sich
symbolisch aussprechen will: der dithyrambische Dionysusdiener wird
somit nur von Seinesgleichen verstanden! Mit welchem Erstaunen
musste der apollinische Grieche auf ihn blicken! Mit einem Erstaunen,
das um so grösser war, als sich ihm das Grausen beimischte, dass ihm
jenes Alles doch eigentlich so fremd nicht sei, ja dass sein apollinisches
Bewusstsein nur wie ein Schleier diese dionysische Welt vor ihm
verdecke.
3.
Um dies zu begreifen, müssen wir jenes kunstvolle Gebäude der
apollinischen Cultur gleichsam Stein um Stein abtragen, bis wir die
Fundamente erblicken, auf die es begründet ist. Hier gewahren wir nun
zuerst die herrlichen olympischen Göttergestalten, die auf den Giebeln
dieses Gebäudes stehen, und deren Thaten in weithin leuchtenden
Reliefs dargestellt seine Friese zieren. Wenn unter ihnen auch Apollo
steht, als eine einzelne Gottheit neben anderen und ohne den Anspruch
einer ersten Stellung, so dürfen wir uns dadurch nicht beirren lassen.
Derselbe Trieb, der sich in Apollo versinnlichte, hat überhaupt jene
ganze olympische Welt geboren, und in diesem Sinne darf uns Apollo
als Vater derselben gelten. Welches war das ungeheure Bedürfniss, aus
dem eine so leuchtende Gesellschaft olympischer Wesen entsprang?
Wer, mit einer anderen Religion im Herzen, an diese Olympier
herantritt und nun nach sittlicher Höhe, ja Heiligkeit, nach unleiblicher
Vergeistigung, nach erbarmungsvollen Liebesblicken bei ihnen sucht,
der wird unmuthig und enttäuscht ihnen bald den Rücken kehren
müssen. Hier erinnert nichts an Askese, Geistigkeit und Pflicht: hier
redet nur ein üppiges, ja triumphirendes Dasein zu uns, in dem alles
Vorhandene vergöttlicht ist, gleichviel ob es gut oder böse ist. Und so
mag der Beschauer recht betroffen vor diesem phantastischen
Ueberschwang des Lebens stehn, um sich zu fragen, mit welchem
Zaubertrank im Leibe diese übermüthigen Menschen das Leben
genossen haben mögen, dass, wohin sie sehen, Helena, das "in süsser
Sinnlichkeit schwebende" Idealbild ihrer eignen Existenz, ihnen
entgegenlacht. Diesem bereits rückwärts gewandten Beschauer müssen
wir aber zurufen: "Geh' nicht von dannen, sondern höre erst, was die
griechische Volksweisheit von diesem selben Leben aussagt, das sich
hier mit so unerklärlicher Heiterkeit vor dir ausbreitet. Es geht die alte
Sage, dass König Midas lange Zeit nach dem weisen Silen, dem
Begleiter des Dionysus, im Walde gejagt habe, ohne ihn zu fangen. Als
er ihm endlich in die Hände gefallen ist, fragt der König, was für den
Menschen das Allerbeste und Allervorzüglichste sei. Starr und
unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen,
endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: `Elendes
Eintagsgeschlecht, des Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du
mich dir zu sagen, was nicht zu hören für dich das Erspriesslichste ist?
Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht geboren zu sein,
nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich - bald zu
sterben`."
Wie verhält sich zu dieser Volksweisheit die olympische Götterwelt?
Wie die entzückungsreiche Vision des gefolterten Märtyrers zu seinen
Peinigungen.
Jetzt öffnet sich uns gleichsam der olympische Zauberberg und zeigt
uns seine Wurzeln. Der Grieche kannte und empfand die Schrecken
und Entsetzlichkeiten des Daseins: um überhaupt leben zu können,
musste er vor sie hin die glänzende Traumgeburt der Olympischen
stellen. Jenes ungeheure Misstrauen gegen die titanischen Mächte der
Natur, jene über allen Erkenntnissen erbarmungslos thronende Moira
jener Geier des grossen Menschenfreundes Prometheus, jenes
Schreckensloos des weisen Oedipus, jener Geschlechtsfluch der
Atriden, der Orest zum Muttermorde zwingt, kurz jene ganze
Philosophie des Waldgottes, sammt ihren mythischen Exempeln, an der
die schwermüthigen Etrurier zu Grunde gegangen sind - wurde von den
Griechen durch jene künstlerische Mittelwelt der Olympier fortwährend
von Neuem überwunden, jedenfalls verhüllt und dem Anblick entzogen.
Um leben zu können, mussten die Griechen diese Götter, aus tiefster
Nöthigung, schaffen: welchen Hergang wir uns wohl so vorzustellen
haben, dass aus der ursprünglichen titanischen Götterordnung des
Schreckens durch jenen apollinischen Schönheitstrieb in langsamen
Uebergängen die olympische Götterordnung der Freude entwickelt
wurde: wie Rosen aus dornigem Gebüsch hervorbrechen. Wie anders
hätte jenes so reizbar empfindende, so ungestüm begehrende, zum
Leiden so einzig befähigte Volk das Dasein ertragen können, wenn ihm
nicht dasselbe, von einer höheren Glorie umflossen, in seinen Göttern
gezeigt worden wäre. Derselbe Trieb, der die Kunst in's Leben ruft, als
die zum Weiterleben verführende Ergänzung und Vollendung des
Daseins, liess auch die olympische Welt entstehn, in der sich der
hellenische "Wille" einen verklärenden Spiegel vorhielt. So
rechtfertigen die Götter das Menschenleben, indem sie es selbst leben -
die allein genügende Theodicee! Das Dasein unter dem hellen
Sonnenscheine solcher Götter wird als das an sich Erstrebenswerthe
empfunden, und der eigentliche Schmerz der homerischen Menschen
bezieht sich auf das Abscheiden aus ihm, vor allem auf das baldige
Abscheiden: so dass man jetzt von ihnen, mit Umkehrung der
silenischen Weisheit, sagen könnte, "das Allerschlimmste sei für sie,
bald zu sterben, das Zweitschlimmste, überhaupt einmal zu sterben".
Wenn die Klage einmal ertönt, so klingt sie wieder vom kurzlebenden
Achilles, von dem blättergleichen Wechsel und Wandel des
Menschengeschlechts,
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