Die Göttliche Komödie | Page 9

Dante Alighieri
als ich drin war, schien es erst beladen.
Sobald
wir beid’ uns eingesetzt, begann
Des Nachens Fahrt und furchte tiefre
Zeilen,
Als er mit andrer Bürde furchen kann.
Indessen wir die tote
Moorflut teilen,
Kommt einer, kotbedeckt, vor mich und spricht:

"Wer heißt dich vor der Zeit herniedereilen?"
"Ich komme," sprach
ich, "aber bleibe nicht.
Doch wer bist du, So widrig und
abscheulich?"--
"Ein Heulender, dies sagt dir dein Gesicht."--
Und
ich: "Denkst du, dein Heulen sei erfreulich?
Vermaledeiter Geist, fort,
weg von mir!
Ich kenne dich, sei noch so wild und greulich !"
Die
Hände streckt’ er nun zum Kahn voll Gier,
Und mit Gewalt mußt’ ihn
mein Herr verjagen,

Der sprach: "Mit andern Hunden, weg von hier!"

Drauf hielt er seinen Arm um mich geschlagen
Und küßte mich
und sprach: "Erzürnter Geist,
Beglückt die Mutter, welche dich
getragen!
Stolz war im Leben dieser--niemand preist
Von ihm nur
einen guten Zug auf Erden,
Daher er hier sich noch in Wut zerreißt.

Viel Fürsten gibt’s dort, die sich stolz gebärden,
Die, Schmach nur
hinterlassend, wie die Sau’n,
Im Schlamme hier auf ewig wühlen

werden."
Und ich: "Begierig war’ ich wohl, zu schau’n,
Wie er in
diesem Schlamme tauchen müßte,
Eh’ wir verlassen diesen See voll
Grau’n."
Und er zu mir: "Bevor sich noch die Küste
Dir sehen läßt,
erfreut dich der Genuß.
Befriedigung gebühret dem Gelüste."
Bald
sah ich, wie zu Qual ihm und Verdruß
Die Kotigen mit ihm
beschäftigt waren,
Drob ich Gott loben noch und danken muß.

Frisch, auf Philipp Argenti! schrien die Scharen;
Dann sah ich, selbst
sich beißend, auf sie los
Den tollen Geist des Florentiners fahren.

Und dies erzähl’ ich nur von seinem Los.
Ich ließ ihn dort und hört’
ein Schmerzensbrüllen
Und macht’, um vorzuschau’n, die Augen
groß.
"Bald wird sich, Sohn, dir jene Stadt enthüllen,"
So sprach
mein guter Meister, " Dis genannt,
Die scharenweis’ unsel’ge Bürger
füllen."
Und ich: "Mein Meister, deutlich schon erkannt
Hab’ ich
im Tale jener Stadt Moscheen,
Glutrot, als ragten sie aus lichtem
Brand."
Drauf sprach mein Führer: "Ew’ge Flammen wehen
In
ihrem Innern, drum im roten Schein
Sind sie in diesem Höllengrund
zu sehen."
Bald fuhren wir in tiefe Gräben ein,
Den Zugang
sperrend zu dem grausen Orte;
Die Mauer schien von Eisen mir zu
sein.
Dann aber hörten wir des Steurers Worte,
Nachdem vorher wir
auf dem Pfuhle weit
Umhergekreuzt: "Steigt aus, hier ist die Pforte."

Wohl tausend standen auf dem Tor bereit,
Vom Himmel
hergestürzt. Es schrien die Frechen:
"Wer wagt’s, noch lebend, voll
Verwegenheit
Ins tiefe Reich der Toten einzubrechen?"
Mein
Meister aber, ihnen winkend, lud
Sie klüglich ein, ihn erst geheim zu
sprechen.
Da legte sich ein wenig ihre Wut.
Sie sprachen: "Komm
allein, laß gehn den Toren,
Der hier hereindrang mit so keckem Mut.

Find’ er den Weg, den sich sein Wahn erkoren,
Allein
zurück--erprob’ er doch, wie er
Sich durch die Nacht führt, wenn er
dich verloren."
Und nun bedenk’, o Leser, wie so schwer
Mich der
Verdammten Rede niederdrückte,
Denn ich verzweifelt’ an der
Wiederkehr.
"Mein teurer Führer, du, durch den mir’s glückte,
Daß
ich gerettet ward schon siebenmal,
Des Schutz mich drohender
Gefahr entrückte,
Verlaß mich", sprach ich, "nicht in dieser Qual,


Und darf ich auch nicht weiter vorwärts dringen,
So komm mit mir
zurück durchs dunkle Tal."
Und er, befehligt, mich hierher zu bringen,

Sprach: "Fürchte nichts; erlaubt hat unsern Gang
Er, dem nichts
wehrt, drum wird er wohl gelingen.
Hier harre mein, und ist die Seele
bang,
So magst du sie mit guter Hoffnung speisen,
Denn nicht
verlass’ ich dich in solchem Drang."
So ging er.--ich, getrennt von
meinem Weisen,
Dem süßen Vater, fühlte Ja und Nein
Beim
Zweifelkampf in meinem Haupte kreisen.
Nicht hört’ ich, was sein
Antrag mochte sein,
Allein er blieb bei jenem Volk nicht lange,

Denn alle rannten in die Stadt hinein
Und schlugen ihm das Tor im
wilden Drange
Vorm Antlitz zu und sperrten ihn heraus.
Da kehrt’
er sich zu mir mit schwerem Gange.
Den Blick gesenkt, die Brau’n
verstört und kraus,
Ließ er in Seufzern diese Worte hören:
"Wer
schließt mich von der Stadt der Schmerzen aus ?"
Und dann zu mir:
"Nicht mög’ es dich verstören,
Wenn du mich zürnen siehst--ich
siege doch,
Wie keck sie auch dort drinnen sich empören.
Schon
früher stieg ihr kecker Mut so hoch,
An einem Tor, nicht so geheim
gelegen,
Und ohne Schloß und Riegel heute noch,
Am Tor, von
dem die schwarze Schrift entgegen
Dem Wandrer droht--doch
diesseits schon von dort
Kommt, ohne Leitung, auf den dunkeln
Wegen
Ein andrer her und öffnet uns den Ort."
Neunter Gesang
Weil ich vor Angst und banger Furcht erblich,
Als ich den Herrn sah
sich zurückbewegen,
Verschloß Virgil die eigne Furcht in sich.

Aufmerksam stand er dort, wie Horcher pflegen,
Denn, weit zu
schau’n, war ihm die Dunkelheit
Der schwarzen Luft und
Nebelqualm entgegen.
Er sprach: "Wir siegen doch in diesem Streit--

Wenn nicht--doch hab’ ich nicht ihr Wort vernommen?
Er säumt
fürwahr doch gar zu lange Zeit."
Ich sah es deutlich ein,
zurückgenommen
Sei durch der Rede Folge der Beginn,
Da beide
mir verschieden vorgekommen.
Drum lauscht’ ich sorgenvoll und

zagend hin,
Denn ich erklärte mir vielleicht noch schlimmer,
Als er
es war, des halben Wortes Sinn.
"Kommt wohl ein Geist in diese
Tiefe nimmer
Vom ersten Grad, wo nichts zur Qual gereicht,
Als
daß erstorben jeder Hoffnungsschimmer?"
So fragt’ ich ihn, und jener
sprach: "Nicht leicht
Geschieht’s, daß auf dem Weg, den wir
durchliefen,
Ein andrer meines Grads dies Land erreicht.
Wahr ist’s,
daß ich vordem in diesen Tiefen
Durch
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