall lag das Centrum dieser Feste in einer überschw?nglichen geschlechtlichen Zuchtlosigkeit, deren Wellen über jedes Familienthum und dessen ehrwürdige Satzungen hinweg flutheten; gerade die wildesten Bestien der Natur wurden hier entfesselt, bis zu jener abscheulichen Mischung von Wollust und Grausamkeit, die mir immer als der eigentliche "Hexentrank" erschienen ist. Gegen die fieberhaften Regungen jener Feste, deren Kenntniss auf allen Land- und Seewegen zu den Griechen drang, waren sie, scheint es, eine Zeit lang v?llig gesichert und geschützt durch die hier in seinem ganzen Stolz sich aufrichtende Gestalt des Apollo, der das Medusenhaupt keiner gef?hrlicheren Macht entgegenhalten konnte als dieser fratzenhaft ungeschlachten dionysischen. Es ist die dorische Kunst, in der sich jene majest?tisch-ablehnende Haltung des Apollo verewigt hat. Bedenklicher und sogar unm?glich wurde dieser Widerstand, als endlich aus der tiefsten Wurzel des Hellenischen heraus sich ?hnliche Triebe Bahnbrachen: jetzt beschr?nkte sich das Wirken des delphischen Gottes darauf, dem gewaltigen Gegner durch eine zur rechten Zeit abgeschlossene Vers?hnung die vernichtenden Waffen aus der Hand zu nehmen. Diese Vers?hnung ist der wichtigste Moment in der Geschichte des griechischen Cultus: wohin man blickt, sind die Umw?lzungen dieses Ereignisses sichtbar. Es war die Vers?hnung zweier Gegner, mit scharfer Bestimmung ihrer von jetzt ab einzuhaltenden Grenzlinien und mit periodischer Uebersendung von Ehrengeschenken; im Grunde war die Kluft nicht überbrückt. Sehen wir aber, wie sich unter dem Drucke jenes Friedensschlusses die dionysische Macht offenbarte, so erkennen wir jetzt, im Vergleiche mit jenen babylonischen Sak?en und ihrem Rückschritte des Menschen zum Tiger und Affen, in den dionysischen Orgien der Griechen die Bedeutung von Welterl?sungsfesten und Verkl?rungstagen.
Erst bei ihnen erreicht die Natur ihren künstlerischen Jubel, erst bei ihnen wird die Zerreissung des principii individuationis ein künstlerisches Ph?nomen. Jener scheussliche Hexentrank aus Wollust und Grausamkeit war hier ohne Kraft: nur die wundersame Mischung und Doppelheit in den Affecten der dionysischen Schw?rmer erinnert an ihn - wie Heilmittel an t?dtliche Gifte erinnern -, jene Erscheinung, dass Schmerzen Lust erwecken, dass der Jubel der Brust qualvolle T?ne entreisst. Aus der h?chsten Freude t?nt der Schrei des Entsetzens oder der sehnende Klagelaut über einen unersetzlichen Verlust. In jenen griechischen Festen bricht gleichsam ein sentimentalischer Zug der Natur hervor, als ob sie über ihre Zerstückelung in Individuen zu seufzen habe. Der Gesang und die Geb?rdensprache solcher zwiefach gestimmter Schw?rmer war für die homerisch- griechische Welt etwas Neues und Unerh?rtes: und insbesondere erregte ihr die dionysische Musik Schrecken und Grausen. Wenn die Musik scheinbar bereits als eine apollinische Kunst bekannt war, so war sie dies doch nur, genau genommen, als Wellenschlag des Rhythmus, dessen bildnerische Kraft zur Darstellung apollinischer Zust?nde entwickelt wurde. Die Musik des Apollo war dorische Architektonik in T?nen, aber in nur angedeuteten T?nen, wie sie der Kithara zu eigen sind. Behutsam ist gerade das Element, als unapollinisch, ferngehalten, das den Charakter der dionysischen Musik und damit der Musik überhaupt ausmacht, die erschütternde Gewalt des Tones, der einheitliche Strom des Melos und die durchaus unvergleichliche Welt der Harmonie. Im dionysischen Dithyrambus wird der Mensch zur h?chsten Steigerung aller seiner symbolischen F?higkeiten gereizt; etwas Nieempfundenes dr?ngt sich zur Aeusserung, die Vernichtung des Schleiers der Maja, das Einssein als Genius der Gattung, ja der Natur. Jetzt soll sich das Wesen der Natur symbolisch ausdrücken; eine neue Welt der Symbole ist n?thig, einmal die ganze leibliche Symbolik, nicht nur die Symbolik des Mundes, des Gesichts, des Wortes, sondern die volle, alle Glieder rhythmisch bewegende Tanzgeb?rde. Sodann wachsen die anderen symbolischen Kr?fte, die der Musik, in Rhythmik, Dynamik und Harmonie, pl?tzlich ungestüm. Um diese Gesammtentfesselung aller symbolischen Kr?fte zu fassen, muss der Mensch bereits auf jener H?he der Selbstent?usserung angelangt sein, die in jenen Kr?ften sich symbolisch aussprechen will: der dithyrambische Dionysusdiener wird somit nur von Seinesgleichen verstanden! Mit welchem Erstaunen musste der apollinische Grieche auf ihn blicken! Mit einem Erstaunen, das um so gr?sser war, als sich ihm das Grausen beimischte, dass ihm jenes Alles doch
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