Die Einsamen | Page 9

Paul Heyse
stellte rasch den Spinnrocken weg, verlie? das Gemach, und man h?rte sie drau?en absichtlich laut an der Gittertür des Stalles sich zu tun machen, um jeden Verdacht, als ob sie horche, abzuschneiden.
Dem Deutschen auf seinem Lauerposten schlug das Herz, als er die beiden nun allein einander gegenüber sah. Obwohl die Vergangenheit dieser Menschen ihm nur zur H?lfte offen lag, wu?te er doch genug, um eine Szene der seltsamsten Art vorauszufühlen. Er sah bald den Mann, bald die sch?ne Frau am Fenster an, und seine eigene Lage wurde immer peinlicher, wenn er sich sagte, da? die Worte, die auf beider Lippen schwebten, für keines andern Menschen Ohr bestimmt sein konnten. Einen Moment dachte er daran, sich in die entfernteste Ecke der Mühlenkammer zurückzuziehen. Aber jeder Schritt konnte ihn verraten, und so mu?te er stehen bleiben, wo er stand.
Das Schweigen drinnen dauerte noch eine kurze Zeit. Dann sagte Lucia: Eure Schwester ha?t mich, Tommaso; was habe ich ihr zuleide getan?
Der Bruder zuckte die Achseln.
Seht, fuhr sie fort, es hat mir oft keine Ruhe gelassen, wenn ich dachte, da? sie es vielleicht allein ist, die Euch so fern von uns gehalten hat. Sie g?nnt es keinem, da? Ihr nur ein Wort an ihn richtet. Sie allein will Euch haben.
Ihr irrt, sagte er trocken. Ich hatte meine Gründe, da? ich aus Neapel fortging.
Ich wei?, Tomà, ich wei?. Es begreift es ein Kind, da? ihr damals die Lust am Meere verlort, nach jenem Unglück. Aber sie w?re schon wiedergekommen, wenn Teresa Euch nicht zugeredet h?tte, Euch hier in der Wildnis und ?de einzuschlie?en. Erleben wir nicht alle unsere Schicksale und müssen doch aushalten unter den Menschen? Kommt das Unglück nicht vom Himmel? Und darf es uns so versteinern, da? wir die Menschen hassen, die doch nichts dafür k?nnen?
Nichts dafür k?nnen? Das ist die Frage.
Sie sah ihn durchdringend an. Ich versteh' Euch nicht, Tomà. Ich verstehe vieles nicht mehr, seit Ihr fort seid. Warum habt Ihr mir auf die Briefe nicht geantwortet, die ich Euch durch Angelo, den Bauern, geschickt habe? Er sagte mir doch, er habe sie Euch allein übergeben, beide; sonst k?nnte ich denken, Teresa habe Euch das Antworten verwehrt.
Die Briefe? Ich habe sie verbrannt.
Und was antwortet Ihr jetzt darauf?
Lucia, ich habe kein Wort gelesen, das darin stand.
Sie zuckte zusammen. Er aber fuhr fort: Euer Mann ist gestorben, wie mir Angelo sagte; er tut mir leid, er war ein Galantuomo, und das Unrecht, das ich gegen ihn auf dem Herzen habe, brennt mich noch heut. Ihr seid jung und sch?n, Lucia; Ihr werdet bald einen andern finden, einen jüngeren. Seid glücklich mit ihm!
Damit warf er das Stück Kreide fort und ging, die H?nde auf den Rücken gelegt, durch das Zimmer. Sie folgte seinen Bewegungen mit ?ngstlicher Spannung. Endlich sagte sie: Wei? Teresa, da? ich Witwe geworden?
Sie erfuhr es erst eben aus Eurem schwarzen Kleid. Wir haben die vier Jahre her Euren Namen zwischen uns nicht genannt.
Wenn Ihr die Briefe nicht gelesen habt, so wi?t Ihr auch nicht, da? mein Mann Euch dreihundert Piaster vermacht hat; Ihr mü?t aber selbst nach Neapel kommen, sie beim Gericht abzuholen, wo sie für Euch niedergelegt sind.
Sie k?nnen dort liegen bleiben bis an den jüngsten Tag, sagte er ohne sich zu besinnen, wenn Ihr nicht vorzieht, sie den Armen zu geben. Ich hole sie nicht, auch wenn ich sie n?tiger brauchte, als gottlob der Fall ist. Geld von Eurem Manne, Lucia! Lieber verhungern!
Wie redet Ihr? sprach sie leise, mit einer Stimme, die von Bestürzung zitterte. Wie soll ich dieses alles deuten? Es war sonst anders zwischen uns, Tommaso!
Um so schlimmer, da? es anders war!
Sie stand von ihrem Sitz auf, tat einige Schritte auf ihn zu und suchte mit scheuen Augen die seinigen. Die aber bohrten sich fest in die Platte des Tisches, hinter den er wieder getreten war, als suche er etwas Fremdes zwischen sich und das sch?ne Weib zu bringen, zum Schutz gegen ihre Reize. Sie hatte die rechte Hand fest unter die volle Brust gelegt; der Deutsche sah durch die Wandspalte die blauen Adern auf dem runden Arm und wie die schmalen Finger bebten an dem klopfenden Herzen.
Was habe ich Euch getan, Tomà? sprach sie kaum h?rbar. Hat man mich verleumdet bei Euch, so sagt es mir, alles, und ich will meine Finger auf die Hostie legen und schw?ren, da? ich mir keiner Schuld bewu?t bin. Wie eine Begrabene hab' ich gelebt mit meinem Manne, seit Ihr fortgegangen, und niemand kann aufstehen und sagen, da? die Wirtin der Sirena ihm einen Blick oder ein L?cheln geg?nnt hat.
Das ist Eure Sache und war die Sache des Toten. Warum kommt Ihr her und sagt das mir?
Gro?e Tr?nen traten ihr ins Auge, als sie die harten Worte h?rte, und er fühlte es wohl, wie tief der Schlag getroffen hatte, obwohl er sie noch immer nicht ansah. Dann sagte er nach
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 16
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.