Der Schwimmer | Page 9

John Henry Mackay
da sagte Franz hastig, als könne ihm das unerwartete Glück
wieder entgehen:
--Nein, nein, ich will schon gern--
Der Herr zog sein Notizbuch hervor:
--Also, der Name...
--Franz Felder--
--Adresse?
--Berlin O, Münchebergerstraße 102, und etwas zögernder: --Hof--im
Keller--
Der andere schrieb alles auf. Dann reichte er ihm die Hand:
--Unsere Übungsstunden für die Jugendabteilung kennen Sie wohl?--
Jeden Dienstag und Freitag abends acht Uhr.
Franz nahm die dargebotene Hand, machte eine tiefe und respektvolle
Verbeugung, wie er sie vor seinem Pfarrer und seinem Rektor gemacht
hatte, sah, wie der Herr wegging, und fühlte zugleich einen
freundschaftlichen Rippenstoß in der Seite:
--Du, wat hat denn der von dir jewollt?
Er sah seine Freunde um sich und sagte nur von oben herab:
--Ich bin aufgefordert worden, dem "Schwimmklub Berlin 1879"
beizutreten, und ließ sie stehen.
Nun, da er es ausgesprochen hatte, glaubte er es selbst, und eine

unbändige Freude ergriff ihn.
O, er wollte Ehre einlegen!--Und die siebzig Pfennige Monatsbeitrag
wollte er schon aufbringen und so pünktlich zahlen, daß man ihm
deshalb nie einen Vorwurf machen sollte, wenn er auch einstweilen
noch nicht wußte, wie sie aufzutreiben waren.
Im Geiste sah er sich schon in dem blaugesäumten Trikot und der
Badehose, die in Blau die gestickten Anfangsbuchstaben und die Zahl
1879 trug, und er machte vom Sprungbrett einen Freudensprung, aber
so ungeschickt in seiner Aufregung, daß nur eine gewandte Wendung
im letzten Moment ihn davor bewahrte, flach aufzuschlagen.
Daran, daß es ihm nie als ein besonderes Vergnügen erschienen war,
einem Verein anzugehören, daß er den Zwang der Stunde, das
Schwimmen- Müssen um bestimmte Längen, dabei unter schärfster
Aufsicht und steter Kritik, daran, daß ihn das ganze Klubleben, soweit
er es kannte, mit einem Wort: das "offizielle Schwimmen" nie
angezogen hatte, an all dies dachte er nun nicht mehr. Sein Ehrgeiz war
angestachelt. Man hatte ihn bemerkt und so ausgezeichnet, ihn zur
Mitgliedschaft an dem ersten und ältesten Schwimmverein Berlins
aufzufordern.
Er gehörte von heute ab dem "Schwimmklub Berlin 1879" an, und
allen, die es hören wollten, und sehr vielen, die es nicht hören wollten,
erzählte er die ihm selbstunglaublich erscheinende Tatsache, tief
entrüstet über die Gleichgültigkeit, mit der sie allgemein aufgenommen
wurde.
2
Es gab kein jugendliches Mitglied des Vereins, das pünktlicher zu den
Übungsabenden gekommen wäre, keines, daß sich williger und
begeisterter jeder Anordnung an diesen Abenden gefügt hätte, als Franz
Felder. Man merkte es bald, und er erwarb sich manche Bekanntschaft
im Klub dadurch auch von solchen, die der Einführung von Mitgliedern,
und noch so verheißungsvollen, aus, wie sie es nannten, "anderen
Verkehrskreisen", fremd, ja feindlich gegenüberstanden. Bei fast allen

von ihnen erwarb sich der neue Ankömmling Achtung und Sympathie,
einmal wegen des leidenschaftlichen, fast komisch-weihevollen Ernstes,
mit der er die Sache betrieb, und dann wegen der Bescheidenheit und
Ehrlichkeit seines Wesens, das sich nie vordrängte. Man setzte bald
große Hoffnungen auf ihn und ließ ihn nicht aus den Augen.
Das nächste große Ereignis, das sein Eintritt in den Klub zur Folge
hafte, war eine Lehrstelle in einer großen mechanischen Werkstätte, die
ihm durch einen seiner neuen Sportfreunde dort verschafft wurde. Er
sollte gleich von Anfang an einen Wochenlohn erhalten und erhielt die
Zusicherung sorgfältiger und vollständiger Ausbildung. Da unterdessen
auch seine Brüder in besseren Stellungen waren und die Einsegnung
eines jüngeren bevorstand, trat er die Stelle an. Er blieb bei seinen
Eltern wohnen und der größte Teil seines wöchentlichen Verdienstes
wanderte nach wie vor in ihre Hände. Was er für sich behielt, brauchte
er dazu, um am Sonntag auf den Ausflügen mit seinen Klubgenossen
ein Glas Bier zu trinken, und für die ersten paar Mark, die er erübrigte,
schaffte er sich ein tadelloses Trikot an, eine Sportmütze und das
Klubabzeichen, ein kleines Schild, das auf dem Rockaufschlag
getragen wurde.
Er ging nun völlig auf im dem Leben des Vereins. Die Vergnügungen
des Klubs waren seine Erholungen, seine Arbeit die seine. Die
Sportkameraden waren seine Freunde, mit denen er alles teilte. Die
Arbeit des Tages in der Fabrik tat er, weil sie getan werden mußte, und
er tat sie gut und fleißig. Seine Familie sah er nur, wenn es unbedingt
nötig war, bei den unerläßlichen Geburtstags- und anderen Feiern; mit
den paar Freunden seiner Kinderzeit verkehrte er fast gar nicht mehr.
Seine Dankbarkeit gegen seinen Klub wuchs allmählich ins
Ungemessene. Er konnte sie einstweilen nur durch völlige Hingabe
beweisen. Aber immer wieder schwur er sich selbst zu: seinem Klub
Ehre zu machen in jeder Beziehung, Ehre um jeden Preis. Er sollte
keinen Unwürdigen in ihm aufgenommen haben.
Er wußte, daß er über eine Kraft verfügte, die ihn vielleicht einmal zu
Siegen führen konnte, wenn er sie stählte und übte. Nicht für sich
wollte er diese Siege erringen, daran dachte er nicht. Doch er träumte

bereits im stillen davon, um den alten Namen des Vereins neue
Lorbeeren zu schlingen, die er selbst in
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