Der Wendekreis - Erste Folge | Page 8

Jakob Wasserman
und bisweilen ging ein Mensch an dem offenen Tor vor��ber, geb��ckt und eilig. Der Mann neben mir zog in seiner Gem��tserregung ein blaues, zerrissenes, wie ein Schachbrett mit Quadraten bedecktes Tuch aus der Manteltasche und trocknete sich die Stirn damit. Das Tuch war mir in dem Augenblick etwas unbeschreiblich Teures; es l??t sich wirklich nicht erkl?ren, warum, aber alles war in ihm drin, der ganze Mensch.?
Er senkte ein paar Sekunden lang den Kopf und fuhr fort: ?So ist es mit Schachteln, die bei armen Dienstboten in der Kommode liegen und mit Erinnerungszeichen gef��llt sind; und mit geborstenen Steintreppen an den Toren; und mit Photographien an den W?nden; mit einer Kerze, die nachts irgendwo an einem Fenster brennt, und mit dem Brett, das der Tischler in der Werkstatt hobelt. Mit den Fu?spuren im Weg ist es so und mit den Br��cken ��ber die Fl��sse, aber besonders mit allem, was durch Menschenh?nde geht und auf Menschen Einflu? hat. Ich habe den Ring am Finger einer gestorbenen Frau gesehen; von wie vielem der wu?te! Auf einer Stra?e, durch die ich ging, lag ein zerrissener Vorhang, den man aus einem ausgeraubten Haus geworfen hatte; wieviel Leben daran klebte! An die Dinge geben sich ja die Menschen hin, sie sperren ihre Seelen in sie hinein; sie sind ihr Besitz; und wenn nicht Besitz, dann das Ziel ihrer Sehnsucht. In einer andern Stadt fand ich in einer kalten Winternacht einen acht- oder neunj?hrigen Knaben halberfroren auf einer Bank. Ich trug ihn zu einem nahegelegenen Spital, dort wurde er der Lumpen entkleidet, die ihm am Leibe klebten, und es wurde ihm hei?e Milch eingefl??t, da er nicht blo? erfroren, sondern auch bis auf die Knochen verhungert war. Nachdem man den K?rper notd��rftig von Schmutz und Unrat ges?ubert hatte, steckte man ihn ins Bett. Er lag bewu?tlos, und ich blieb die Nacht ��ber bei ihm, man hatte es mir erlaubt. Als er nun die Augen aufschlug und man ihn fragte, wer er sei und woher er komme, vermochte er nicht zu antworten. Er sah best?ndig die wei?en Kissen an, tastete best?ndig mit der Hand ��ber das wei?e Linnen, das ihn bedeckte, und in seinen Mienen war ein so ma?loses Staunen, eine so ma?lose freudige Best��rzung, da? man sofort begriff, er war Zeit seines Lebens nie in einem Bett gelegen, und erst recht nicht in einem solchen Bett. Er glaubte allen Ernstes, da? er sich im Jenseits befand, und das einzige, was er sprechen konnte, war: so wei?; so sauber; so wei?; und wieder, and?chtig, ungl?ubig, v?llig verz��ckt: so wei?; Herr Jesus, so wei?.?
Der Unbekannte hielt inne und sann mit abgel?ster Heiterkeit im Gesicht vor sich hin. Dann sprach er: ?In der n?mlichen Stadt f��gte es sich, da? ich mich eines brustkranken M?dchens annehmen sollte, das im Laden einer Friseurin bedienstet war. Ein Kind von sechzehn Jahren, ich erinnere mich noch des Namens; Angelika hie? sie. Ihre Herrin hatte sie aus dem Waisenhaus genommen, sie war ein Findling; ein munteres und z?rtliches Gesch?pf, von allen wohlgelitten und ungemein geschickt in den Verrichtungen, die man sie gelehrt hatte. Die Herrin sah aber bald, da? das ��bel rapid wuchs; der Arzt, den sie zu Rate zog, gab ihr wenig Hoffnung und empfahl ihr, das M?dchen schleunig in eine Heilanstalt zu bringen. Sie versuchte es, doch es war umsonst; die Beh?rden wiesen sie ab, die humanit?ren Vereine wiesen sie ab, die reichen Leute, bei denen sie Hilfe suchte, wiesen sie gleichfalls ab. Sie war eine robuste Frau, nichts weniger als gef��hlsselig, aber sie liebte das M?dchen wie ein eigenes Kind, und die Aussichtslosigkeit, eine Pflegest?tte f��r sie zu finden, erbitterte sie. Angelika indessen ahnte nichts davon, da? ihr Geschick ein so nahes Todesurteil ��ber sie verh?ngt hatte. Sie lachte und scherzte den ganzen Tag, und besonders war sie darauf versessen, sich zu schm��cken. In diesem Punkt war sie geradezu erfinderisch; ihre billigen Gew?nder sahen aus wie frisch aus dem Magazin; die kleinen Geschenke, die sie von den Damen erhielt, B?nder, ein St��ckchen Stoff, eine silberne Nadel, eine Halskrause, waren Kostbarkeiten f��r sie, und sie wu?te sie anmutig und geschmackvoll zu verwenden. Aber ich will Ihnen erz?hlen, wie ich dazu kam, mit eigenen Augen zu sehen, wie gl��hend diese jungen H?nde die Dinge umklammerten, die ihr Ausdruck und Abbild des Lebens waren. Es ist eine unbedeutende Begebenheit, im gro?en Ring betrachtet, aber sie hat mir viel zu denken gegeben. Die Friseurin hatte noch ein zweites Lehrm?dchen, und diese war nach und nach eifers��chtig auf die j��ngere und h��bschere Kollegin geworden. Als nun eines Tages Angelika zu einem gew?hnlichen Kundenbesuch ihr sch?nstes Kleid angezogen hatte, und mit gl��cklichem L?cheln vor ihr stand, sagte sie zu ihr; wozu richtest du dich so her und gibst die paar Groschen, die du verdienst, f��r Plunder aus? Trachte lieber, da? du gesund wirst, damit unsere Frau nicht so
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