Der Schwimmer | Page 8

John Henry Mackay
man in ihm baden konnte, in dem er
nicht geschwommen hätte. Berlin war eine große Stadt mit vielen
Straßen und unzähligen Häusern, aber ihre Bedeutung bestand doch nur
darin, daß um sie herum die Teiche und Seen lagen und daß sie der
dunkle Fluß durchzog...
Er schwamm nur zu seinem Vergnügen und nur zu eigener Lust. Sein
einziger Wunsch war, den ganzen Tag im Wasser zu liegen, und er war
glücklich über die langen Sonntagnachmittage, an denen er es konnte.
Mit seinen kurzen, stämmigen Beinen seinen festen Armen, an denen
sich die Muskeln auszubilden begannen, beherrschte er das Wasser mit
vollkommener Sicherheit. Es war sein Freund, zu dem er unbedingtes
Vertrauen hatte--sein bester, sein einziger Freund. An seiner Brust
vergaß er alle Mühseligkeiten seines jungen Lebens, und wenn er bei
ihm sein durfte, war er glücklich.
Und das Wasser vergalt ihm seine Liebe. Es war wie ein Aufschrei der
Freude seiner Wellen, wenn es ihn umfing, und es trug ihn sicher und
freundlich, wie er nur wollte. Sie spielten, sie rangen miteinander, wie
Knaben es tun, um ihre Kraft zu messen, aber sie vertrugen sich immer.
Ach, und wie der Knabe es liebte!
Wie andere Kinder den weißen Sand, mit dem sie spielen, durch die
Hände gleiten lassen, so nahm er oft, auf dem Rücken liegend, das
flüssige, rätselhafte Element, um es zu fassen, in die Hände und es
zwischen den Fingern zerrinnen zu sehen in flüchtigen Blasen.
Wie andere Kinder zu ihrer Mutter gehen mit ihren Klagen und
Wünschen, so kam er zu ihm, um sich trösten zu lassen.
Sein ganzer, kleiner Körper zitterte vor Aufregung, wenn er das Wasser
sah, und er suchte den köstlichen Augenblick zu verlängern, in dem er

hinein durfte.
Lag er dann im Wasser, so rollte er sich zunächst förmlich über die
Fläche hin, überschlug sich vor Wonne und kugelte sich zusammen,
ging unter und kam wieder hervor, streckte die Glieder in unendlichem
Wohlbehagen und glitt auf der Oberfläche hin, wie eine Schlange, bis
er zu schwimmen begann.
Dann schwamm er, ruhig, langsam und lautlos, fast andächtig; oder in
voller Kraft auf ein Ziel los, daß das Wasser rauschte.
Er schwamm, und er wurde nie müde.
Er tauchte, und seine kleine Brust weitete sich mühelos.
Er schwamm und schwamm, wo und wann er konnte.--Es war ein
heißer Sommer, ein langer Sommer, ein arbeitsvoller Sommer.
Aber es war doch ein Sommer voll Freude.
Viel noch sollte Franz Felder in seinem Leben schwimmen. So sorglos,
so unbekümmert vielleicht nie mehr.

Zweiter Teil
1
Auch dieser Sommer war vorbei, und wieder war es zu kalt geworden,
um im Freien zu baden. Die offenen Sommeranstalten schlössen sich.
Franz Felder hatte seine Stelle aufgeben müssen, da im Geschäft nicht
mehr genug zu tun war, und suchte nun, nach einem gerührten
Abschied von Cäsar, dem treuen Gefährten so vieler schöner, heller
Sommertage, eine neue Stelle für den Winter. Einstweilen nahm er mit,
was er kriegen konnte.
So oft er konnte, ging er nun wieder in das große Volksbad, dessen
hohe, warme Halle sich das ganze Jahr über nur an den zweiten

Feiertagen schloß und immerweniger besucht wurde, je kälter es
draußen wurde.
Es war ja nicht dasselbe, sagte Franz zu sich, wie das Baden im Freien.
Aber es war doch wenigstens ein Wasser, in dem man schwimmen
konnte.
Als er sich eines Abends so mit seinen Kameraden im Bassin tummelte
und sie gerade in einer kleinen Race auf 50 Meter spielend geschlagen
hatte, kam ein Herr auf ihn zu, den er schon oft gesehen, und fragte ihn,
ob er denn nicht Lust habe, in einen Schwimmverein einzutreten.
Es war nicht das erstemal in letzter Zeit, daß an den Jungen diese Frage
gestellt wurde, und schon wollte er sagen, daß er einstweilen noch
etwas warten wolle, als er hörte, was der Herr weiter sagte:
--Sie müssen wissen, wir nehmen nicht jeden in unsere Jugendabteilung,
sondern nur Kräfte, von denen wir uns etwas für unseren Verein
versprechen.
Und plötzlich schoß es Franz durch den Kopf: der Herr gehörte ja zum
"Schwimmklub Berlin von 1879"--dem ältesten und angesehensten
Schwimmverein Berlins, dem so viele Meisterschaftsschwimmer
entstammten, der die großen Feste gab, und in den einzutreten
überhaupt eine Unmöglichkeit schien ... und noch etwas außer Atem
und ganz hochrot fragte er fast ungläubig:
--Schwimmklub Berlin von 1879?--
Der Herr lächelte.
--Jawohl. Sie wissen vielleicht, unsere Beiträge sind um etwas höher,
als in den anderen Vereinen, aber wir sind nicht rigoros in dieser
Beziehung, und der gute Wille zählt hier mit, wenn es einmal nicht so
geht. Übrigens haben Sie so viele andere Vorteile bei uns, besonders
wenn Sie viel baden, daß sich das schon machen lassen wird...
Als er sah, daß Franz noch immer nicht antwortete, lächelte er wieder

und machte eine Bewegung:
--Ich will Sie übrigens nicht überreden... Sie können sich die Sache ja
überlegen--
Aber
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