ohne Gruß. Die Freunde
sahen einander verwundert an.
* * * * *
Eine Zeit lang verschanzte er sich in seinem Hause, und niemand
konnte zu ihm gelangen. Dann hieß es, er sei verreist, um in der Stille
eines Landaufenthalts Sammlung zu gewinnen. Aber schon nach ein
paar Tagen kehrte er zurück. Sein Aussehen erregte Besorgnis. Tiefe
Gruben hatten sich in den Wangen gebildet; der Blick war der eines
Kranken. Er kam wieder zu den Freunden und gestand, die Einsamkeit
sei ihm Pein. Doch auch Geselligkeit schien ihn nicht aufmuntern zu
können. Man machte ihm in liebevoll-scherzhafter Weise den Hof, man
schmeichelte ihm, man erwies ihm zarte kleine Ehrungen; umsonst, es
war ihm kaum ein Lächeln abzulocken. Er stellte sich fast jeden Abend
ein, wie einer, der vor sich flieht; er bat, man möge ihn bloß dulden,
wenn es zum Ärgsten komme, werde er trachten, nicht zur Last zu
fallen. Was er unter dem Ärgsten verstand, darüber äußerte er sich nicht;
die Hausfrau, die seine ergebenste Anhängerin war, zog ihn beiseite
und beschwor ihn, sich zu fassen, zu erheben; er mache durchaus den
Eindruck eines Menschen, den ein Phantom zum Narren hält; man sei
so viel Befeuerung von ihm gewöhnt, so viel gesunde, heilsam
wirkende Kraft, dies könne doch nicht mit einem Mal zu nichte werden;
ob sie ihm helfen könne, ob er sie des Vertrauens nicht mehr würdige?
Sie sei zu jedem Opfer bereit, sie wie auch alle andern, die bestürzte
Zeugen seiner Verwandlung seien.
Er schüttelte den Kopf. »Zu helfen ist da nicht,« antwortete er; »es
wäre besser, Sie zerrten mich nicht aus der Dumpfheit heraus. Das
letzte Versteck darf man mir nicht nehmen; gegen Beleuchtung wehrt
sich alles in mir, die Dinge bekommen dadurch ein zu prahlerisches
Gesicht. Mein Fall ist an sich gering; legt ihr ihm Bedeutung bei, so
werdet ihr nur zu Urhebern von neuen Leiden. Was ich an mir erfahre,
ist doch bloß die Folge einer vielfach verschlungenen Kette von
Selbsttäuschungen und Selbstüberschätzungen. Man hat sich zu lange
gefallen, man hat sich zu lange beruhigt, man hat immerfort behaglich
im lauen Wasser geplätschert. Die Erkenntnis ist schmerzlich. Wie
wäre einem Menschen zu helfen, der niemals in einen Spiegel gesehen
hat, der bis zu dem Moment, in dem es geschieht, im Wahn befangen
war, er sei schön, er sei wohlgebildet, er habe angenehme Züge, und
plötzlich grinst ihm aus dem Glas eine abscheuliche Fratze entgegen?
Wie wollen Sie dem helfen? Daß mich ein Phantom zum Narren hält,
ist außerdem noch wahr.« Er zögerte in ungewisser Scham und fuhr
fort: »Stellen Sie sich vor, daß ich nicht allein sein kann, ohne daß mir
zumute ist, ein dringlich fordernder Gläubiger sei hinter mir her und
verlange die Bezahlung einer Schuld. Und zwar ein Gläubiger, dem ich
zu Dank verpflichtet bin, der mir große Dienste geleistet hat, den ich
wiederholt, mit guten und schlechten Gründen, habe vertrösten müssen
und der nun, selbst in Bedrängnis, das langgefristete Darlehen nicht
mehr stunden will. Das ist keine Figur, liebe Freundin, kein Gleichnis
für einen beengten Zustand, es ist eine Realität. Auch okkulter Einfluß
kann eine Realität sein. Sie wissen, daß ich Skeptiker genug bin, um
solchen Anfechtungen zu widerstehen. Wer hat sich nicht schon über
meine Trockenheit beklagt, in dieser wie in anderer Beziehung! Hier
scheitern vernünftige Erwägungen an einer Vision, an der der ganze
Organismus teil hat, das furchtbar genaue Wissen darum, wie es um
mich bestellt ist. Leute meines Schlags kennen ihr eigenes Innere so gut
wie die Bureauschreiber ihren Registrier-Apparat, und wo da die
Tugend aufhört und die Sünde beginnt, ist schwer zu sagen. Die Quelle,
die uns nährt, ist zugleich vergiftet, und wir sterben daran, ohne das
Gift zu spüren.«
»Aber was wir davon spüren, wir Zuschauer und Zuhörer, ist Freude
und erhöhtes Leben,« versetzte die Freundin herzlich und reichte ihm
beide Hände.
Mörner blickte grübelnd vor sich hin. »Bei alledem, sollte man es
glauben,« sagte er mit einem Rest von Selbstverspottung im Ton, »bei
alledem ist es wie eine letzte Genugtuung, daß er kommt, dieser
Gläubiger, daß er mahnt. Er hält mich also noch für zahlungsfähig, ich
habe also noch Kredit in der Geisterwelt. Sonderbar, daß wir nicht
ärmer werden, wenn wir dort unsere Schulden begleichen, im Gegenteil.
Nur muß man eben zahlen können, und ich kanns nicht. Die Kassen
sind leer bis auf die Neige. So arm darf man nicht werden, oder man
hat miserabel gewirtschaftet.«
Mörner begab sich wieder zu den übrigen, die harmlos plauderten, die
Hausfrau folgte ihm mit zwiespältigem Gefühl. Die unerbittliche Logik
in der Verwirrung überraschte sie und stimmte sie nachdenklich. Da
ging eine Abrechnung vor sich, hartnäckiger und ernsthafter als dem
bloß für Alltags-Ungemach geschulten Blick erkennbar war.
Das Gespräch geriet auf die Zeitumstände, und ein junger Lehrer der
Philosophie machte die Bemerkung, in einer Epoche, wo die
Wirklichkeit soviel Stoff produziere
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