Der goldene Spiegel | Page 4

Jakob Wasserman
sie ging. Alle schauten ihr betroffen und teilnahmsvoll nach, wie sie fast fliegend rasch den umgr��nten Pfad hinuntereilte. Sie fuhr am n?chsten Tag in die Stadt zur��ck, und kaum eine Woche war vergangen, so brachten alle Zeitungen die Neuigkeit, da? Franziska, die sch?ne Schauspielerin, mit Riccardo Troyer verschwunden sei. Die Nachricht verursachte schon deshalb Best��rzung, weil man die Heirat Franziskas mit dem F��rsten Armansperg als nahe bevorstehend betrachtet und das Gewagte einer solchen Verbindung hatte vergessen wollen. Man wu?te zu sagen, da? der F��rst au?er sich und nur mit M��he verhindert worden sei, den Abenteurer polizeilich verfolgen zu lassen. Er war auf das Ereignis nicht im mindesten gefa?t gewesen, einzelne Warnungen hatte er ver?chtlich aufgenommen, doch von der Stunde ab zog er sich von der Welt zur��ck und lebte einsam.
W?hrend alles dies sich abspielte, erhielt Lamberg ein Paket und einen Brief Franziskas. Der Brief ber��hrte die eingetretene Schicksalswendung mit keiner Silbe und war so kurz wie er ��berhaupt nur sein konnte. ?Ich gebe euch, Georg Vinzenz, Heinrich, Rudolf und Cajetan zum Abschied und zur Erinnerung den goldnen Spiegel der Aphrodite, den mir ein teurer und nun verstorbener Freund geschenkt hat. Ich hab euch einmal davon erz?hlt, schlecht wie mir scheint, sonst w?ret ihr gekommen, um das wunderbare Ding anzuschauen. Der Spiegel soll keinem geh?ren und jedem, keiner soll ein Vorrecht darauf haben, weil ihr mir alle gleich wert seid und es eine frohe Empfindung f��r mich ist, ihn als ein Sinnbild meiner Liebe und Dankbarkeit in eurem Besitz zu wissen. Lebt wohl, verge?t euer Versprechen nicht und denkt zuweilen an euer Gesch?pf, eure Schwester, eure ewig getreue Franziska.?
Der Spiegel war in der Tat ein ausgezeichnet sch?nes St��ck. Er war um das Jahr 1820 in den Ruinen eines kretischen Palastes aufgefunden worden, kam in die ber��hmte Sammlung Diatopulos und gelangte f��nfzig Jahre sp?ter in die H?nde des Herzogs von Casale. Im Jahre 1905, nach dem Tod des Herzogs, wurde, um dessen Schuldenlast zu tilgen, der Spiegel nebst vielen andern Kunstobjekten zu Paris versteigert, und dort hatte ihn der unbekannte Verehrer Franziskas erworben.
Die Freunde einigten sich dahin, da? jeder von ihnen den Spiegel f��r die Dauer von drei Monaten unter seinem Dach beherbergen sollte. W?ren sie nicht M?nner von Geschmack und Geist gewesen, so h?tte Franziskas Gabe leicht ?rgernis stiften k?nnen. Keiner hatte Sicherheit; an wen die Reihe kam, der war zum voraus verstimmt ��ber die Scheinhaftigkeit seines Rechts. Gemeinhin macht der Besitz die Dinge fremder; hier, wo der Gewinn schon den Verlust bedingte, hielt Ungewi?heit das stets wieder entgleitende Gut doppelt lebendig. H?tte Franziska das Geschenk einem unter ihnen zugesprochen, so w?re f��r die andern keine Beunruhigung erwachsen, und der Erw?hlte h?tte den Frieden der Gleichgiltigkeit nicht lange entbehrt. So wurde das Beschenkt- und Beraubtwerden zur gleichviel bedeutenden Pein.
Franziska blieb wie verschollen. Unter ihren zahlreichen Bekannten hatte niemand von ihr geh?rt, und der Urlaub, den sie vom Theater genommen, war l?ngst ��berschritten. Es hie?, der F��rst Armansperg habe ��ber Riccardo Troyer weitl?ufige Nachforschungen anstellen lassen, die zu einem bedenklichen Ergebnis gef��hrt h?tten. Auch davon wurde es allgemach still. Im Juli hielt sich Hadwiger einige Zeit in Paris auf und h?rte, da? Troyer w?hrend des spanisch-marokkanischen Kriegs als Agent einer englischen Gewehrfabrik in Madrid t?tig gewesen, da? er Betr��gereien ver��bt und aus dem Land gejagt worden sei. Hadwiger konnte nicht vergessen; er war nicht f?hig, sich ins Unwiderrufliche zu finden. Er grollte der F��gung, sein Gem��t war verdunkelt, und um der Gedankenspiele enthoben zu sein, arbeitete er Tag und Nacht.
So ging das kleine und das gro?e Leben weiter. Im Juli bezog Lamberg seine Villa im Gebirg. Mit einer K?chin, dem Diener Emil und einem Affen verlie? er die Stadt. Den Affen hatte er vor kurzem von einem holl?ndischen Kaufmann erhalten und war f?rmlich verliebt in ihn. Es war ein junger Baam oder Schimpanse, der die Gr??e eines achtj?hrigen Knaben hatte. Durch die Unterhaltungen mit dem sich selbst ernst nehmenden Tier erlangte er Einblick in die F��lle sch?nen Humors, von welcher der sich selbst ernst nehmende Mensch umgeben ist.
In der letzten Woche des August trafen Hadwiger, Borsati und Cajetan ein. Sie wohnten diesmal alle drei in dem Gasthaus am See, da Cajetan nicht beg��nstigt zu sein w��nschte und das lieblich barocke Hotelchen ebensoviele Bequemlichkeiten bot wie Lambergs Junggesellenheim.

Was ��ber den Spiegel beschlossen wurde
Sieben Seen, zwischen Felsen und W?lder d��ster gebettet die einen, im Schutz freundlicher H?nge leuchtend die andern, konnte das Auge des Betrachters von jedem beherrschenden Gipfel aus erblicken. Wege zogen h��gelauf- und abw?rts; feste wei?e Wege; durchschnitten und umg��rteten die langgestreckten D?rfer, begleiteten l?rmende B?che, verloren sich in Wiesen, schl��pften ��ber Br��cken und Stege und klommen windungsreich an den kraftvoll gestalteten Bergen empor. Hier ein Garten, daneben eine Wildnis, da eine Ruine, dr��ben eine gewaltige Wand, im Norden kahle Steinriesen, im S��den ein erhabenes Gletscherhaupt; so wurde das Bild geschlossen, das
Continue reading on your phone by scaning this QR Code

 / 104
Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.