den metaphysischen Tiefen solcher Bereitschaft und Berufung
ersehnt und erweckt Thomas Mann seinem Volk jene Kräfte, die
imstande sind, "die fortschreitende Zerstörung aller psychischen
Wirklichkeit und seelischen Form, die scheinbar unaufhaltsame
Anarchisierung und Barbarisierung der Menschenwelt durch den
revolutionären Intellekt" zu überwinden, "dem Leben, der Ganzheit und
Harmonie des Menschen, dem Wiederaufbau seelischer Form zu
dienen" und so dem heimatlosen Epiker, seinem Leben wie seiner
Kunst, eine neue Welt zu schaffen.
Heinrich Mann aber, Thomas Manns Gefahr und Gegensatz, ist nicht
nur in und durch Thomas Mann überwunden, ist politisch an der
Entwicklung der Zeit, künstlerisch an seiner zersetzenden Subjektivität
und Lieblosigkeit zergangen. Thomas Mann hatte sein Geschlecht und
Volk noch im Verfall umfaßt, hatte am Ende der Reihe, ein
Zugehöriger und doch Außenstehender, in Liebe und Ironie zugleich
ihm Gestalt gegeben. In Sehnsucht hatte jedes seiner Werke vom
Wiederaufbau, der neuen Lebensform und Lebensgemeinschaft
gehandelt. Im tiefsten Sinn war ihm, dem wahren Epiker, Richard
Dehmels Spruch Lebensgefühl gewesen: "Alles Leid ist
Einsamkeit--alles Glück Gemeinsamkeit." Heinrich Mann hatte sich
stets wichtiger genommen als sein Geschlecht und sein Volk. Früh und
fremd hatte er Vaterstadt und Vaterland den Rücken gekehrt. Der
romanische Tropfen in seinem Blute trieb ihn nach Italien, das Thomas
erst sein tiefes Deutschtum deutlich machte. Eine Zeitlang glaubte
Heinrich Mann, dort "zu Hause zu sein. Aber ich war es auch dort nicht;
und seit ich dies spürte, begann ich etwas zu können. Das Alleinstehen
zwischen zwei Rassen stärkt den Schwachen; es macht ihn
rücksichtslos, schwer beeinflußbar, versessen darauf, sich selbst eine
kleine Welt und auch die Heimat hinzubauen, die er sonst nicht fände.
Da nirgends Volksverwandte sind, entzieht man sich achselzuckend der
üblichen Kontrolle. Da man nirgends eine Öffentlichkeit weiß mit
völlig gleichen Instinkten, gelangt man dahin, sein Wirkungsbedürfnis
einzuengen, es an einem einzigen auszulassen, wodurch es gewinnt an
Heftigkeit. Man geht grelle Wege, legt das Viehische neben das
Verträumte, Enthusiasmen neben Satiren, koppelt Zärtlichkeit an
Menschenfeindschaft. Nicht der Kitzel der andern ist das Ziel: wo
wären denn andere! Sondern man schafft Sensationen für einen
einzigen. Man ist darauf aus, das eigene Erleben reicher zu fühlen, die
eigene Einsamkeit gewürzter zu schmecken." Welch treffendes
Selbstbildnis! Welch Zerrbild eines Epikers! Ohne Wurzelboden, ohne
Zusammenhang, ohne Liebe, im Selbstgenuß hochmütiger, überreizter
Sensationen, zersetzender Erkenntnisse, ehrgeiziger Spannungen. Ihm
wird die Kunst zur "widernatürlichen Ausschweifung". "Pippo Spano",
das Gegenbild zum "Tonio Kröger", bekennt in leidender zuchtloser
Lässigkeit: "Sie (die Kunst) höhlt ihr Opfer so aus, daß es unfähig
bleibt auf immer zu einem echten Gefühl, zu einer redlichen Hingabe.
Bedenke, daß mir die Welt nur Stoff ist, um Sätze daraus zu formen.
Alles, was du siehst und genießt: mir wäre nicht an ihrem Genuß
gelegen, nur an der Phrase, die ihn spiegelt. Jeder goldene Abend, jeder
weinende Freund, alle meine Gefühle und noch der Schmerz darüber,
daß sie so verderbt sind--es ist Stoff zu Worten." Das ganze Leben und
Schaffen Heinrich Manns ist ästhetischer Selbstgenuß statt ethischer
Selbstvollendung oder -überwindung.
Welche epischen Werke können aus solcher Willkür wachsen? Das
Hauptwerk "Die Göttinnen oder die drei Romane der Herzogin von
Assy" (1902-03) weiß der Wurzel- und Heimatlosigkeit seines Dichters
keine andere Heldin als die Balkanprinzessin der Operetten. Macht,
Kunst und Liebe werden--in reinlichem Nacheinander!--ihr
Lebensinhalt. Der Balkan, Venedig, Neapel sind die billigen Kulissen
dieser Stationen. Da Heinrich Mann nicht seine Literatur aus dem
Leben, sondern sein Leben aus der Literatur empfängt, sind alle
Figuren und Leidenschaften aus zweiter Hand, ästhetische,
durchsichtige, monumentalisierte Schemen, nicht unergründliche, blut-
und seelenvolle Gestalten, nur der papiernen Phantasie von Literaten
und Großstädtern überzeugend. Was ihnen an organischem Leben fehlt,
ersetzen sie durch die Überreiztheit ihrer Gefühle und Gebärden, durch
Rausch und Hysterie--eine krampfige Nachfolge d'Annunzios.
Neben solchen Orgien einer überreizten Literatenphantasie stehen die
satirischen Romane: "Im Schlaraffenland", "Professor Unrat", "Der
Untertan" usw. Sie sind Emil Zola näher, zumal ihr bester, "Im
Schlaraffenland"--eine Schilderung des zersetzten Berlin W--aber ohne
Zolas soziales Pathos. Auch die Satire bedarf der Liebe, um zeugen und
gebären zu können, der Liebe zur armen, irregehenden Menschheit oder
zum neuen, reineren Ideal. "Ich glaube nicht"--sagt Thomas Mann in
den "Betrachtungen"--"daß ohne Sympathie überhaupt Gestalt werden
könne; die bloße Negation gibt flächige Karikatur." Auch hier scheint
die Literatur, nicht das Leben--die Witzblätter scheinen Heinrich Mann
die Gestalten und Vorgänge zum "Professor Unrat" und "Untertan"
gegeben zu haben: so flächig und billig sind sie gezeichnet. Jede
lebendige Gestalt muß Monate unter dem Herzen getragen, muß mit
Blut genährt sein.
Nur e i n Roman ist Heinrich Mann gelungen, dem Wurzelboden und
Atmosphäre eigen: "Die kleine Stadt". Es ist bedeutsam, daß er in
Italien spielt: "Eine Zeitlang glaubte ich (dort) zu Hause zu sein."
Einmal hat Heinrich Mann einen erlebten Gehalt und mit ihm eigene
Form gefunden: dem immer bewegten Völkchen des Südens, den
flackernden Leidenschaften entspricht ein bewegter, farbiger, flirrender
Impressionismus des Stils. Diese italienischen Kleinbürger, die sich
heißblütig und
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