Der Todesgruß der Legionen, 1. Band | Page 9

Johann Ferdinand Martin Oskar Meding
ich mit einem Worte
Europa bewegen konnte.
"Niel ist todt," sagte er mit dumpfem Ton--"Alle sind todt, die mich
einst auf der Höhe der Macht und des Einflusses umgaben--Morny,
Walewsky--selbst Felix und mein treuer Nero--ich bin allein.
"Ich habe nur noch Sie," sagte er mit einem unendlich innigen Blick auf
den Dr. Conneau, indem er ihm mit einer matten Bewegung die Hand
reichte; "aber Sie, mein braver und treuer Freund, Sie können mir nicht
helfen; das Getriebe der Politik liegt Ihnen fern--Sie könnten mir nur
helfen, wenn Sie dieser alten gebrechlichen Maschine neues Leben
einzuflößen vermöchten.
"Oh," rief er, indem ein Blitz aus seinem Auge sprühte, "ich wollte
allein all diesen Schwierigkeiten entgegentreten, über sie alle Herr
werden, wenn ich nur auf wenige Jahre meinen Nerven und meinen
Muskeln die Kraft der Jugend wiedergeben könnte.--Le Boeuf," fuhr er
nach einer augenblicklichen Pause fort, "er ist der Schüler von Niel, er
hat ihm nahe gestanden, er ist das Werkzeug zur Ausführung seiner
Ideen gewesen--aber er ist kein Niel und der Schüler kann den Meister
nicht fortsetzen.--
"Ich habe den Augenblick verloren und dem Augenblick gehört das
Schicksal; ich fürchte, ich fürchte, mein treuer Conneau, der
Augenblick kommt nicht wieder und mein Stern, den ich einst so hell
leuchtend über meinem Haupt erblickte, er hat sich in trübe, trübe
Wolken verhüllt.
"Vielleicht," fuhr er immer seinen Gedanken folgend fort--"habe ich
einen Fehler begangen dadurch, daß ich eine Dynastie gründen wollte.
Vielleicht ist eine dynastische Monarchie Frankreichs in unserm
Jahrhundert nicht mehr möglich; vielleicht stände ich größer und
sicherer da, wenn ich mich hätte entschließen können nur der Cäsar zu

sein, der an keinen Nachfolger denkt, der sich identificirt mit der
pulsirenden Bewegung des Volkslebens und dessen Geschichte mit
seinem Tode aufhört.
"Das ist der Ursprung meiner Herrschaft--und man sagt, die
Regierungen fallen, die sich von den Principien ihres Ursprungs
entfernen.
"Ist mein Oheim nicht gefallen, weil er aufhörte Cäsar zu sein und weil
er der Begründer einer neuen dynastischen Legitimität werden wollte?
"Aber, mein Gott," rief er die Hände über der Brust faltend, indem ein
unendlich weicher Ausdruck auf seinen Zügen erschien--"mein Gott,
ich habe einen Sohn und ich liebe diesen Sohn--ich liebe ihn sehr,
Conneau und mag es ein Fehler sein oder nicht--meine ganzen
Gedanken, meine ganze Arbeit gehören der Zukunft, gehören meinem
Sohn."
In tiefer Bewegung trat Dr. Conneau an das Lager des Kaisers, ergriff
dessen Hand und führte sie an seine Lippen.
"Diese Arbeit wird ihre Frucht tragen, Sire," sagte er mit zitternder
Stimme--"ich wollte, es wäre mir vergönnt mein Leben für Sie und für
den kaiserlichen Prinzen hinzugeben."--
"Geben Sie mir lieber," sagte Napoleon sanft lächelnd, "durch Ihre
Kunst die wahre Kraft des Lebens wieder, dann werden Sie Frankreich,
mir und meinem Sohn den höchsten Dienst leisten."
Conneau trat zur Seite, ergriff ein kleines Fläschchen von
geschliffenem Crystall, das auf einem Tisch am Fenster stand und
mischte einige Tropfen der hellen Flüssigkeit, welche dasselbe enthielt,
mit einem Glase Wasser.
"Ich bitte Ew. Majestät dies zu trinken," sagte er dem Kaiser das Glas
reichend; "ich hoffe damit wenigstens einen Theil der Aufgabe zu
erfüllen, welche Sie mir bezeichnen; dieses Getränk wird Ew. Majestät
die Nervenkrise überwinden helfen, welche Nélatons Sondirung

hervorgerufen hatte."
Der Kaiser leerte langsam das Glas, dessen Inhalt eine grüne
opalisirende Farbe angenommen hatte. Die nervöse Spannung seiner
Gesichtszüge verschwand, seine mattgelbliche Haut nahm eine röthere
Färbung an und um seine Lippen legte sich jener Zug wohlwollender
Freundlichkeit, welcher ihm in der Unterhaltung eigenthümlich war
und der auf Jeden, der mit ihm, sprach seinen Zauber ausübte.
Er stand langsam auf.
"Ich danke Ihnen, Conneau," sagte er, "das hat mir wohlgethan. Wollte
Gott, Sie könnten die Wirkung dieses Elixirs dauernd machen; leider
wird der Schmerz und die Schwäche bald wieder meine Nerven zur
alten Unfähigkeit herabstimmen."
"Nicht so leicht," erwiderte Dr. Conneau, "wenn die Willenskraft
meinem Elixir zu Hülfe kommt; der menschliche Willen ist ein
mächtiger Factor und selbst der kranke Körper gehorcht seinem
Befehl."
"Der Willen?" sagte der Kaiser schmerzlich lächelnd--"um zu wollen,
dazu gehört Kraft und um die Kraft zu entwickeln gehört Willen; wo ist
der Anfang dieses Kreises, in welchem sich der leidende Mensch
traurig herumbewegt?--Doch," fuhr er fort, "für den Augenblick habe
ich den Willen und ich will ihn benutzen zu klarem Einblick in die
Verhältnisse, denn das ist die erste Quelle aller guten Entschlüsse."
Er reichte Conneau die Hand,--der Arzt führte dieselbe an seine Lippen
und verließ das Schlafgemach seines Herrn.
Der Kaiser klingelte.
"Es ist nicht mehr mein treuer Felix," sprach er seufzend, "der alle
Wechselfälle des Lebens mit mir getheilt hat und dessen Erscheinung
mir eine so liebe Gewohnheit geworden war."
Der Kammerdiener trat ein und Napoleon machte mit aller Sorgfalt

seine Toilette, nach deren Vollendung aus seinen Zügen und seiner
Haltung die Spuren der Schmerzen und der Erschöpfung fast ganz
verschwanden; nur sein
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