Der Weinhüter | Page 2

Paul Heyse
platten Stein, der seinen Tisch vorstellte. Eine sehr kleine geschnitzte Pfeife mit silbernem Kettchen war ihm schon lange ausgegangen, und trübsinnig verbi? er die Z?hne in das weiche Holz. Er mochte etwa dreiundzwanzig Jahre alt sein, der Bart krauste sich leicht um Kinn und Wangen, die scharfen Züge des Gesichts deuteten auf frühe Leidenschaften; die Stirn aber war, nach der Landessitte, von den Haaren verh?ngt, die, früh schon dicht über den Augenbrauen abgeschnitten, sich in einzelne Locken gew?hnt hatten und um Schl?fe und Nacken ebenfalls gelockt herabhingen. Das gab dem Kopf alle Jugendfrische zurück, die ihm die Schatten unter den dunklen Augen zu nehmen drohten.
Ein langsamer Schritt, der sich unten auf dem Fu?steige n?herte, machte, da? er pl?tzlich aufstarrte, den Hut aufsetzte und die Hellebarde ergriff. Man konnte jetzt sehen, da? sein Wuchs hinter dem landüblichen etwas zurückgeblieben war, immer noch stattlich genug und durch das sch?nste Ebenma? der gew?lbten Brust und der straffen Schenkel auffallend auf den ersten Blick. Nur der Kopf schien fast zu klein geraten und H?nde und Fü?e gar mit einem Weibe ausgetauscht. Ger?uschlos glitt die schmiegsame Gestalt unter den Gew?lbgittern entlang, ohne auch nur eine Traube zu streifen, und sp?hte vom n?chsten Felsenvorsprung hinunter auf den Weg.
Eine schmale, schwarzr?ckige Figur mit hohem, sehr abgetragenem Filzhut kam die breite Gasse zwischen Weinberg und Wiese dahergewandelt, im Schatten der Weidenb?ume, ein offnes Buch in den gefalteten H?nden, über das hinaus der Blick zufrieden und unbegehrlich nach den sch?nen Trauben schweifte. Auch ohne den langen Rock, der fast zu den Kn?cheln der schwarzen Strümpfe herabreichte, h?tte jeder in dem bed?chtigen Spazierg?nger alsbald die geistliche Person erkannt, und zwar an einigen der liebenswürdigsten Züge, die der gro?en und mannigfaltigen Gattung unter gewissen Himmelsstrichen eigen sind. Damals war der heftige Parteienhader zu Gunsten der Glaubenseinheit in dem gelobten Lande Tirol, wo die Milch des Glaubens und der Honig des Aberglaubens so lauter flie?en, noch eine unerh?rte Sache, und selbst die Hauptstadt des alten Burggrafenamts Meran, in der vorzeiten mancherlei Regungen eines neuen Geistes unliebsam die Ruhe gest?rt hatten, war wieder in tiefen Frieden zurückgesunken. Also hatten die Diener der Kirche keine Ursach, ihren Hirtenstab als Waffe zu schwingen, und konnten mit aller Gemütsruhe die idyllischen Tugenden ihres Standes pflegen. Damals begegnete man nicht selten jenen bescheidenen geistlichen Gesichtern, auf denen eine gewisse Verlegenheit über ihre eigene Würde deutlich zu lesen war, eine stete Sorge, der Majest?t des lieben Gottes, dessen Kleid sie trugen, nichts zu vergeben, und doch ihren ungeweihten Mitgesch?pfen nicht allzu unnahbar feierlich gegenüberzustehn.
Der freundliche kleine Herr im sch?bigen Hut war nun auch freilich keines der hohen Kirchenlichter, sondern nur ein Hilfspriester an der Pfarrkirche von Meran, der t?glich um zehn Uhr eine Messe zu lesen hatte und dafür, au?er einem Stübchen in der Laubengasse und einigen andern Emolumenten, einen Gulden t?glicher Einkünfte besa?. Das Volk, das ihn seines milden Gemütes wegen sehr in Ehren hielt und n?chst den Kapuzinern ihm das gr??te Vertrauen zuwendete, nannte ihn nicht anders als den "Zehnuhrmesser" und bewies ihm auf mannigfache Art seine Gunst. Es war kein Haus weit und breit, wo, wenn er ansprach, nicht der Weinkrug und irgend ein Imbi? auf den Tisch gestellt wurde, so da? es dem wackeren Mann gelungen war, im Laufe der Zeit zwar nicht die natürliche Hagerkeit seines Wuchses zu verbessern, aber wenigstens der Würde seiner Erscheinung durch ein schüchternes B?uchlein aufzuhelfen. Dasselbe nahm sich, da es sich mit dem übrigen Zuschnitt der Figur nur um Gotteswillen vertrug, für ein profaneres Auge spa?haft aus, wie es schief und ?ngstlich unter dem dünnen Rocke festgekn?pft sa?. Aber zu dem bescheidenen Ausdruck des Gesichts stimmte die verlegentliche Bürde ganz wohl, und es fiel keinem seiner Beichtkinder ein, diesen Sp?tling der Natur zu bel?cheln. Auch wu?te niemand dem Herrn Zehnuhrmesser eine Unm??igkeit nachzusagen, es sei denn etwa im Almosenspenden. Denn da? man allerorten sich beeilte, ihn mit dem Besten aus dem eigenen Weinberg zu bewirten, lag zum Teil an dem Rufe, dessen er geno?, als sei viele Stunden weit keine weltliche oder geistliche Zunge besser imstande, die Güte des Weins zu sch?tzen, seine Dauerhaftigkeit zu bestimmen, und in F?llen, wo ihm durch ein kleines Mittelchen aufzuhelfen war, das richtige anzugeben. "Eine Weinzunge haben wie der Zehnuhrmesser", war noch geraume Zeit das Ehrenvollste, was man von einem Kenner zu rühmen wu?te.
Unter den mancherlei Gaben und Tugenden unseres Ehrenmannes war aber der Mut nicht eben die st?rkste. Seine Nerven, obwohl er aus einer Bauernfamilie im Passeier stammte, die zu Hofers Kriegen manchen tapfern Schützen geliefert hatte, lie?en seine leicht erschütterte Seele bei jeder unversehenen Probe im Stich, au?er wo es eine fremde Seele zu retten oder sonst eine hohe Gewissenspflicht zu erfüllen galt. Auch dann zog er es vor, seiner moralischen Kraft erst mit einer physischen St?rkung nachzuhelfen, und sorgte dafür, da? ein m??iges F??chen voll wei?em Terlaner, dem er
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