Der goldene Spiegel | Page 2

Jakob Wasserman
sie sich aufgefordert, dem Ruf ihrer gestaltlosen,
aber feurigen Träume zu folgen.
An einem bestimmten Abend in jeder Woche fanden sich Cajetan und
Georg Vinzenz bei Franziska und Borsati ein, und bei gutem Essen und
vortrefflichen Weinen verplauderten sie oft die halbe Nacht. Eines
Tages brachte Borsati einen fremden jungen Mann zu diesem
Symposion mit, einen Menschen von nicht sehr gepflegtem Äußeren
und eckigem Betragen, der sich Heinrich Hadwiger nannte und
Ingenieur war. Von den befremdeten Gefährten später unter sechs
Augen zur Rede gestellt, erklärte Borsati, daß er Hadwiger schätze, und
daß ihn ihre hochmütige Zurückhaltung nur desto schätzenswerter
erscheinen lasse. Seiner Jugend und feindseligen Widerständen zum
Trotz hatte Hadwiger den Auftrag erhalten, eine der neuen
Gebirgsbahnen im Süden des Reichs zu bauen, und sein kühnes Projekt
bildete das Staunen der Kenner. Aus den dürftigen Verhältnissen eines
westfälischen Kohlendorfes stammend, war alles was er besaß und
vorstellte, Errungenschaft eines ungeheuren Fleißes und einer
beispiellosen Willenskraft. Anfänglich der schlecht besoldete Beamte
einer englischen Maschinenfabrik, hatte er sich zu einer heiklen
Mission freiwillig gemeldet und wurde nach Ägypten und nach
Brasilien geschickt, um die damals neuen Dampfpflüge einzuführen,
was erst nach großen Schwierigkeiten und abenteuerlichen Mühsalen
gelang. Ein Brückenbau im Staate Illinois hatte ihn berühmt gemacht,
und er zählte nun zu den Ersten seines Fachs. Soviel wußte man von

ihm, doch ohne Zweifel war in seiner Vergangenheit etwas, was er
nicht mitteilen mochte und was ihn verfolgte, das verriet sein Auge und
sein Schweigen.
Bald brauchte Hadwiger inmitten der Freunde nicht nur geduldet zu
werden, er wurde Freund mit ihnen. Freilich war sein Gefühl bisweilen
beengt; ein Mensch, der einmal ums Brot gekämpft hat, trägt Narben
im Gemüt, die im Kreise der Sorglosen heimlich zu bluten beginnen.
Seine schwankende Stimmung ließ auf eine unzufriedene Seele
schließen, sein rascher Haß nötigte zur Vorsicht gegen sein Urteil.
Manchmal erregte er Gelächter, häufiger ein Lächeln. Wie die meisten
Emporkömmlinge war er naiv und selbstgefällig, und er konnte sich in
einer so umfassenden Weise loben, daß den Zuhörern bei allem
Respekt das Herz im Leibe lachte.
Auch Franziska fand ihn spaßhaft, doch ließ sie sich seine wachsende
Verehrung immer lieber gefallen. Er gehörte nach ihrer Meinung nicht
zu den Männern, die man liebt; seine tiefe Anhänglichkeit belohnte sie
durch Vertrauen. Als er des Bahnbaues wegen die Stadt verlassen hatte,
blieb sie im Briefwechsel mit ihm. Cajetan befand sich um diese Zeit
bei der Botschaft in Washington, und Lamberg, dessen Vater unlängst
gestorben war, ging für einige Monate auf Reisen. Inzwischen löste
sich der Bund Franziskas mit Borsati ohne Lärm noch Katastrophe,
etwa wie ein schöner Spaziergang endet, und obwohl sie nach der
Rückkunft der andern Freunde gern und oft an den regelmäßigen
Zusammenkünften teilnahm, führte sie ihr Leben fern von ihnen. Hie
und da deutete ein Wort, ein Ausruf, eine Klage das Ermattende und
Verzehrende ihrer Existenz an, doch bewahrte sie stets die ihr
eigentümliche Heiterkeit und Leichtigkeit. Sie war schön; schön
geworden, was mehr besagen will, als schlechthin schön. Voller
Beseelung Auge, Hand und Schritt, voll Reife und Bewußtsein;
Eitelkeit zeigte sie nur im Kleinen und Scherzhaften, im Ganzen Maß
und Haltung, erworbene Würde, natürlichen Adel. Sie war eine jener
Frauen, bei deren Anblick einem Manne das Herz still steht. Sie hatte
etwas von der Wahrheit der Elemente, und etwas vom Glanz und der
rührenden Einsamkeit der großen Kunstwerke. Leben und Erlebnis
hatte sie geläutert und erhoben, so wie sie manche Andere trüben und

erniedrigen. Gleichwohl verschwendete sie sich; zum Genuß
vorbestimmt, genoß sie umsomehr, je mehr ein begierdevolles
Sinnenwesen sich ihr unter verführerischen Formen nahte. Sie bewegte
sich in der großen Welt, als ob sie darin geboren wäre; die Außenseite
ihres Daseins war ohne Geheimnis, man erzählte sich von ihr in allen
Salons und Kaffeehäusern; was sie hinriß, was sie spannte, bezauberte,
in Atem hielt, war den Freunden, insbesondere Borsati und Hadwiger,
ein Rätsel und das Offensichtliche wie das Verborgene gab ihnen
Anlaß zu Befürchtungen aller Art, zumal es mit ihrer Gesundheit nicht
zum Besten stand. Als Hadwiger einst sie zur Besinnung bringen wollte,
versicherte sie ihm, daß sie selbst kaum wisse, wovon sie getrieben
werde; vielleicht sei es der Tod; jeder Gedanke an den Tod jage sie
wilder ins Leben hinein. Vor Jahren habe sie auf einer Bauernhochzeit
getanzt, während im Dorf die Häuser zu brennen angefangen; Weiber
und Männer seien fortgeeilt, doch sie habe einem Geiger ein Goldstück
hingeworfen, damit er weiter spiele und mit ihrem Tänzer sich noch
herumgeschwungen, bis der Feuerschein dicht an den Fenstern lohte.
So plauderte sie beim Probieren eines Hutes, und Hadwiger ging von
ihr, weil sie so leer erregt zu ihm sprach wie in der Pause zwischen
zwei Tänzen. Dann rief sie ihn wieder, in der Pause zwischen zwei
Tänzen, schloß schwesterlich ihr Herz auf und nährte sein
verschwiegenes Mitgefühl in ungewollter Grausamkeit.
Eines Tages gab sie die
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