kann uns nichts zu erz?hlen haben?, antwortete Lamberg und fügte mit Bedeutung hinzu: ?Bei solchem Anla? darf man niemals an den Spiegel denken.?
?Bravo, Georg!? rief Cajetan. ?Ich sehe, Sie fangen schon Feuer. In Ihren Augen malen sich schon die Bilder aus wundersamen Geschichten. Nicht an den Spiegel denken, das ist es! Als Richter gleichen wir dann nicht den Zuh?rern im Theater, denen ein mü?iges H?ndeklatschen über einen unklar gespürten Eindruck hinweghilft, sondern wir kr?nen den Verkündiger eines Schicksals als Tatzeugen. Ich sehe keine Schwierigkeit, nicht einmal eine Verlegenheit. Es wird vieles sein, was uns aneifert; das Wort ist ja ein gro?er Verführer.?
Die Pest im Vintschgau
Der Diener Emil brachte den Kaffee, und nachdem jeder seine Tasse ausgetrunken hatte, sagte Borsati: ?Wenn ich im Geist zurückschaue, f?llt mir ja dies und jenes auf, was des Berichtens wert w?re, aber wo ich selbst beteiligt bin, st?rt mich die N?he, und wo es nicht der Fall ist, bin ich ungewi?, ob ich überzeugend oder wahr sein kann.?
?Wir sind nicht einmal wahr, wenn wir Vorf?lle aus unserm eigenen Leben erz?hlen, um wie viel weniger, wenn es sich um fremde Erlebnisse handelt?, erwiderte Lamberg. ?Ja, man lügt mehr, wenn man über sich selbst die Wahrheit sagt, als wenn man andere in erfundene Geschicke stellt.?
?Wir wollen Sachlichkeiten und keine Sentiments?, versetzte Cajetan mi?billigend. ?Jeder ist dann so wahr, wie seine Augen oder sein Ged?chtnis wahr sind. Ich bin nicht gr??er als mein Wuchs. Wer sich gr??er macht, wird ausgezischt. Die Welt ist vom Grund bis zum Rand erfüllt mit den seltsamsten Begebenheiten, und die seltsamste wird wahr, wenn man ein Gesicht sieht, ein lebendiges Gesicht.?
?Famos. Ich will m?glichst viel sch?ne Gesichter sehn?, sagte Franziska und nahm eine Miene des Bereitseins an.
?Jedes Gesicht ist sch?n im Erleiden des besondern Schicksals, zu dem sein Tr?ger bestimmt ist?, entgegnete Lamberg.
?Darf ich etwas Ketzerisches sagen?? begann Franziska wieder; ?ich finde, da? der Sinn für die Sch?nheit immer geringer wird; man sucht stets noch etwas Anderes daneben, Seele oder Geist oder Genie, etwas, das mit der Sch?nheit gar nichts zu schaffen hat und einem nur den Geschmack verdirbt.?
?Es scheint in der Tat, da? man in früheren Zeiten die Sch?nheit mehr um ihrer selbst willen geachtet hat?, antwortete Lamberg. ?Auch wurde ihr eine h?here Wichtigkeit zuerkannt. So wird von einer vornehmen Marquise berichtet, deren Name mir entfallen ist, und die im Alter von siebenundzwanzig Jahren an der Schwindsucht starb, da? sie die letzten Monate ihres Lebens auf einem Ruhebett zubrachte und best?ndig einen Spiegel in der Hand hielt, um die Verwüstungen zu beobachten, die die Krankheit in ihrem Gesicht erzeugte. Schlie?lich lie? sie die Fenster dicht verh?ngen, kein Mensch durfte mehr zu ihr, und sie duldete kein anderes Licht als die Lampe eines Teekessels.?
?Sogar das Volk besa? einen echten Enthusiasmus für die Sch?nheit hochgestellter Frauen?, sagte Cajetan. ?Im Jahre 1750 verdiente sich ein Londoner Schuster eine Menge Geld dadurch, da? er für einen Penny den Schuh sehen lie?, den er für die Herzogin von Hamilton verfertigt hatte. Und als dieselbe Herzogin auf ihre Güter reiste, blieben vor einem Wirtshaus in Yorkshire, wo sie wohnte, mehrere hundert Menschen die ganze Nacht über auf der Stra?e, um sie am n?chsten Morgen in ihre Karosse steigen zu sehen und die besten Pl?tze dabei zu haben.?
?Demgem?? ?u?erte sich dann auch die Verliebtheit der M?nner?, nahm Georg Vinzenz abermals das Wort; ?ein Jüngling in einer burgundischen Stadt war von der Sch?nheit seiner Geliebten so hingerissen, da? er nach dem ersten Stelldichein, das sie ihm bewilligt hatte, in allem Ernst erkl?rte, er werde sich die Augen ausstechen, wie es die Pilger von Mekka bisweilen tun, wenn sie das Grabmal des Propheten gesehen haben, um ihre Blicke von nun ab vor Entweihung zu schützen.?
?Das mu? ein Bramarbas gewesen sein?, behauptete Borsati; ?ich glaube ihm nicht eine Silbe.?
?Warum?? versetzte Cajetan. ?Wir k?nnen uns kaum eine Vorstellung von der Energie und Glut machen, mit denen man sich damals einer Leidenschaft hingab.?
Borsati zuckte die Achseln. ?Mag sein, da? er's getan h?tte?, sagte er, ?was wir erdenken k?nnen, kann auch geschehn. Ich wehre mich nur dagegen, da? man aus unserer Zeit die gro?en Empfindungen hinausredet, um eine nur durch die Ferne reizvolle Vergangenheit mit ihnen zu schmücken. Allerdings sehen die Leidenschaften, deren Zeugen wir selbst werden, anders aus als die mit dem Galeriestaub der überlieferung, und ihre Verfeinerung oder Verdünnung auf der einen Seite bedingt meist ein finsteres und brutales Gegenspiel.?
Zum Beweis erz?hlte er folgende Geschichte.
?Vor zwei Jahren war ich auf einem m?hrischen Gut zu Gast. Man kannte mich in der nahgelegenen Stadt, und weil der ans?ssige Arzt über Land gefahren war, wurde ich eines Abends, ziemlich sp?t, in das Wirtshaus gerufen, wo ein junger Mann lag, der sich durch einen Pistolenschu? in die Lunge t?dlich verletzt hatte. Der Fall war hoffnungslos, Linderung der Schmerzen war alles, was zu tun übrig blieb. Am folgenden
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