Bedürfnislosigkeit. Endlich wurde man auf ihn aufmerksam. Ein Berliner Bankkonsortium hatte das Gut Hochlinden angekauft und das zur Durchführung seines Projekts notwendige Kapital zur Verfügung gestellt. Der Erfolg rechtfertigte den damals noch kühnen Versuch.
Es war ein anmutiges Stück Erde, vom Talgrund in Hügelterrassen aufsteigend, stundenweit von St?dten, mit Wiesen, Wald, Fruchtg?rten, W?ssern, Brunnen, St?llen, Meiereien, Tennispl?tzen und zierlich verstreuten H?usern. Kaum ein Jahr verging, ohne da? die Wohn- und Schulgeb?ude nicht vermehrt und vergr??ert werden mu?ten.
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An einem regnerischen Sonntagnachmittag hatte sich eine Anzahl Knaben im Spielsaal versammelt, der das Erdgescho? eines gro?en Pavillons einnahm. Zuerst wurden die Schachtische besetzt; um die Spieler gruppierten sich Zuschauer, die alsbald lebhafte Kritik an den Zügen übten. Der allgemeine L?rm verschlang ihre Stimmen. Belustigendes Einzelnes l?ste sich aus dem Get?se, ein horazischer Vers; eine chemische Formel; Streit über den Tonnengehalt eines neuen Ozeandampfers; Gel?chter über einen Witz; Nachfrage um ein verlorenes Messer. Ein Rotkopf wettete, da? er auf den H?nden gehen k?nne; als er das Kunststück zum Besten gab, erntete er Applaus. Der Ruhm stachelte einen andern; er behauptete, Bauchredner zu sein, aber da er es nur zu quiekenden Mi?t?nen brachte, wurde er verh?hnt. Zu h?ren waren Stimmen in der Fistel und im prahlerischen Ba? wie Durcheinander von Vogelgezwitscher und B?rengebrumm. Ein Pr?fekt rief vom offenen Fenster einen Namen herein; dann verirrte sich eine Schwalbe in den Raum und erzwang durch ihren ?ngstlichen Kreuzflug Sekunden neugieriger Stille.
Als es d?mmerte, kam Doktor von der Leyen mit mehreren seiner Kameradschaft; sie hatten trotz des schlechten Wetters einen Gang durch den Wald gemacht, Mathys, Ulschitzky und Kurt Fink. Oberlin hatte nicht daran teilgenommen; er hatte einen Brief an seine Mutter, die Ratsherrin, geschrieben und war erst vor kurzem in den Saal gekommen. Er sa? am Klavier und spielte, unbekümmert um den Tumult, mit suchenden Fingern eine Melodie aus Carmen. Da trat Kurt Fink neben ihn, übermütig, h?ndelsüchtig, und schnarrte in seinem Berliner Dialekt: ?Pfui Deibel, das is ja, als ob deine Gro?mutter aus dem Grabe winselt?. Oberlin stutzte, spielte aber weiter, als h?tte er nichts geh?rt. Kurt Fink erboste sich, fuhr mit der Linken über die ganze Tastatur, was ein kreischendes, dann dr?hnendes Saitengeklirr hervorbrachte, schob dabei Dietrichs H?nde weg und rief: ?Schlu? mit dem Schmachtfetzen.?
Oberlin erhob sich, und sie standen Aug in Auge. Da war etwas von der Feindschaft der St?mme drin; Norden gegen Süden. Die Knaben stellten sich im Kreis um Beide. Solche Auftritte waren selten. Fink spürte, da? er Mi?billigung erweckte und zu weit gegangen war; er brach in Lachen aus, das aber nichts gutmachte, sondern beleidigend klang. Oberlin verf?rbte sich. Ein verwirrter und zorniger Blick musterte die Gesichter; er h?tte sich am liebsten auf Fink gestürzt, aber die Anwesenheit Lucians l?hmte ihn. Er senkte den Kopf, und als er die Augen wieder emporrichtete, begegneten sie denen von der Leyens, die ihn fragend oder forschend anschauten. Er mi?verstand den Ausdruck und glaubte, da? er Rechenschaft geben solle; seine Verwirrung wuchs, und sich an Lucian wendend, stie? er trotzig hervor: ?Er soll aufh?ren zu lachen?. Das war kindlich, und auf einigen Gesichtern zeigte sich Grinsen.
?Genug des Unsinns, Kurt?, mischte sich von der Leyen ein und legte die schwere Hand auf Oberlins Haupt. Die Knaben traten auseinander. Kurt Fink hatte seine Absicht erreicht, er nahm am Flügel Platz und begann einen Gassenhauer zu trommeln, den er mit parodistischem Kr?hen begleitete.
?Und wir beide? wollen wir nicht ein bi?chen miteinander plaudern?? fragte von der Leyen den noch immer befangenen Dietrich.
?Gern, wenn du Lust hast?, antwortete er überrascht.
Eine Weile gingen sie im Saal auf und ab, der sich langsam leerte. Von der Leyen, den Knaben um die H?he der Stirn überragend, hatte den Arm um seine Schulter geschlungen. Nachher setzten sie sich in eine Ecke, und das Gespr?ch wurde intensiver. Wenn Oberlin redete, hing sein offener, voller, beglückter Blick an dem Gesicht des Mannes; wenn dieser das Wort ergriff, bog er mit über den Knien verfalteten H?nden den schmalen K?rper nach vorn, und je wichtiger ihm das zu Sagende erschien, je ged?mpfter klang seine Stimme. Erst als die Glocke zum Abendessen l?utete, erhoben sie sich.
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Von da ab verging kein Tag ohne ein solches Zusammensein von Lehrer und Schüler. Da der Unterricht, sofern es das Wetter irgend zulie?, im Freien abgehalten wurde, beim Lagern auf Wiesen oder im Wald und auf Wanderungen, boten sich die Gelegenheiten ungesucht. In dieser Zeit war Oberlin gegen die Kameraden schweigsam, auch gegen Mathys und Justus Richter, einen Heidelberger Professorssohn, an den er sich angeschlossen und dessen aufrichtige Art ihm Sympathie eingefl??t. Nur in seinen Mienen verriet sich eine nicht aussetzende Erregung.
Schwer war die Scheu vor dem Mann in ergrauenden Haaren zu überwinden gewesen, vor seiner Würde, seinem Wissen. Doch wenn er sprach, in seiner leisen, horchenden, sinnenden Art, verschwand Würde und Wissen, das ergraute Haar, das
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