alle zuhörten, als er seinen Traum erzählte, und ihn, ganz ohne es
zu wissen, daraufhin ansahen, ob er solcher Tat wohl gewachsen sei. So
fühlte und sprach man in der ganzen Gegend, in der man den
Kammerherrn noch vor einigen Wochen geliebt und bedauert hatte.
Aber obwohl man so sprach, veränderte sich nichts. Christoph Detlevs
Tod, der auf Ulsgaard wohnte, ließ sich nicht drängen. Er war für zehn
Wochen gekommen, und die blieb er. Und während dieser Zeit war er
mehr Herr, als Christoph Detlev Brigge es je gewesen war, er war wie
ein König, den man den Schrecklichen nennt, später und immer.
Das war nicht der Tod irgendeines Wassersüchtigen, das war der böse,
fürstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes Leben lang in sich
getragen und aus sich genährt hatte. Alles Übermaß an Stolz, Willen
und Herrenkraft, das er selbst in seinen ruhigen Tagen nicht hatte
verbrauchen können, war in seinen Tod eingegangen, in den Tod, der
nun auf Ulsgaard saß und vergeudete.
Wie hätte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm verlangt
hätte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen. Er starb seinen
schweren Tod.
Und wenn ich an die andern denke, die ich gesehen oder von denen ich
gehört habe: es ist immer dasselbe. Sie alle haben einen eigenen Tod
gehabt. Diese Männer, die ihn in der Rüstung trugen, innen, wie einen
Gefangenen, diese Frauen, die sehr alt und klein wurden und dann auf
einem ungeheueren Bett, wie auf einer Schaubühne, vor der ganzen
Familie, dem Gesinde und den Hunden diskret und herrschaftlich
hinübergingen. Ja die Kinder, sogar die ganz kleinen, hatten nicht
irgendeinen Kindertod, sie nahmen sich zusammen und starben das,
was sie schon waren, und das, was sie geworden wären.
Und was gab das den Frauen für eine wehmütige Schönheit, wenn sie
schwanger waren und standen, und in ihrem großen Leib, auf welchem
die schmalen Hände unwillkürlich liegen blieben, waren zwei Früchte:
ein Kind und ein Tod. Kam das dichte, beinah nahrhafte Lächeln in
ihrem ganz ausgeräumten Gesicht nicht davon her, daß sie manchmal
meinten, es wüchsen beide?
Ich habe etwas getan gegen die Furcht. Ich habe die ganze Nacht
gesessen und geschrieben, und jetzt bin ich so gut müde wie nach
einem weiten Weg über die Felder von Ulsgaard. Es ist doch schwer zu
denken, daß alles das nicht mehr ist, daß fremde Leute wohnen in dem
alten langen Herrenhaus. Es kann sein, daß in dem weißen Zimmer
oben im Giebel jetzt die Mägde schlafen, ihren schweren, feuchten
Schlaf schlafen von Abend bis Morgen.
Und man hat niemand und nichts und fährt in der Welt herum mit
einem Koffer und mit einer Bücherkiste und eigentlich ohne Neugierde.
Was für ein Leben ist das eigentlich: ohne Haus, ohne ererbte Dinge,
ohne Hunde. Hätte man doch wenigstens seine Erinnerungen. Aber wer
hat die? Wäre die Kindheit da, sie ist wie vergraben. Vielleicht muß
man alt sein, um an das alles heranreichen zu können. Ich denke es mir
gut, alt zu sein.
Heute war ein schöner, herbstlicher Morgen. Ich ging durch die
Tuilerien. Alles, was gegen Osten lag, vor der Sonne, blendete. Das
Angeschienene war vom Nebel verhangen wie von einem lichtgrauen
Vorhang. Grau im Grauen sonnten sich die Statuen in den noch nicht
enthüllten Gärten. Einzelne Blumen in den langen Beeten standen auf
und sagten: Rot, mit einer erschrockenen Stimme. Dann kam ein sehr
großer, schlanker Mann um die Ecke, von den Champs-Elysées her; er
trug eine Krücke, aber nicht mehr unter die Schulter geschoben,--er
hielt sie vor sich her, leicht, und von Zeit zu Zeit stellte er sie fest und
laut auf wie einen Heroldstab. Er konnte ein Lächeln der Freude nicht
unterdrücken und lächelte, an allem vorbei, der Sonne, den Bäumen zu.
Sein Schritt war schüchtern wie der eines Kindes, aber ungewöhnlich
leicht, voll von Erinnerung an früheres Gehen.
Was so ein kleiner Mond alles vermag. Da sind Tage, wo alles um
einen licht ist, leicht, kaum angegeben in der hellen Luft und doch
deutlich. Das Nächste schon hat Töne der Ferne, ist weggenommen und
nur gezeigt, nicht hergereicht; und was Beziehung zur Weite hat: der
Fluß, die Brücken, die langen Straßen und die Plätze, die sich
verschwenden, das hat diese Weite eingenommen hinter sich, ist auf ihr
gemalt wie auf Seide. Es ist nicht zu sagen, was dann ein lichtgrüner
Wagen sein kann auf dem Pont-neuf oder irgendein Rot, das nicht zu
halten ist, oder auch nur ein Plakat an der Feuermauer einer perlgrauen
Häusergruppe. Alles ist vereinfacht, auf einige richtige, helle plans
gebracht wie das Gesicht in einem Manetschen Bildnis. Und nichts ist
gering und überflüssig. Die Bouquinisten am Quai tun ihre Kästen auf,
und das frische oder vernutzte Gelb der Bücher, das violette Braun der
Bände, das größere Grün einer Mappe: alles stimmt, gilt, nimmt teil
und bildet eine Vollzähligkeit, in
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