Der Zweyte Theil von König Heinrich dem Vierten | Page 9

William Shakespeare
Vortheil über den König erhalten haben,
dann vereiniget euch mit ihnen, und macht die Starken stärker. Aber,
um unsrer Aller willen, laßt sie vorher ihre Kräfte allein versuchen. Das
mußt euer Sohn thun, ihr ließ't es geschehen, so wurd' ich eine Wittwe;
und nimmer werd' ich Leben genug haben, sein Andenken* aus meinen
Augen so lange zu beregnen, bis es zum Gedächtniß meines edeln
Gemals an den Himmel empor wachse.
{ed. * Eine Anspielung auf den Rosmarin, der, weil er ein (Cephalicon)
ist, in unsers Autors Zeiten (Remembrance), Andenken, genannt
wurde.}
Northumberland.
Kommt, kommt, geht mit mir hinein; mein Gemüth
ist izt wie die Fluth, wenn sie zu ihrer grösten Höhe hinaufgeschwollen
ist; sie steht dann still, und fliesset weder vorwärts noch zurük. Ich
wünschte herzlich, daß ich mit dem Erzbischoff mich vereinbaren
könnte; aber tausend Ursachen halten mich zurük. Ich will mich
entschliessen nach Schottland zu gehen, und dort warten, bis Zeit und
bessere Umstände meinen Beytritt fordern.
(Sie gehen ab.)
([Die übrigen sechs Scenen in diesem Aufzug, stellen dasjenige vor,
was bey dem) Soupé (des Sir John Falstaff in Gesellschaft der
liebenswürdigen Dortchen Tear-Scheet und der Frau Wirthin zum
Bärenkopf in East-Cheap vorgegangen; die Händel zwischen Falstaff
und Pistol, die Verwandlung des Prinzen in einen Keller-Buben, und
den zärtlichen Abschied zwischen Dortchen Tear-Scheet und Falstaff,
welcher mitten aus seinen Vergnügungen fortgerissen wird, um zur
Armee abzugehen. Es sind Scenen aus Bierschenken und
Bordelhäusern, in Ostadens Geschmak nach dem Leben gemahlt. Der
Genie unsers Autors zeigt sich vielleicht in gewisser Maaße so groß
darinn, als in den schönsten Scenen des Hamlet oder des Kauffmanns
von Venedig; aber die ekelhafte Unsittlichkeit derselben verbietet uns
sie zu übersezen, und würde auf jedem anderm Theater als dem zu

London, auch ihre öffentliche Aufführung verbieten.])
Dritter Aufzug.
Erste Scene.
(Der Palast in London.)
(König Heinrich in seinem
Nachtrok, und ein Edelknabe treten auf.)
König Heinrich.
Geh, ruffe die Grafen von Surrey und Warwik; aber
eh sie kommen, sag ihnen, daß sie diese Briefe lesen, und den Inhalt
wol überlegen sollen: Halte dich nicht auf.
(Der Edelknabe geht ab.)
Wie viele tausende von meinen ärmsten Unterthanen schlafen in dieser
Stunde! O holder Schlaf, wohlthätige Amme der Natur, womit hab' ich
dich erschrekt, daß du meine Auglieder nicht mehr
schliessen, meine
Sinnen nicht mehr in süsses Vergessen aller Sorgen wiegen willst?
Warum ligst du lieber in rauchigen Krippen, auf unbequemen
Strohsäken ausgestrekt, und von summenden
Nachtfliegen in deinen
Schlummer eingezischet, als in den
parfümirten Zimmern der
Grossen, unter goldnen Thronhimmeln, und von den angenehmsten
Symphonien eingewiegt? O warum liegst du bey den Niedrigsten in
ekelhaften Betten, und verlässest das königliche Lager wie ein
Schilderhäuschen bey einer Sturmgloke? Kanst du, zu oberst auf dem
wankenden Mast des Schiff-Jungens Augen versiegeln, und sein Gehirn
in der Wiege der ungestümen Woge einwiegen, den Winden ausgesezt,
welche die aufrührischen Wellen beym Schopf ergreiffen, ihre
ungeheuren Häupter krümmen, und sie unter
betäubendem Geschrey
an den schlüpfrigen Mast-Tauen aufhängen-- Kanst du, o partheyischer
Schlaf, dem nassen See-Jungen in einer so rauhen Stunde Ruhe geben,
und versagst sie in der stillesten Nacht, bey allen ersinnlichen Mitteln
sie zu befördern, einem Könige? So schlummre dann sanft, glüklicher
Bettler! Das Haupt ligt übel, das eine Crone trägt.
Zweyte Scene.
(Warwik und Surrey treten auf.)
Warwik.
Unzählbare glükliche Morgen, Gnädigster Herr!

König Heinrich.
Ist es schon Morgen, Lords?
Warwik.
Es ist schon über ein Uhr.
König Heinrich.
Nun dann, so wünsch ich euch einen guten
Morgen--Gut, Milords, habt ihr die Briefe gelesen, die ich euch
schikte?
Warwik.
Wir haben, Gnädigster Herr.
König Heinrich.
Ihr habt also daraus ersehen, in welch einem
verdorbnen Zustand unser Staats-Körper ligt, wie sehr seine innerliche
Schäden zunehmen, und wie nahe die Gefahr zu seinem Herzen
gedrungen ist.
Warwik.
Die Krankheit ist nicht so gefährlich, daß dieser fiebrische
Körper nicht durch gute Diät und ein wenig Medicin zu seiner vorigen
Stärke hergestellt werden könnte; Milord von Northumberland wird
bald abgekühlt seyn.
König Heinrich.
O Himmel, wer im Buche des Schiksals lesen könnte,
was für
Veränderungen die kommenden Zeiten mit sich bringen, wie
sie Gebürge ebnen, und das feste Land, troz seiner unbeweglichen
Dauerhaftigkeit, in die See zerschmelzen werden; oder wie zu einer
andern Zeit der felsichte Gürtel des Oceans zu weit für Neptuni Hüften
wird; wie ein Wechsel den andern verdrängt, und der Zufall den Becher
des Glüks bald mit süssem bald mit bitterm Getränk anfällt! O, könnte
diß gesehen werden, der glüklichste Jüngling, wenn er durch diese
Aussicht vergangner und zukünftiger
Widerwärtigkeiten
hindurchschaute, würde das Buch zumachen, sich niederlegen und
sterben! Es sind noch nicht zehn Jahre, daß Richard und
Northumberland als die besten Freunde einander Bankette gaben, und
zwey Jahre darauf lagen sie gegen einander zu Felde. Es ist kaum acht
Jahre, daß dieser Percy meinem Herzen der nächste war, daß er sich mit
dem Eifer eines Bruders für mich bearbeitete, und seine Liebe und sein
Leben unter meine Füsse legte. Er gieng so weit, daß er um
meinetwillen Richarden
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