Der Wehrwolf | Page 9

Hermann Löns
Geschrei. Ein Bauer kam zwischen zwei Stadtknechten daher

und hinter ihm ging seine Tochter, ein blasses Mädchen von siebzehn
Jahren, das in ihre Schürze weinte. Der Bauer schimpfte gewaltig:
»Verfluchte Zucht!« schrie er; »totschlagen soll man die Hunde! Ich
bin wahrhaftig keiner, der nicht einen Spaß verträgt, aber was zu viel
ist, das ist zu viel. Ist denn meine Tochter dazu da, daß jeder Lausepelz
seinen Hahnjökel damit treiben kann? Na, so bald tut der Lümmel das
nicht wieder; sein eines Auge paßt ihm in vier Wochen noch nicht
wieder in den Kopf, und es tut mir bloß leid, daß es nicht ganz
herausgekommen ist. Und ich will doch sehen, ob noch Recht und
Gerechtigkeit im Lande ist, und ob wir in einem christlichen Staate
leben oder unter Türken und Heiden!«
Ein Handwerksmeister, den der Wirt kannte, erzählte, was los war. Der
Bauer, der aus Boye war und mit seiner Tochter, die es auf der Brust
hatte, zum Doktor wollte, war zwischen das Halberstädter Kriegsvolk
geraten, und die hatten das Mädchen hergekriegt und abgedrückt, als
wenn es ein Taternfrauenzimmer war. Ihr Vater hatte dann dem einen
Kerl eins mit der Faust ins Gesicht gegeben, daß das Auge gleich vor
dem Kopfe stand, na, und der Ordnung halber mußte die Sache
untersucht werden. »Aber,« setzte der Mann hinzu, »sie werden ihn
wohl gleich laufen lassen; vom Schlosse aus ist den Braunschweigern
angesagt worden, wenn sie nicht in einer Stunde unterwegs sind, dann
würden die Leute des Herzogs sie auf den Trab bringen.« Er sah die
Bauern an: »Ich würde an eurer Stelle noch etwas warten, ehe daß ich
losfahre; sie ziehen gerade ab und gute Laune haben sie just nicht.«
Das schien den Ödringern ein guter Rat zu sein, und so gingen sie mit
dem Manne wieder in die Gaststube. Gerade als die Kastenuhr ausholte,
um die zweite Stunde anzumelden, riß Ul die Augen auf, machte ein
Gesicht, als ob er etwas Schreckliches sah, und sprang auf: »Komm,«
rief er, »jetzt ist es aber Zeit! Wir brauchen ja nicht die Heerstraße zu
fahren, wir können den Dietweg durch die Haide nehmen. Ich habe eine
Unruhe auf dem Leibe, ich weiß nicht, was das mit mir ist. Vielleicht,
daß ich mich habe allzuviel ärgern müssen.«
Sie fuhren also los. Vor dem Tore war es still, bloß daß da noch allerlei
Zigeunervolk lag. Als sie in die Haide einbiegen wollten, rief es hinter

ihnen; drei Bauern aus Engensen kamen angeritten. »Tag!« rief der
älteste, »nehmt uns mit! Wie es heutzutage hergeht, reist man zu fünfen
besser, als zu dreien und zweien. Vorhin sind hier drei Männer
vorbeigeritten, die sahen aus, als wenn sie der Deubel aus dem Holster
verloren hat. Es ist Zeit, daß Herzog Georg mal mit dem engen Kamm
über das Land geht; es hat sich allerlei Ungeziefer angesammelt.« Er
drehte sich um und winkte einem jungen Bauern zu, der die Heerstraße
entlang ritt: »Hinnerk, komm lieber hier, dennso hast du keine
Langeweile unterwegs!« So waren sie selbst sechse, und da jeder eine
Pistole und das große Messer bei sich hatte, brauchten sie sich nicht zu
sorgen.
»Wulfsbauer,« sagte der Engenser, »wir können jetzt die Ohren
steifhalten, wir gemeinen Bauern. Bei uns haben wir das schon
abgemacht: Tatern und anderes fremdes Volk, das sich bei uns sehen
läßt, das wird ohne weiteres mit der Peitsche begrüßt, denn die Bande
zeigt den Räubern, denn was anderes sind doch diese Kriegsknechte
nicht, bloß den Weg, wo es was zu holen gibt. In Ehlershausen haben
sie vorige Woche zwei von diesen Kerlen, die ein Pferd von der Weide
geholt hatten, in aller Heimlichkeit aufgehängt und beigerodet. Und das
ist ganz recht so: denn erstens sind es keine richtigen Menschen, und
außerdem, warum bleiben sie nicht, wo sie hingehören?«
Die anderen Bauern nickten, bloß Ulenvater nicht; denn der saß da, sah
mit großen Augen über die Haide, machte einen Mund, wie ein Untier,
murmelte ab und zu etwas vor sich hin, und als Harm ebenfalls über die
Haide sah, denn er dachte, da wäre etwas, da war ihm, als spränge ein
Mann hinter die Krüppelfuhren. Er sagte es Drewes, und der Engenser
achtete auf den Weg und rief mit einem Male: »Kann schon stimmen:
hier sind eins, zwei, drei Reiter hergekommen. Es soll mich wundern,
wenn das nicht die verdächtigen Kerle von vorhin sind. Na, laß sie man
kommen! Wir sind unsrer sechse und dreschen eine gute Nummer.«
Sie taten nun, als ob die Haide ein Garten Gottes war, prahlten und
lachten, hatten aber die Hände an den Pistolen und hielten scharf
Umschau. Sie sahen aber nichts Verdächtiges, bloß, daß mit einem
Male aus den Fuhren drei Hirsche herauspolterten, als wenn die Wölfe

dahinter waren, und als sie an der Stelle vorbeikamen, hörten sie im
Busche einen Hengst wiehern, denn die Ödringer hatten eine Stute als
Handpferd, und
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