Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde | Page 3

Klabund
eine Weide sein. Lest seine Liebeslieder, ihr
Liebenden! Klausner Schwermut, weise uns die Kapelle seiner
Melancholie! Wo im kahlen Winter ein frierender Vogel hungrig an
eure Fensterscheiben pickt: gebt ihm zu fressen, gedenkt des Herren
von der Vogelweide! Solange die deutsche Dichtung besteht, wird sein
Name unvergessen sein. Her Walther von der Vogelweide, swer des
vergaez', der taet mir leide, rief 1300 Hugo von Trimberg über sein
Grab.
* * * * *
Die Blume der deutschen Mystik keimte zuerst in den Klöstern.
Schwester Mechthild v. Magdeburg (1212 bis 1294) schrieb ihr Buch
vom fließenden Licht der Gottheit: voll seliger Versunkenheit in
Christo. In ihren Ekstasen sah sie Jesus als schönen Jüngling (Schöner
Jüngling, mich lüstet dein) ihre Zelle betreten, er war ihr wie ein
Bräutigam zur Braut, und ihre himmlischen Sprüche sind wie irdische
Liebeslieder. Ihre Gottesminne (Eia, liebe Gottesminne, umhalse stets
die Seele mein!) war der Gottesminne des Wolfram tief verwandt. Die
reine Minne (nicht jene höfische oder ritterliche oder bäurische Minne)
galt ihr als oberstes Prinzip. »Dies Buch ist begonnen in der Minne, es
soll auch enden in der Minne; denn es ist nichts so weise, so heilig,
noch so schön, noch so stark, noch also vollkommen als die Minne.«
Mechthild von Magdeburg ist trunken vor Askese. Ihr Geist kennt die
Wollust des Fleisches. Jesus ist ihr zärtliches Gespiel und sie seine
Tänzerin. Meister Eckhard (1260-1327, gestorben in Köln), ihr
mystischer Bruder, verhält sich zu ihr wie ein Kauz oder Uhu zu einer
Libelle. Ihr Leben und Dichten war ein Schweben und Ja-sagen, das
seine ein tief in sich Beruhen und ein Ent-sagen. Er liebte das Leid um
des Leides willen: jeder Schmerz war ihm eine Station zum Paradies.
Er riß die Wunden, die in ihm verheilen oder verharschen wollten,
künstlich wieder auf: daß nur sein Blut fließe. Seine Gedanken
scheinen verschleiert, ja manche haben dunkle Kapuzen übers Haupt

gezogen und sind unerkennbar. Sein Buch der göttlichen Tröstung ist
ein Trostbuch für die, die am Tode und am Leben leiden. Ein Trostbuch
rechter Art will auch der »Ackermann aus Böhmen« sein, den Johannes
von Saaz 1400 in die Welt schickte. Der Dichter kleidet seine
Trostschrift in die Form eines Zwiegesprächs zwischen einem Witwer
und dem Tod. Der Witwer fordert vor Gericht (dem Gottesgericht) sein
Weib von dem Räuber und Mörder Tod zurück. »Schrecklicher Mörder
aller Menschen, Ihr Tod, Euch sei geflucht! Gott, der Euch schuf, hasse
Euch; Unheils Häufung treffe Euch; Unglück hause bei Euch mit
Macht; ganz entehret bleibt für immer!« so beginnt der Kläger seine
Klage. Und der Tod antwortet: »Du fragst, wer wir sind: wir sind
Gottes Hand, der Herr Tod, ein gerecht schaffender Mäher. Braune,
rote, grüne, blaue, graue, gelbe und jeder Art glänzende Blumen und
Gras hauen wir nacheinander nieder, ihres Glanzes, ihrer Kraft und
Vorzüge ungeachtet. Sieh, das heißt Gerechtigkeit.« In immer
verzweifelteren Ausbrüchen pocht der Mensch, aller Menschheit
Abgesandter, an das Rätsel des Todes, der ihm sinnlos wie ein Mäher
im Herbst unter den Menschen zu hausen scheint, das Glück des
Liebenden und die Tat des Künstlers, die Stellung des Königs nicht
achtet, bis Gott selbst das Urteil spricht: »Kläger, habe die Ehre, du
Tod aber, habe den Sieg! Jeder Mensch ist dem Tode sein Leben, den
Leib der Erde, die Seele uns zu geben verpflichtet.«
* * * * *
Mit den Minnesängern wurde die deutsche Literatur sich ihrer bewußt.
Zwar gab es noch nicht das Wort, aber der Begriff war vorhanden. Die
öffentliche Kritik trat auf: es waren die Fürsten, die als Mäzene das
erste Recht der Beurteilung für sich in Anspruch nahmen. Die Themen,
die Hartmann von Aue (+ 1215) in seinen kleinen Epen anschlägt, sind
von schönster Intensität: in »Gregorius« überträgt er den Ödipusstoff
auf ein mittelalterliches Milieu. Gregorius liebt und heiratet
unwissentlich seine eigene Mutter. Als er die Schande erfährt, sucht er
die Sünde zu sühnen, indem er sich prometheisch an einen Felsen
schmieden läßt. Nach siebzehn Jahren unerhörter Qual erlösen ihn die
Römer; er wird von ihnen im Triumph ob seiner Heiligkeit auf den
verwaisten Papstthron erhoben und spricht, unfehlbar geworden durch

sein titanisches Leid, die eigene Mutter ihrer Schuld ledig.
Im »Armen Heinrich« bemächtigt sich Hartmann eines deutschen
Stoffes. Ein Ritter wird vom Aussatz befallen. Ein Mittel nur gibt es,
ihn zu retten: das Blut einer unberührten Jungfrau. Aus Liebe zu ihm
erbietet sich ein Mädchen, für ihn zu sterben. Aber der arme Heinrich
nimmt das Opfer nicht an: trotz teuflischer Versuchung. Da erbarmt
sich auf Flehen des Mädchens Gott der Liebenden: er macht den armen
Heinrich gesund und zum reichen Heinrich durch den Besitz der
Geliebten.
Ein jüngerer Zeitgenosse von Hartmann ist Wolfram von Eschenbach
(etwa 1170-1250), ein Bayer aus Eschenbach bei Ansbach. Er war ein
armer Teufel wie Walter von der Vogelweide, mit dem er am Hofe des
Landgrafen von Thüringen öfter zusammentraf.
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