Die Frauenfrage | Page 9

Lily Braun
der Römerin auch
größere Freiheit. Sie empfing des Hauses Gäste mit dem Gatten, sie
war nicht in das Frauenhaus eingeschlossen, sie nahm teil an
öffentlichen Festen und besuchte Theater und Zirkus. Rechtlich stand
sie jedoch wie die Orientalin und die Griechin unter dauernder
Vormundschaft. Niemals verfügte sie frei über ihr Eigentum;
thatsächlich war es sogar das Eigentum, durch das sie unmündig wurde.
So konnte nach altrömischem Recht das unter väterlicher Gewalt
lebende Mädchen, das also selbst kein Vermögen besaß, über seine
Person frei verfügen; die unter Vormundschaft stehende Waise dagegen,
die im Besitz des väterlichen Erbes war, blieb in allen ihren
Handlungen völlig unfrei. Daraus ergiebt sich, daß nicht die Frau an
sich, sondern die Frau als Eigentümerin eines Vermögens unter
gesetzlichem Schutze stand.[35] Sie durfte weder ein Testament, noch
Geschenke, noch Schulden machen; die römischen Rechtslehrer selbst
erkennen an,[36] daß die Vormundschaft über die Frau eine Institution
sei, die weniger in ihrem Interesse als in dem des Vormundes lag. Nur
in einem Punkt genoß sie während der Blütezeit der Republik dieselben
Rechte, wie der Mann: Sie hatte Zutritt zum Forum und konnte sowohl
in eigener wie in fremder Sache als Zeuge oder als Verteidiger
auftreten. So wird von Amesia Sentia erzählt, daß sie sich unter
ungeheuerem Zulauf des Volkes mit Klugheit und Energie zu
verteidigen verstand, worauf fast einstimmig ihre Freisprechung

erfolgte,[37] und von Hortensia, der Tochter des Redners Hortensius,
die es durch ihre glühende Beredsamkeit durchsetzte, daß die Frauen
der Bezahlung einer ihnen auferlegten Steuer wieder entbunden
wurden.[38]
Allzu schnell wurden die Römer aus einem schlichten
ackerbautreibenden Volk die stolzen Beherrscher der Welt, und früh
schon trug ihre Existenz den Todeskeim in sich. Die siegreichen
Feldzüge, die Unterdrückung ganzer Nationen waren von bösen Folgen
begleitet, denn nicht nur daß auf ihre rohe Kultur griechische
Überfeinerung, orientalische Perversität und Genußsucht gepfropft
wurde--ein Umstand, der auf alle Naturvölker verderblich wirkt--, auch
das Grundübel der Staatenbildung im Altertum, das Sklavensystem,
fand in Rom raschen Eingang und entwickelte sich hier zur höchsten
Blüte.[39] Ungeheuere Reichtümer strömten aus allen Teilen der Welt
in Rom zusammen; sie vereinigten sich in den Händen weniger. An
Stelle der kleinen, freien Bauern trat der Großgrundbesitzer, an Stelle
des kleinen Handwerkers und der freien Industrie der Großkaufmann
mit seinen Sklaven.[40] Massen von Sklaven arbeiteten in den Palästen
für ihre Gebieter und ein solches Gemeinwesen aus Millionären und
Bettlern mußte die äußerste sittliche Zerrüttung zur Folge haben.[41]
Ihr erstes Zeichen war, wie in Griechenland, die Entehrung der Arbeit.
Nur der reiche Mann, der durch die Thätigkeit des Sklaven lebte, galt
für anständig; jede Arbeit, die körperliche Anstrengung erforderte, war
ehrlos, und der Arme, der sich durch seiner Hände Arbeit sein Brot
verdiente, wurde verächtlich als ein gemeiner Mann behandelt.[42]
Verderblicher noch als für die männliche Bevölkerung war diese
moralische Dekadenz für die weibliche. Der römische Bürger konnte,
auch wenn die manuelle Arbeit eine für ihn unwürdige war, seine
geistigen und physischen Kräfte als Politiker, als Philosoph, als
Künstler, Dichter und Krieger bethätigen. Er konnte dadurch dem
entsittlichenden Einfluß des Reichtums Schranken setzen. Seine Gattin
dagegen, der die Führung des Hausstandes, ja sogar die Wartung und
Erziehung der Kinder von Sklaven abgenommen wurde, war ihm
schrankenlos preisgegeben. Sie hatte dem Staat gegenüber weder
Rechte noch Pflichten und daher kein Verständnis für öffentliche

Fragen; ihre Erziehung wurde in jeder Weise vernachlässigt, daher
hatte sie nur ein ganz oberflächliches Interesse an Kunst und
Wissenschaft. Reichtum und Langeweile trieb die römische Bürgerin
der Genußsucht und Sittenlosigkeit in die Arme, während die arme
Sklavin, um dem Elend ihres jammervollen Daseins zu entrinnen, die
Reihen der Prostituierten Jahr um Jahr in wachsender Zahl vermehrte.
Der aus Griechenland und dem Orient eingeführte Dienst der
Liebesgöttinnen kam dabei den Neigungen und Wünschen der Frauen
entgegen, die die wüstesten Orgien aus ihm machten.[43]
Um der Verschwendungssucht der Frauen zu steuern, entstand schon
während der Punischen Kriege das Oppische Gesetz, wonach ihr Besitz
an Gold und Kleidern beschränkt und ihnen verboten wurde, in einem
Wagen zu fahren. Bald jedoch empörten sich die Frauen gegen diese
Beeinträchtigung und zwei Bürgertribunen beantragten die
Abschaffung des Gesetzes. Da trat zum erstenmal der strenge
Sittenprediger und Vertreter altrömischer Einfachheit, Marcus Portius
Cato, gegen die Frauen auf. Unter großem Zusammenlauf der
Römerinnen erklärte er, daß jede Menschenart gefährlich sei, wenn
man ihr gestatte, sich zu versammeln und gemeinsam zu beratschlagen.
Gebe man den Wünschen der Frauen nach, die lediglich ihrer
Genußsucht fröhnen wollten, so würden sie bald volle
Gleichberechtigung fordern und die Männer auch im Staatsleben zu
beherrschen suchen.[44] Diese Philippika des strengen Römers,--der es
übrigens selbst so wenig ernst mit der Aufrechterhaltung alter Sitte
hielt, daß er sich von seiner Frau scheiden ließ, weil ein Freund von
ihm sie zu heiraten wünschte, und sie wieder zur Gattin nahm, als
dieser sie nicht mehr mochte--hatte zunächst wenig Erfolg, denn das
Oppische Gesetz wurde aufgehoben. Siebzehn Jahre
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