Der Waldbruder | Page 3

Jacob Michael Reinhold Lenz
cum ratione volunt durch Abschilderung dieses Charakters, dieses Geistes das Abenteuerliche Deiner Leidenschaft bei Deinem Freunde zu rechtfertigen suchen? Vielleicht k?nntest Du hierin ebensowohl eines Irrtums überwiesen werden, als in jenem, und dafür scheint es, ist Dir bange.
Alle Deine Talente in eine Einsiedelei zu begraben--Und was sollen diese Schw?rmereien endlich für ein Ende nehmen? H?re mich, Herz, ich gelte ein wenig bei den Frauenzimmern, und das blo?, weil ich leichtsinnig mit ihnen bin. Sobald ich in die hohen Empfindungen komme, ist's aus mit uns, sie verstehen mich nicht mehr, so wenig als ich sie, unsere Liebesgeschichten haben ein Ende. Ich schreibe Dir dies nicht, Dich in Deinem Vorhaben wankend zu machen, ich wei?, da? Du einen viel zu originellen Geist hast, um Deine Eigentümlichkeit aufgeben zu wollen, aber ich sage Dir nur, wie ich bin, ich klage Dir meine kleinen Empfindungen auf der Querpfeife, wie Du Deine auf dem Waldhorn. Siehst Du, so bin ich in einer best?ndigen Unruhe, die sich endlich in Ruhe und Wollust aufl?st und dann mit einer reizenden Untreue wechselt. So w?lze ich mich von Vergnügen auf Vergnügen, und da kommen mir Deine Briefe eben recht, unsern eingeschrumpften Gesellschaften Stoff zum Lachen zu geben. Es sticht alles so schrecklich mit unsrer Art zu lieben ab. Nun lebe wohl und besinne Dich einmal eines Bessern.
_Rothe._
Sechster Brief
Herz an Rothe
Das einzige, was mir in Deinem letzten Briefe ertr?glich war, ist die Stelle, da Du eine Abschilderung von dem Charakter des Gegenstandes meiner einsamen Anbetung wünschtest, das übrige habe ich nicht gelesen. Zwar scheint auch in diesem Wunsch nur die Bosheit des Versuchers durch, der dadurch, da? er mein Geheimnis aus meinem Herzen über die Lippen lockt, mir dasselbe gern gleichgültiger machen m?chte. Aber sei es, es soll Dir dennoch genug geschehen. Zwar wei? ich wohl, wie vielen Schaden ich ihr durch meine Beschreibungen tue, aber dennoch wirst Du, wenn Du klug bist und Seele hast, Dir aus meinem Gestotter ein Bild zusammensetzen k?nnen.
Denke Dir alles, was Du Dir denken kannst, und Du hast nie zu viel gedacht--doch nein, was kannst Du denken? Die Erziehung einer Fürstin, das selbstsch?pferische Genie eines Dichters, das gute Herz eines Kindes, kurzum alles, alles beisammen, und alle Deine Mühe ist dennoch vergeblich, und alle meine Beschreibungen abgeschmackt. So viel allein kann ich Dir sagen, da? Jung und Alt, Gro? und Klein, Vornehm und Gering, Gelehrt und Ungelehrt, sich herzlich wohl befinden, wenn sie bei ihr sind, und jedem pl?tzlich anders wird, wenn sie mit ihm redt, weil ihr Verstand in das Innerste eines jeden zu dringen, und ihr Herz für jede Lage seines Herzens ein?Erleichterungsmittel wei?. Alles das leuchtet aus ihren Briefen, die ich gelesen habe, die ich bei mir habe und auf meinem blo?en Herzen trage. Sieh, es lebt und atmet darinnen eine solche Jugend, so viel Scherz und Liebe und Freude, und ist doch so tiefer Ernst, die Grundlage von alledem, so g?ttlicher Ernst--der eine ganze Welt beglücken m?chte!
Siebenter Brief
Rothens Antwort
Dein Brief tr?gt die offenbaren Zeichen des Wahnsinns, würde ein andrer sagen, mir aber, der ich Dir ein für allemal durch die Finger sehe, ist er unendlich lieb. Du bist einmal zum Narren geboren, und wenigstens hast Du doch so viel Verstand, es mit einer guten Art zu sein.
Ich lebe glücklich wie ein Poet, das will bei mir mehr sagen, als glücklich wie ein K?nig. Man n?tigt mich überall hin und ich bin überall willkommen, weil ich mich überall hinzupassen und aus allem Vorteil zu ziehen wei?. Das letzte mu? aber durchaus sein, sonst geht das erste nicht. Die Selbstliebe ist immer das, was uns die Kraft zu den andern Tugenden geben mu?, merke Dir das, mein menschenliebiger Don Quischotte! Du magst nun bei diesem Wort die Augen verdrehen, wie Du willst, selbst die heftigste Leidenschaft mu? der Selbstliebe untergeordnet sein, oder sie verf?llt ins?Abgeschmackte und wird endlich sich selbst beschwerlich.
Ich war heut in einem kleinen Familienkonzert, das nun vollkommen elend war und in dem Du Dich sehr übel würdest befunden haben. Das Orchester bestand aus Liebhabern, die sich Taktschnitzer, Dissonanzen und alles erlaubten und Hausherr und Kinder, die nichts von der Musik verstunden, sp?hten doch auf unsern Gesichtern nach den Mienen des Beifalls, die wir ihnen reichlich zuma?en, um den guten Leuten die Kosten nicht reu zu machen. Nicht wahr, das würde Dir eine Folter gewesen sein, Kleiner? besonders da seine T?chter mit den noch nicht ausgeschrienen Singstimmen mehr kreischend als singend uns die Ohren zerschnitten. Da in laute Aufwallungen des Entzückens auszubrechen und bravo, bravissimo zu rufen, das war die Kunst--und wei?t Du, womit ich mich entsch?digte? Die Tochter war ein freundlich rosenwangigtes M?dchen, das mich für jede Schmeichelei, für jede herzlichfalsche Lobeserhebung mit einem feurigen Blick bezahlte, mir auch oft dafür die Hand und wohl gar gegen ihr Herz drückte, das hie? doch wahrlich gut gekauft. Ich wei?, Du
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