Die Aufzeichnungen des Malte Laurid Brigge | Page 7

Rainer Maria Rilke
K?nig, den man den Schrecklichen nennt, sp?ter und immer.
Das war nicht der Tod irgendeines Wassers��chtigen, das war der b?se, f��rstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes Leben lang in sich getragen und aus sich gen?hrt hatte. Alles ��berma? an Stolz, Willen und Herrenkraft, das er selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen k?nnen, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard sa? und vergeudete.
Wie h?tte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt h?tte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen schweren Tod.
Und wenn ich an die andern denke, die ich gesehen oder von denen ich geh?rt habe: es ist immer dasselbe. Sie alle haben einen eigenen Tod gehabt. Diese M?nner, die ihn in der R��stung trugen, innen, wie einen Gefangenen, diese Frauen, die sehr alt und klein wurden und dann auf einem ungeheueren Bett, wie auf einer Schaub��hne, vor der ganzen Familie, dem Gesinde und den Hunden diskret und herrschaftlich hin��bergingen. Ja die Kinder, sogar die ganz kleinen, hatten nicht irgendeinen Kindertod, sie nahmen sich zusammen und starben das, was sie schon waren, und das, was sie geworden w?ren.
Und was gab das den Frauen f��r eine wehm��tige Sch?nheit, wenn sie schwanger waren und standen, und in ihrem gro?en Leib, auf welchem die schmalen H?nde unwillk��rlich liegen blieben, waren zwei Fr��chte: ein Kind und ein Tod. Kam das dichte, beinah nahrhafte L?cheln in ihrem ganz ausger?umten Gesicht nicht davon her, da? sie manchmal meinten, es w��chsen beide?
Ich habe etwas getan gegen die Furcht. Ich habe die ganze Nacht gesessen und geschrieben, und jetzt bin ich so gut m��de wie nach einem weiten Weg ��ber die Felder von Ulsgaard. Es ist doch schwer zu denken, da? alles das nicht mehr ist, da? fremde Leute wohnen in dem alten langen Herrenhaus. Es kann sein, da? in dem wei?en Zimmer oben im Giebel jetzt die M?gde schlafen, ihren schweren, feuchten Schlaf schlafen von Abend bis Morgen.
Und man hat niemand und nichts und f?hrt in der Welt herum mit einem Koffer und mit einer B��cherkiste und eigentlich ohne Neugierde. Was f��r ein Leben ist das eigentlich: ohne Haus, ohne ererbte Dinge, ohne Hunde. H?tte man doch wenigstens seine Erinnerungen. Aber wer hat die? W?re die Kindheit da, sie ist wie vergraben. Vielleicht mu? man alt sein, um an das alles heranreichen zu k?nnen. Ich denke es mir gut, alt zu sein.
Heute war ein sch?ner, herbstlicher Morgen. Ich ging durch die Tuilerien. Alles, was gegen Osten lag, vor der Sonne, blendete. Das Angeschienene war vom Nebel verhangen wie von einem lichtgrauen Vorhang. Grau im Grauen sonnten sich die Statuen in den noch nicht enth��llten G?rten. Einzelne Blumen in den langen Beeten standen auf und sagten: Rot, mit einer erschrockenen Stimme. Dann kam ein sehr gro?er, schlanker Mann um die Ecke, von den Champs-Elys��es her; er trug eine Kr��cke, aber nicht mehr unter die Schulter geschoben,--er hielt sie vor sich her, leicht, und von Zeit zu Zeit stellte er sie fest und laut auf wie einen Heroldstab. Er konnte ein L?cheln der Freude nicht unterdr��cken und l?chelte, an allem vorbei, der Sonne, den B?umen zu. Sein Schritt war sch��chtern wie der eines Kindes, aber ungew?hnlich leicht, voll von Erinnerung an fr��heres Gehen.
Was so ein kleiner Mond alles vermag. Da sind Tage, wo alles um einen licht ist, leicht, kaum angegeben in der hellen Luft und doch deutlich. Das N?chste schon hat T?ne der Ferne, ist weggenommen und nur gezeigt, nicht hergereicht; und was Beziehung zur Weite hat: der Flu?, die Br��cken, die langen Stra?en und die Pl?tze, die sich verschwenden, das hat diese Weite eingenommen hinter sich, ist auf ihr gemalt wie auf Seide. Es ist nicht zu sagen, was dann ein lichtgr��ner Wagen sein kann auf dem Pont-neuf oder irgendein Rot, das nicht zu halten ist, oder auch nur ein Plakat an der Feuermauer einer perlgrauen H?usergruppe. Alles ist vereinfacht, auf einige richtige, helle plans gebracht wie das Gesicht in einem Manetschen Bildnis. Und nichts ist gering und ��berfl��ssig. Die Bouquinisten am Quai tun ihre K?sten auf, und das frische oder vernutzte Gelb der B��cher, das violette Braun der B?nde, das gr??ere Gr��n einer Mappe: alles stimmt, gilt, nimmt teil und bildet eine Vollz?hligkeit, in der nichts fehlt.
Unten ist folgende Zusammenstellung: ein kleiner Handwagen, von einer Frau geschoben; vorn darauf ein Leierkasten, der L?nge nach. Dahinter quer ein Kinderkorb, in dem ein ganz Kleines auf festen Beinen steht, vergn��gt in seiner Haube, und sich nicht mag setzen lassen. Von Zeit zu Zeit dreht die Frau am Orgelkasten. Das ganz Kleine stellt sich dann sofort stampfend in seinem Korbe wieder auf, und ein kleines M?dchen in einem gr��nen Sonntagskleid tanzt und schl?gt Tamburin zu den Fenstern hinauf.
Ich glaube, ich m��?te anfangen, etwas zu arbeiten, jetzt, da ich sehen lerne. Ich bin achtundzwanzig, und es ist so
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 76
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.