Der Traum ein Leben | Page 2

Franz Grillparzer
Ich bin's, Mirza! Mädchen, lässest du den Vater In der
Dämmrung so allein?
Mirza. Ach, verzeiht, ich wollte sehen--
Massud. Ob er komme?
Mirza. Ach, ja wohl.
Massud. Nun, und--?
Mirza. Keine Spur.
Massud. 's ist spät.
Mirza. Nacht beinahe. Alle Jäger Ringsum aus der ganzen Gegend Sind
zurück schon von den Bergen. Glaubt mir, denn ich kenne alle, Die in
jenen Bergen jagen, Muß ich sie nicht täglich zählen, Wenn den letzten
ich erwarte? Alle Jäger sind zurück, Er allein streift noch im Dunkeln.
Massud. Ja, fürwahr, ein wilder Geist Wohnt in seinem düstern Busen,
Herrscht in seinem ganzen Tun Und läßt nimmerdar ihn ruhn. Nur von
Kämpfen und von Schlachten, Nur von Kronen und Triumphen, Von
des Kriegs, der Herrschaft Zeichen Hört man sein Gespräch ertönen; Ja,
des Nachts, entschlummert kaum, Spricht von Kämpfen selbst sein
Traum. Während wir des Feldes Mühn Und des Hauses Sorge teilen,
Sieht man ihn bei Morgens Glühn Schon nach jenen Bergen eilen. Dort,
nur dort im düstern Wald Ist des Rauhen Aufenthalt, Du bist, alles ist
vergessen, Und es scheint ihm hohe Lust, Mal die Wildheit seiner Brust
An des Waldes Wild zu messen. Das ist ein unselig Treiben! Ich
beklage dich, mein Kind.
Mirza. Scheltet drum ihn nicht, mein Vater! War er doch nicht immer
so. Oh, ich weiß wohl eine Zeit, Wo er sanft war, fromm und mild, Wo
er stundenlange saß Auf dem Grund zu meinen Füßen, Bald des Hauses
Arbeit teilend, Bald ein Märchen mir erzählend, Bald--o glaubt mir,
lieber Vater, Er war damals sanft und gut. Hat er seither sich verändert,
Ei, er kann sich wieder ändern Und er wird's, gewiß, er wird's.
Massud. Wähnst du mich zu überzeugen, Und kannst es dich selber
nicht?
Mirza. Glaubt, mein Vater, dieser Sklave, Zanga, er trägt alle Schuld.

Seit er trat in unsre Hütte, Seit erklang sein Schmeichelwort, Floh die
Ruh' aus unsrer Mitte Und aus Rustans Busen fort. Rustan, wahr ist's,
schon als Knabe Horcht' er gerne großen Taten, Übt' er gerne
Ungewohntes, Wollt' er gerne was er kann, Wär' das schlimm? Er ist
ein Mann. Stets doch hielt er die Gedanken In des Hauses frommen
Schranken Und gebot dem raschen Mut. Zanga kam. Sein Hauch,
verstohlen, Blies die Asche von den Kohlen Und entflammte hoch die
Glut. Oh, ich habe sie belauscht! Oft, wenn Rustan mir versprochen,
Nicht zu gehen nach den Bergen, Und er still und ruhig saß; Da trat
Zanga vor ihn hin, Und von Schlachten hört' ich's tönen, Und von
Kämpfen und von Siegen. Hoch empor und immer höher Stieg die Glut
in Rustans Wangen, Jede seiner Fibern zuckte, Und die Hände ballten
sich; Aus den tiefgezognen Brauen, Schossen Blitze wilden Feuers,
Und zuletzt-- da sprang er auf, Langte von der Wand den Bogen, Warf
den Köcher um den Nacken, Und hinaus--hinaus zum Walde!
Massud. Armes Kind! und achtet nicht, Hart und sorglos, der Verkehrte!
Deines Kummers, deiner Angst.
Mirza. Angst? Warum denn Angst, mein Vater? Oh, ich weiß, der
starke Rustan Kennt nicht Furcht und nicht Gefahr. Dann ist Zanga ja
mit ihm.
Massud. (Doch) nur zwei.
Mirza. Er zählt für viele.
Massud. In der Nacht--
Mirza. Er kennt den Pfad.
Massud. Wie so leicht ein wildes Tier--
Mirza. Oh, es (flieht) das Wild den Jäger!
Massud. Oder gar--
Mirza. Was, Vater, was? Sprecht es aus und tötet mich!
Massud. Armes Kind, das ist dein Los, Wenn dich, wie ich sonst wohl
dachte, Einst an ihn ein festres Band--
Mirza. Vater, es wird kühl, wir wollen In die Hütte doch zurück. Eh'
wir's denken, kommt auch er.
Massud. Nun, so sei's denn, wie es ist! Die dort oben mögen walten.
Was ihn heut zurückehält, Denk ich wohl beinah zu wissen.
Mirza. Wie? Ihr wißt? O sprecht!
Massud. Dein Derwisch, Der besorgte fromme Mann, Der dort haust in
jenem Walde, Sandte kaum nur schnelle Botschaft, Mir zu melden, daß

man sage, Rustan habe Streit erhoben Auf der Jagd mit einem
Weidmann.
Mirza. Streit? Mit wem?
Massud. Mit Osmin, heißt es, Unsers Emirs ältstem Sohn, Der am Hof
zu Samarkand In des Königs Kammer dienet, Und, mit Urlaub bei dem
Vater, Sich den Jägern beigesellt. Rustan schlug nach ihm und--
Mirza. Mehr noch?
Massud. Und sie griffen zu den Waffen.
Mirza. Waffen?
Massud. Doch man schied sie schnell, Und der Streit ward ausgetragen.
Mirza. Doch vielleicht--
Massud. Sei ruhig, Kind! Osmin ist schon heimgekehrt Und nichts
weiter zu besorgen. Aber Rustan ahnet wohl, Daß mir Kunde seiner
Raschheit, Und er scheut, mir zu begegnen. Kaum wird's vollends
Nacht, so schleicht er, Seines Oheims Blick vermeidend, Leise wohl in
sein Gemach. Darum, Mirza, laß uns gehn; Unsre Gegenwart, bedünkt
mich, Hielt ihn wohl so lange fern.
Mirza. Und Ihr zürnt ihm?
Massud. Sollt' ich nicht? Siehst du mich schon flehend an? Oh, ich
weiß wohl, jedes Wort, Tadelnd,
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