etwas Knisterndes, Sprudelndes, Glattes war an ihm. Viele Zuckungen gingen über sein Gesicht. Seine Augen hafteten an vielen Punkten zugleich. Dem Lehrer ward es unbehaglich wie neben einer gef?hrlichen Maschine. Siebengeist aber schlug einen weiten Spaziergang vor, da ja heute Mittwoch sei. ?Der ganze Nachmittag liegt vor Ihnen?, sagte er. ?Gehen wir ein wenig hinaus in den Schnee.?
Philipp Unruh wagte nicht, nein zu sagen. Er war überhaupt weder ein Nein- noch ein Ja-Sager, und hier fand er sich verpflichtet, Wünsche zu erfüllen. Siebengeist redete weiter, besp?ttelte die Büchersucht des Lehrers und sprach im allgemeinen vernichtend über das Gelehrtentum. ?Was wollen Sie denn mit Ihren Namen und Zahlen, Onkelchen? Erkl?ren Sie sich doch. Die Geschichte? So? Die Geschichte ist ein altes Weib. Alles, was war, ist wertlos. Jener Kom?diant und sein Theater ist jetzt wichtiger als alle Moses, Marc-Aurel, Robespierre und Lasalle. Der Unterrock meiner Geliebten wiegt das ganze babylonische Reich auf. Freilich, tausend Jahre sind euch nichts, denn auch die Stunden sind euch nichts.?
Der Lehrer blickte ver?ngstigt auf seinen Weg. Nichts Erschreckenderes für ihn als diese Reden, deren Sinn ihm vorüberglitt wie Wasser. Das Heftige, Sprunghafte, dabei Lachende und Kühne im Wesen seines Begleiters machte ihn schülerhaft verzagt. Eine Weile schwieg Siebengeist und pfiff nur vor sich hin. Wei? und still dehnten sich die ebenen Felder. Unbestimmte Laute kamen aus Fernen, die vom Nebel verhüllt waren. Im glatten Schnee waren zahllose Hasenf?hrten und Kr?henfü?e sichtbar, am Waldrand trippelte eine Rebhühnerschar mit schwachen, seufzenden Schreien. In der Luft war ein Sieden und Sausen, hervorgebracht durch das merkwürdige, schwere Schweigen ringsumher.
?Sind Sie verheiratet?? fragte Siebengeist wie ein Untersuchungsrichter. ?Nein? Sind Sie verliebt??
Der Lehrer wurde bla? und schüttelte unwillig den Kopf. Siebengeist lachte hell wie ein Kind. ?Waren Sie je verliebt? Wissen Sie, Onkelchen, man k?nnte Sie geradezu für einen Eunuchen halten, wenn man nicht wü?te, da? Sie ein deutscher Bücherwurm sind. Sie verachten natürlich die Liebe, sofern sie nicht auf dem Papier verewigt ist. Haben Sie mal von einer gewissen Ninon de l'Enclos geh?rt? Ein wundersames Frauenzimmer. Sie hat ganze Generationen mit Liebe beschenkt. Ich war damals ein Gascognischer Prinz und in mancher Nacht kü?te ich die unsterblichen Lippen. Seitdem ist die Welt bitter geworden. Onkelchen, was heutzutage sich Weib nennt, ist wert, eingesalzen zu werden. Ich habe keines kennen gelernt, in dem nicht die dumme Gans oder die Xantippe steckt. Sie sind schlecht, eitel, feig, anma?end, sitzen stets auf dem Galanteriestühlchen und sind mit Leidenschaft der Lüge ergeben. Dagegen liest man in den Kunstbüchern von den erlauchtesten Idealgestalten. Davor warne ich Sie, Onkelchen. Durch diese Literatur geht ein Ri?. Sehn Sie doch nur, ein Mann wie ich, Prinz von Geblüt, sitzt auf dem Trockenen und wei? nichts anzufangen mit seinen Gefühlen, geht sehnsüchtig in der Welt umher und gafft sich die Augen aus nach dem Bild der Liebe. Nun, ich gebe mir noch eine kurze Frist, dann w?hle ich ein angenehmes und schmerzloses Gift.? Er lachte wieder fein kindliches Lachen.
Der Lehrer wischte sich den Schwei? von der Stirn. Es ist ein Traum, dachte er zweifelnd und betrübt und sah auf das Bahngeleise hinüber, auf dem ein Schnellzug einherraste. Er freute sich auf seine Abendstunden, auf seine Chronik, auf seine stille Abgeschiedenheit. Indessen forderte ihn der Provisor auf, mit ihm in einem Wirtshaus in Altenmuhr zu essen, und noch viel weniger als früher wagte er es abzuschlagen. Doch Siebengeist wurde merkwürdig schweigsam, ballte nur hier und da Schnee zusammen und warf ihn auf die Baumkronen, da? es knisterte. Dann lachte er und freute sich.
In der niedrigen, hei?en Wirtsstube sa?en Fuhrleute beim Bier. Siebengeist berührte kaum die Speisen. Er stocherte nachdenklich in seinen wei?en Z?hnen, w?hrend der Lehrer tüchtig zugriff. ?Gelehrsamkeit st?rkt den Magen?, bemerkte Siebengeist sarkastisch. ?Wissen Sie, was mir eingefallen ist? Ich forme mir eine Jungfrau aus Schnee: sch?n, rein und klug. Ich gebe ihr das Herz eines treuen Hundes und die Augen einer edlen H??lichen, die in Verborgenheit lebte. Das Ganze belebt, w?re ein Wunder an Vollkommenheit.?
Philipp Unruh dachte: wenn dieser Mann Apotheker ist, werden die Kranken seltsame Mixturen erhalten. Sein ordnungsliebendes Gemüt begann sich zu emp?ren. Er betrachtete den Provisor scharf von der Seite und mu?te sich gestehen, da? er ein sch?nes Gesicht habe, ein intelligentes Auge, einen weichen, schw?rmerischen Mund.
Auf dem Heimweg stockte jedes Gespr?ch. Die Ruhe der Natur war ein Befehl zur Ruhe für die Wanderer. Schon begann das beschneite Gel?nde bl?ulich zu schimmern. Wie schw?rzliche Gestalten standen die B?ume da, streckten die ?ste verzweifelt gegen den Himmel. Philipp Unruh empfand seinen Begleiter wie eine schwere Bürde. Er vermochte nicht zu überlegen und nicht zu denken in seiner Gegenwart. Unsichere Schuldgefühle bel?stigten ihn.
Als sie den Marktplatz des St?dtchens entlang schritten, begegnete ihnen der Baron Apotheker und lud sie ein, den Nachmittagskaffee in seinem Hause zu nehmen. ?Meine Frau wird sich freuen?, sagte er sü?lich und in einem
Continue reading on your phone by scaning this QR Code
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.